Touristen:"Nach der dritten Maß können wir jede Sprache"

Nicht nur Italiener rücken am Wochenende in Massen an, auch viele andere Nationalitäten suchen den Rausch des Oktoberfests.

P. Crone, M. Langeder, C. Wessel

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Quelle: SZ

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Italiener:

Nicht ein einziges Wort Deutsch verstehen die drei. "Due!", ruft der 39-jährige Fabrizio aus dem italienischen Ort Teramo und reckt zwei Finger hoch. Zwei Maß für drei Mann? Einer fühlt sich im Bierzelt am Donnerstagvormittag noch nicht so richtig wohl. Dani, 32, guckt heimwehlich und sagt: "Ich habe gerade noch einen Cappuccino getrunken, ich vertrage jetzt noch kein Bier." Zuhause würde er nur ein "birra piccola" schaffen, das sind 0,33 Liter.

Die drei Männer sind die ganze Nacht hindurch mit ihrem Campingwagen von den Abruzzen bis nach München gefahren. Um 11.30 Uhr sind sie angekommen und eine Stunde später schon auf der Wiesn. Fabrizio und der 34-jährige Domenico bestellen sich Weißwürste und stoßen mit ihren Bieren an. Dani überfliegt die italienische Speisekarte. Ein halbes Hendl? Lieber eine Breze. Nach dem zweiten Bissen hellt sich sein Gesicht auf. "Gar nicht so schlecht." Domenico war schon dreimal auf der Wiesn. "Ein Riesenspaß, aber ganz schön anstrengend."

Daheim in ihrer 50000-EinwohnerStadt zählt nur etwas, wer mindestens einmal auf der Wiesn war. Domenico sagt: "Die Leute in den Bars sprechen so oft davon, da muss man mitreden können." Alle drei sind Single. "Beste Voraussetzungen", lacht Domenico. Ob es ihnen hier gefällt, hänge davon ab, wie viele Frauen sie kennen lernen, sagt Fabrizio. Bleibt die Sache mit der Sprache. "Kein Problem. Spätestens nach der dritten Maß können wir jede Sprache der Welt." Dani schaut seinen Freund an, dann entschlossen zur nächsten Bedienung und ruft: "Una!" Es kann losgehen.

Foto: Robert Haas

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Engländer:

Die Gefahr lauert ganz unten im Maßkrug. Die sieben Studenten aus Sheffield sitzen am Vormittag um elf Uhr im Löwenbräuzelt und animieren das ganze Zelt. Nur Craig, 20, macht ein leicht säuerliches Gesicht. Sein Nachbar hat das Anstoßen - von der Seite statt von oben - noch nicht ganz verinnerlicht und Craig mit seinem Krug eine golfballgroße Ecke aus dem Glas gebrochen. Craig hält die Scherbe in der Hand, eine kleinere liegt auf dem Maßboden unter einem halben Liter Bier. Aber beim nächsten Prosit ist sie schon wieder vergessen. Mit solchen Kleinigkeiten können sich die Jungs nicht aufhalten, sie haben schließlich eine Mission zu erfüllen.

Am Donnerstagmorgen sind die Engländer mit dem Bus angekommen, haben ihr Zeltquartier in Thalkirchen bezogen und ein gelbes Bändchen vom Reiseveranstalter bekommen. Alle halbe Stunde geht ein Shuttle-Bus zur Wiesn. Shawn, 20, ist zum zweiten Mal da und hat die vier Tage bis Samstag schon durchgeplant: Morgens nicht reservierte Plätze sichern, dann auf Maß-Mission und am Abend um 22 Uhr zurück und schlafen. "Um diese Zeit können wir eh nicht mehr." Sein erklärtes Ziel: "Zehn Maß, mindestens aber acht." Shawn will mit 200 Euro durchkommen. "Aber wir wissen auch, wo die Bankautomaten sind." Als sich die ersten Musiker auf der Bühne einfinden, springen die Sheffield-Jungs sofort auf und jubeln, bis aus allen Ecken des Zeltes die Menschen mitgrölen beim Prosit. Craig nutzt die Gelegenheit und trinkt seine halbe Maß ganz vorsichtig aus. Dabei schaut er jetzt schon gefährlich tief ins Glas.

Foto: Robert Haas

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Australier:

Das Bild ist im wahrsten Wortsinn verschwommen. Philipp drückt auf den Selbstauslöser und taucht seine Digitalkamera, die er sonst beim Surfen in seiner australischen Heimatstadt Perth dabei hat, in die volle Maß vor sich. Sein Gegenüber Davey, 22, erscheint leicht gelb und unscharf auf dem nassen Display, als die Kamera wieder auftaucht. Noch ist Davey aber nicht gelb im Gesicht, eher rot vor Freude...

Foto: Robert Haas

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... Zu viert ist die Gruppe aus drei Zimmerern und einer Sekretärin am Mittwochabend angekommen, am Donnerstagmorgen sitzen sie schon im Zelt, direkt neben der Band, mit einer Maß, guter Laune und Lust auf Gesang. "Ich will hier nie wieder weg", sagt Davey. Sechs Tage bleiben seiner Gruppe, um die geplanten acht Liter Bier pro Tag und das abendliche Sozialziel zu erreichen. "Shag hot women", nennt Philipp das, frei übersetzt: Frauen näher kennenlernen. Die Australier haben einen Ruf zu verlieren auf der Wiesn: Surfcooles Partyland, das international mit allen anderen Völkern kompatibel ist. Zunächst lernen sie aber drei weitere Aussies kennen. Dass seine Landsleute bei gesteigertem Bierkonsum aggressiv würden, bestreitet Davey. Er grinst schelmisch: "Das sind doch die Neuseeländer."

Foto: Robert Haas

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Japaner:

Zuerst waren sie ja schon ein bisschen pikiert, erzählt Stadtführerin und Dolmetscherin Mari Matsuda. "Was, man kann nicht mehr reservieren? In Japan kann man immer reservieren!", soll der Organisator der 24 Mann starken Gruppe aus Tokio gesagt haben, als es hieß, der Spontanbesuch in einem Bierzelt am Abend sei ein Ding der Unmöglichkeit.

Dabei wollten die Herren und Damen aus der Lebensmittelbranche doch so gerne einmal auf dem Oktoberfest bayerisch essen. Und natürlich das berühmte Bier testen. Vor allem Nobuo Tsukuhana, seines Zeichens Vice-President der Suntory-Brauerei in Tokio, wollte sich natürlich dem Konkurrenzprodukt ausgiebig widmen.

Nun sind sie also am Vormittag gekommen und finden im Armbrustschützenzelt noch Platz für alle. Großes Oh und Ah und kollektives Kamerazücken begleiten die Ankunft der Kellnerin mit den Armen voller Maßkrüge. Dann beginnt der Biertest. Erstmal die Nase reinstecken und tief einatmen. "Hmmm, gutes Aroma", bescheinigt Tsukuhana dem Paulaner Wiesnbier. "Es schmeckt sehr klassisch."

Erst am Abend zuvor haben sie Weißbier und Pils getestet. "Das hier ist aber besser!", sagt der Experte. Sogar so gut, dass es mit dem Suntory mithalten könne, lobt der stellvertretende Brauerei-Boss. Die erste Maß ist schnell getestet. Merken die Herren schon etwas von der Wirkung? Da kann der Herrscher über Suntory nur lächeln. "Da muss ich erst noch vier Maß trinken!"

Foto: Robert Haas

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Österreicher:

Als es Georg Mayrhofer 1983 zum ersten Mal in das Augustiner-Festzelt verschlug, schoss es dem damals 19-Jährigen durch den Kopf: "Ich weiß zwar nicht, wo das Paradies ist - aber ich kann nicht weit davon entfernt sein." Diese Faszination hatte Konsequenzen. Seit Jahren verlegt der zweifache Familienvater seinen Wohnsitz von Klosterneuburg bei Wien vorübergehend auf die Theresienwiese. Dort hält Mayrhofer in der Maibaumräuberbox Hof. Nicht für einen Abend, sondern gleich für das ganze Oktoberfest. Schon bei den ersten Wiesnbesuchen verspürte er das Bedürfnis, "sich aus der Anonymität der Masse hervorzuheben". Er nennt sich fortan Wiesnschurli und lässt sich von seiner Frau Hemden besticken. Für jeden Tag eines. "Die ersten zehn Jahre waren schon hart - da hat niemand auf mich gewartet", erinnert sich Mayrhofer.

Über die Jahre hat es der Selbstvermarktungsprofi aber tatsächlich zu so etwas wie einer Institution auf dem Oktoberfest gebracht. Mit eigener Homepage, eigenen Autogrammkarten, eigener Trachtenkollektion. Vor seiner 25. Wiesn hat sich Mayrhofer in diesem Frühjahr sogar seinen Spitznamen beim Patentamt schützen lassen.

Und statt dem einfachen Biertisch aus Fichtenholz, steht nun ein kunstvoll mit den Münchner und Klosterneuburger Wappen verzierter Tisch aus Ahornholz in seiner Stamm-Box. Und nicht nur das Wappen erinnert ihn an sein Heimatland. "Jede zweite Bedienung kommt aus Österreich, jedes zweite Hendl - und die Bierkrüge sowieso." An die 5000 Euro budgetiert der Chef einer Tischlerei für den Party-Marathon. "Wie ich das durchhalte? Das ist alles eine Frage der mentalen Stärke."

Foto: Robert Haas

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