Historie erwandeln:Überleben in der Nische

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Die gediegene Isabellastraße in Schwabing, benannt nach Prinzessin Isabella Marie von Bayern, ist bis heute ein Hort für Individualisten.

Von Barbara Hordych

Widerständler in großbürgerlichen Wohnburgen: In dem hellgrau gestrichenen Wohn- und Verlagsgebäude Isabellastraße 20 (links vorne) traf sich während der Nazizeit der konspirative Kreis um den evangelischen Verleger Albert Lempp. (Foto: Robert Haas)

Von den gediegenen Altbau-Fassaden der Isabellastraße, benannt nach Prinzessin Isabella Marie von Bayern, Tochter des Prinzen Adalbert von Bayern, sollte man sich nicht täuschen lassen. Bot und bietet die Straße, die Maxvorstadt mit Schwabing verbindet, doch schon immer eigenwilligen Geistern eine Heimstatt. Das beginnt mit dem Ein-Saal-Arthouse-Kino "Studio Isabella". Dessen Eingang zwar in der Neureuther Straße liegt, das aber die meisten Zuschauer durch die Seitentür verlassen - und damit auf der Isabellastraße stehen. Louis Anschütz übernahm das kleine Kino 1980 von dem Münchner Filmpionier Fritz Falter. Erwarb zwischenzeitlich noch dazu das Türkendolch, das Neue Rottmann, das Neue Arena und das Filmcasino am Odeonsplatz. Von all seinen Kinos ist ihm nur noch das Studio Isabella geblieben, das im vergangenen Jahr seinen 101. Geburtstag feierte.

Seit mehr als 100 Jahren der Filmkunst verschrieben: das Arthouse-Kino "Studio Isabella". (Foto: Robert Haas)

Davon künden noch immer die Leuchtbuchstaben auf der Anzeige, mehr passiert coronabedingt derzeit natürlich nicht. Anschütz selbst lege gerne die wenigen Meter zum Salon Irkutsk in der Isabellastraße 4 zurück, erzählte der Maler, Pianist und Gastronom Wanja Belaga einmal. Vor zehn Jahren gründete er die slawische Wohnzimmer-Bar mit ihrem speziellen Angebot von Borschtsch, Wodka und Ausstellungen lokaler Künstler. Seit vier Jahren führt sein früherer Mitarbeiter Daniel Richter sie weiter; von 17 Uhr an reicht er jetzt täglich Aperitifi durch das Fenster, dazu gibt es Pelmeni, die russischen Teigtaschen. Weiter hoch geht es zu dem Laden Caravanserai, in dessen Inneren Teppiche, Kunstgegenstände, antiker Schmuck und Kleidung aus Zentralasien lagern. Seit 30 Jahren führt Heidrun Niemann, die in den Sechzigerjahren mehrere Jahre in Afghanistan lebte, Indien und Nepal bereiste, auf 150 Quadratmetern ihre Kreuzung aus Galerie und Geschäft. Bis heute bereist sie mit ihrer Tochter den Orient und Indien, dazu betreibt sie den Museumsshop im Museum Fünf Kontinente. Niemann erinnert sich noch gut an die kleinen Antiquitätenläden in der Isabellastraße, die bis auf das Geschäft von Mona Krätzler - "sie ist noch länger hier als ich" - am Ende in der Hausnummer 49 inzwischen alle aufgegeben hätten, erzählt sie. Weiter hinauf geht es vorbei am Café Clara, vor dem die Gäste jetzt nicht an Tischen sitzen, aber geduldig Schlange stehen. In den großbürgerlichen Wohnburgen zu beiden Seiten zeugen die ausladenden Fenster im Erdgeschoss noch von den einstigen Läden, die über die Jahre verschwunden sind; hinter den Scheiben verstecken sich heute Büros, die ihre Schaufenster mit Milchglasscheiben vor den Blicken schützen.

Die in feinem Grau gestrichene Hausnummer 20, ehemals Wohn- und Verlagsgebäude, ist bis heute im Besitz der Familie Lempp. Der evangelische Verleger Albert Lempp hatte den Mut, theologische Literatur unter den Repressalien der Nazis zu verlegen; dazu entwickelte sich die Wohnung der Lempps zu einem konspirativen Treffpunkt für den "Lempp'schen Kreis", der auch Fluchthilfe für jüdische Bürger leistete. Die gelb gestrichene Hausnummer 22 mit ihren geschweiften Balkonen, markanten Fenstern und Erker, 1907 erbaut von Adolf Wentzel, ist einer jener Jugendstil-Bauten, wegen der Schwabing so beliebt ist. Weiter oben, in dem Neurenaissance-Bau mit der Nummer 40 aus dem Jahr 1890, hatte einst Künstler Alexeij Sagerer seine Aufführungsräume. Theater heute charakterisierte den eigenwilligen Theatermacher, der vor mehr als 50 Jahren das "ProT", das sogenannte Prozessionstheater gründete, als einen der "letzten freien Radikalen".

© SZ vom 01.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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