Maxvorstadt:Klein-Venedig

Lesezeit: 3 min

Die Ausstellung "Seeerlebnis Türkengraben" basiert auf dem sogenannten Türkengraben, mit dem Kurfürst Max Emanuel Anfang des 18. Jahrhunderts die Residenz mit dem Schloss Schleißheim verbinden wollte

Von Birte Bredow, Maxvorstadt

Das blau-weiße Straßenschild der Nordendstraße geht langsam in eine rot-weiße Flagge über, die im Wind flattert. Der Reifen eines Fahrrades auf grauem Asphalt wird zum Bug eines Segelschiffs in dunklem Wasser. Impressionen aus der Maxvorstadt und vom Greifswalder Bodden, die ineinander verschwimmen - von einem Beamer auf ein Segel projiziert. In der Scheibe des Schaukastens der U-Bahn-Galerie im Zwischengeschoss der Haltestelle Universität spiegeln sich die orangen und blauen Hinweisschilder, die zu den Linien drei und sechs leiten. Dahinter ein fast mannshohes Bildnis des Kurfürsten Max Emanuel mit einem Paddel aus hellem Holz. Vergangenheit und Gegenwart, Festland und Meer, München und Greifswald: Die Ausstellung "Seeerlebnis Türkengraben", reißt viele Themen an. Entwickelt haben die Aktion Teilnehmer eines Seminars der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Leiter Nikolaus Witty hat sich mit den Studenten der Kunstwissenschaften mit der Frage "Was bedeutet Gestaltbarkeit von urbanem Lebensraum?" beschäftigt. Ausgehend von dieser Idee, gingen sie unterschiedlichen Aspekten nach. In den Straßen der Maxvorstadt, in Archiven und Bibliotheken, aber auch an Bord eines historischen Segelschiffes auf der Ostsee. Einige der Fragen prangen jetzt an der Scheibe der Galerie, zum Beispiel: "Was hat es überhaupt mit Lustschifffahrt und Treideln auf sich?"

Den Ausgangspunkt bildet der sogenannte Türkengraben. Kurfürst Max Emanuel wollte Anfang des 18. Jahrhunderts die Residenz am Odeonsplatz mit dem Schloss Schleißheim verbinden, um den Transport von Waren und Baumaterialien zu erleichtern. Der Kanal, der "nouveau canal de Schleißheim", wurde nie vollendet, sondern endete auf Höhe des jetzigen Petuelrings; auch die bereits gebaute Streckeverschwand. Der heutige Name entstand aus dem Irrglauben, dass türkische Kriegsgefangene den Graben gebaut hätten. Noch immer lässt sich der ehemalige Wasserweg in der Maxvorstadt nachvollziehen: Wo Nordend- und Belgradstraße eine Diagonale im rasterförmig angelegten Viertel bilden, glitten vor ungefähr 300 Jahren Gondeln und Lastkähne über das Wasser.

Aus Erfahrung klug: Um einen Eindruck von Schifffahrt zu bekommen, segelte Yoshi Rube auf der Ostsee. (Foto: Privat)

Weitreichende historische Erklärungen liefert die Ausstellung allerdings nicht. Sie zeigt Aquarellzeichnungen, Karten, Fotos der segelnden Studenten und historische Anker. "Wer auf dem Weg zur U-Bahn ist, hat nicht viel Muße. Die Galerie ist deshalb nicht der passende Ort, um Passanten zu belehren und informieren", sagt Nikolaus Witty - es geht um einen Augenblick und darum, die Aufmerksamkeit der Passanten auf die Installationen hinter den Glasscheiben lenken.

Geschichte erlebbar zu machen, ist einer der Ansätze, den der freiberufliche Dramaturg verfolgt. Was waren die Herausforderungen für die Menschen in der vorindustriellen Zeit? Wie viel Kraft braucht es, ein Segel zu setzen? Welche Anstrengung war wohl nötig, um den Türkengraben auszuheben? Auf dem historischen Fracht-Logger "Lovis" wollte die Gruppe ein Gefühl für die Schifffahrt bekommen. Yoshi Rube und Ronja Pawellek haben an dem Segeltörn teilgenommen. Ein Eindruck ist geblieben ist: "Die Gemeinschaft ist etwas Besonderes, ein bisschen wie unter einer Glocke. Jeder ist auf jeden angewiesen."

(Foto: Privat)

Kann man ausklammern, dass für viele Flüchtlinge das Schiff für eine unsichere Zukunft steht? Auch diese Frage kam bei den Studenten auf. Obwohl die Ausstellung zum Begleitprogramm der Friedensoper "Zaide" gehört, bei der Flüchtlinge gemeinsam mit einheimischen Künstlern auftreten, hat sich die Projektgruppe dagegen entschieden, dieses Thema explizit zu thematisieren: "Wir wollten uns keine politische Diskussion aufzwingen lassen." Die Verbindungen seien eher assoziativ, trotzdem für manche Teilnehmer durchaus präsent. Pawellek erinnert sich an einen Augenblick, an dem sie auf dem Segelboot stand, umgeben von dichtem Nebel, kein Land in Sicht, vom Wasser nur durch einen Zentimeter Stahl getrennt. "Da hatte ich die Bilder von den Schlauchbooten mit viel zu vielen Menschen im Kopf - und für einen Moment war die Distanz zu diesen Nachrichten viel kleiner."

"Seeerlebnis Türkengraben" beantwortet die Fragen nicht, die aufgeworfen werden. Das sei aber laut Witty auch nie das Ziel gewesen. Das Projekt soll Lust auf eigene Erfahrungen und Erlebnisse machen. Rube ergänzt: "Wir wollen dazu anregen, sich Gedanken zu machen und Antworten zu finden."

"Seeerlebnis Türkengraben": zu sehen bis Donnerstag, 23. Februar, im Zwischengeschoss des U-Bahnhofes "Universität".

© SZ vom 25.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: