Maxvorstadt:Die Schönheit des Furchtbaren

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In farbgewaltigen Abstraktionen aus der Vogelperspektive zeigt Vicky Anna Lardschneider in der U-Bahn-Galerie Bilder brutaler Vergehen des Menschen an der Natur

Von Franziska Gerlach

Das Bild ist Grün. Mit Grün. Und Grün. Selbst jetzt, da es mit acht anderen im Zwischengeschoss der U-Bahnhaltestelle Universität ausgestellt ist, scheinen Apfel-, Limonen- und Pistaziengrün noch immer ineinander zu fließen. Ein sanft wogendes Meer der Acrylfarben, dessen Anziehung sich der Betrachter nur schwer entziehen kann. Man muss sich schon ganz bewusst dafür entscheiden, dieses strahlend schöne Kunstwerk nicht anzuschauen. Sich zwingen, die Augen zu schließen, wenn man daran vorbeiläuft. Oder den Kopf wegzudrehen. Und genau dieser Sogkraft wegen macht sich Vicky Anna Lardschneider in ihrer Ausstellung "Spuren und Narben" das Schöne auch zu Nutze, um auf das Hässliche aufmerksam zu machen. Ein Trick, quasi.

Tatsächlich trägt das grüne Farbspektakel auf Plexiglas nämlich den Titel "Glyphosat II", ist also nach dem umstrittenen Unkrautvernichtungsmittel benannt. Auch mit ihren anderen Bildern, die die Münchnerin den gesamten März über in der U-Bahn-Galerie des Bezirksausschusses Maxvorstadt an der Universität zeigt, möchte sie aufklären über die verheerenden Folgen, die der Eingriff des Menschen in die Natur hat. Die Brandrodung am Amazonas, der Abbau von Gold in Peru oder die Förderung von Eisenerz in Schweden etwa werden bei Lardschneider - inspiriert von Aufnahmen des US-amerikanischen Fotografen J. Henry Fair und seines Münchner Kollegen Tom Hegen - zu farbgewaltigen Abstraktionen aus der Vogelperspektive. "Ich bin der Überzeugung, dass das bizarr Schöne des Furchtbaren den Betrachter dazu bringt, inne zu halten, nachzudenken und zu reflektieren", liest die Künstlerin, 27 Jahre alt, aus einem Flyer vor, in dem sie ihre künstlerischen Prinzipien zusammengefasst hat. Weil man das Hässliche und Abstoßende nun einmal viel eher links liegen lasse. Kenne ja jeder von sich selbst. Als sie das sagt, ist der Kaffee mit Hafermilch, den sie sich eine knappe Stunde zuvor in einem Café des Univiertels in ihren Thermobecher hat füllen lassen, längst ausgetrunken. Lardschneider, helle Jeansjacke und ein filigranes Kettchen um den Hals, sitzt auf einer Bank und blinzelt in die Sonne, es ist eines dieser Gespräche, die unbeschwert beginnen und mit einem Kloß im Hals enden. Denn natürlich hat die Künstlerin, die Architektur in Innsbruck studiert hat und später als "Junior Designerin" in Vancouver Überstunden schob, vollkommen Recht, wenn sie sagt: "Der Mensch glaubt, dass er sich den Planeten zum Untertan machen kann. Dabei müsste er doch wissen, dass die Natur immer siegt. Siehe Corona."

Brennt für ihre Kunst: Vicky Anna Lardschneider, 27, hat sich ausführlich mit Themen wie Brandrodung oder Tiefseebohrungen befasst. (Foto: Yoav Kedem)

Und auf gewisse Weise hat das Coronavirus sie sogar dazu animiert, sich der industriellen Verschmutzung anzunehmen. Im Juli 2019 debütiert die Münchnerin mit einer Serie über Wasserlandschaften, was ziemlich konsequent ist für jemanden, der Wasser sein Element nennt: Die Sommer ihrer Kindheit verbringt Lardschneider am Chiemsee, als junge Erwachsene wird sie von einem längeren Aufenthalt in Nordamerika - zunächst war sie in Kanada und dann noch drei Monate auf Hawaii - mit einem Containerschiff nach Europa zurückkehren. Als sich die Welt im März 2020 aber erstmals in einen kollektiven Lockdown verabschiedet, liest sie in einem Naturschutzmagazin, dass illegale Waldrodungen im Amazonas-Gebiet seit Beginn der Pandemie zugenommen haben. Die Nachricht nistet sich in ihren Gedanken ein: Wochenlang vertieft sie sich in Abhandlungen über Brandrodung, Phosphatdüngung und Aluminiumproduktion, sie beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Kohleabbaus und Tiefseebohrungen auf die Umwelt und formuliert dieses neu erworbene Wissen zu Texten aus, die auf ihrer Homepage nun neben ihren Bildern stehen. Diese aufwendige Recherche betreibt Lardschneider allerdings nicht, um ihre Kunst dem Klischee der Inhaltsleere zu entreißen, dessen sich die Abstraktion bisweilen erwehren muss. Sondern weil sie für das Thema brennt.

Die Farben lässt sie frei und ungehemmt über Leinwände oder Plexiglas fließen, erst am Ende greift die Künstlerin in das Geschehen ein. Mit einem Stück Karton leitet, bremst oder verstreicht sie die Farbe, sie pustet oder kippt die Leinwände, für den Effekt vertrockneter Erde trägt sie manchmal noch Spachtelmasse auf. Immer aber blickt sie von oben auf das künstlerische Geschehen, das sich in diesen Momenten entfaltet, denn nur durch die Vogelperspektive lasse sich eine "gesunde Distanz" wahren. Diese Distanz wiederum ist wichtig für die junge Künstlerin, in der so viele Kräfte zu wirken scheinen: Eine kaum zu stillende Sehnsucht nach Hawaii zum Beispiel sowie ein kreativer Freigeist, der sie 2019 ihren sicheren Job in einem Münchner Architekturbüro kündigen lässt, weil sie sich ganz der Malerei widmen will. Doch Lardschneider ist eben auch eine Frau, die gründlich nachdenkt. Und die doch eine Weile brauchen soll, ehe sie den Rat eines Freundes befolgt und ihre Bilder auf Instagram postet. Die Botschaft: Hey, schon gewusst? Ich mache auch Kunst.

"Spuren und Narben": Das Schöne bekommt in der Regel unsere Aufmerksamkeit, beim Hässlichen blicken wir weg. Diesen Umstand macht sich Künstlerin Vicky Anna Lardschneider zu Nutze, wenn sie wie hier die verheerenden Auswirkungen des Braunkohle-Abbaus auf die Landschaft zeigt. (Foto: Yoav Kedem)

Als es dann endlich raus ist, gibt es kein Halten mehr. Damals noch ohne Atelier, arbeitet Lardschneider von früh bis spät an ihren Bildern, die Fenster ihrer Wohnung weit offen, damit die Dämpfe der Acrylfarben abziehen können. Und sie zieht alle Register des Selbstmarketings: Zur Vernissage ihrer ersten Einzelausstellung in Garching kommen im Sommer 2019 mehr als einhundert Gäste, sie verkauft 13 von 35 Bilder. "Das hat mir Selbstsicherheit gegeben", sagt Lardschneider und reckt das Kinn. Es ist die Geste einer Quereinsteigerin, die genau weiß, dass man es als Autodidakt nicht leicht hat, gerade im konservativen München. Und die vielleicht gerade deshalb mit besonders viel Durchsetzungsvermögen und Einfallsreichtum auffällt. Momenten ist sie in Gesprächen mit einer Hamburger Galeristin. Auch die Ideen gehen ihr nicht aus. Der Kot von Schweinen etwa werde pink, wenn den Tieren Antibiotika verabreicht würden, erläutert die Münchnerin. Noch ein Vergehen des Menschen an der Natur.

© SZ vom 13.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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