Marteria in München:Raus aus der Nische

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Marterias neues Album "Zum Glück in die Zukunft II" ist sprachverliebt, poetisch und smooth. (Foto: N/A)

Wer Rap mag, aber mit dem stumpfen Gelaber von Bushido und Haftbefehl nichts anfangen kann, hört derzeit Marteria. Bei seinem Auftritt in München zeigt der kluge Rapper, warum er zu Recht im Mainstream angekommen ist.

Von Thierry Backes

Paul Bühre, 15, ist für sein Alter ein ziemlich reflektierter junger Mann. Im Zeit-Magazin hat der Berliner Gymnasiast letzte Woche erklärt, was ihn bewegt, er hat über Facebook geschrieben, über Unterhosen, die jetzt wieder unter der Hose getragen werden und über einen Kumpel, mit dem er keine drei Minuten reden kann, "ohne dass er piept, klingelt oder blinkt". Irgendwann geht es um das, was Bühre "richtige Mucke" nennt, um Bushido, Kollegah, Haftbefehl. "Aber keine Sorge", schreibt er, "diese Phase sollte nicht andauern, da man die zehn Vokabeln, auf denen die Texte basieren, irgendwann mal kennt und satthat: Prada, Lambo, Nutte, Hurensohn, Babo, reich, geil, verfickt und schließlich ficken, fick dich."

Dem lässt sich nur schwer etwas hinzufügen, außer vielleicht das: Marteria, lieber Paul, zieh' Dir Marteria rein. Das ist jener kluge Rapper aus Rostock-Lichtenhagen, auf den sich gerade alle einigen können, und alle meint in dem Fall nicht nur die Feuilletonisten und die Popwellen-Planer. In der ausverkauften Münchner Tonhalle stehen am Sonntagabend nebeneinander an der Bar: ein Student im Ärzte-Tourshirt, ein Mädel mit weitem Tanktop, Kreolen und Flat Cap, ein bärtiger Typ im Dirk-Nowitzki-Trikot und ein sauber rasierter Mittdreißiger im Fred-Perry-Polo.

Kindische Freude im Gesicht

Sie verbindet wohl, dass sie mit dem stumpfen Gelaber eines Bushido oder Haftbefehl nicht viel anzufangen wissen. Marterias neues Album "Zum Glück in die Zukunft II" ist genau das Gegenteil davon: sprachverliebt, poetisch, smooth und kantig von The Krauts produziert. Doch ganz gleich, ob die Fans diesen Marten Laciny nun für einen großen Dichter halten oder in ihm den Popstar sehen, der er längst ist; ob sie nun Marteria sehen wollen oder Marsimoto, dessen fieses Alter-Ego, am Ende gehen sie zumindest verschwitzt nach Hause.

So verschwitzt wie der da oben: Knapp zwei Stunden hüpft Marteria unermüdlich, treibt die Leute an und sucht den Kontakt, lächelt stets, irgendwann zwingt er sogar die komplette Halle auf die Knie. Immer wieder ruft er "München, Ihr seid die Besten". Das ist Pose, keine Frage, doch an der kindischen Freude in seinem Gesicht lässt sich ablesen, dass hier einer zu Beginn seiner bislang größten Tournee zu verstehen beginnt, dass er fortan nicht mehr nur die Nische begeistert, die er sich mit Songs wie "Endboss" erobert hat, sondern die Masse. Marteria ist jetzt Mainstream, und das ist okay für einen 31 Jahre alten Musiker, der fast mal Profifußballer geworden wäre, dann lange Model war und nun einen Wohlstandsbauch spazieren trägt.

Aus den neuen Tracks hat er sich eine furiose Rampe in den Abend gebastelt, er startet mit "OMG!" und feuert bald "Kids (2 Finger an den Kopf)" hinterher, die beiden ausgemachten Hits von "Zum Glück in die Zukunft II". So etwas tut nur einer, der sich sicher ist, dass da noch was kommt.

Nach gut 40 Minuten hat er fast das komplette Album gespielt und verschwindet erst einmal von der Bühne - kurz nachdem ein Typ in Hansa-Rostock-Montur zu "Bengalische Tiger" einen Bengalo mitten im Publikum gezündet hat. Wenig später kehrt Marteria als Marsimoto zurück, es beginnt das zweite Konzert.

Dichte Nebelschwaden, grünes Licht, Fratzenmaske, silbernes Glitzerkostüm. Lautes Gedonner, eine grob verzerrte E-Gitarre, dreckige Beats, dazu Marsimotos gepitchte Mickey-Maus-Stimme. "Grüner Samt", "Ich bin dein Vater", "Grünes Haus" - drei Songs von der anderen Seite der Macht, mit der Wut eines jungen Delinquenten gegen die Wand eines heruntergekommenen Häuserblocks geschmettert.

Vielleicht ist das auch der Moment, in dem Paul Bühre Zugang zur Musik finden könnte. Für die Menschen in der Münchner Tonhalle ist es der Moment, an dem sie sich freuen, dass sie diesen Marteria noch einmal hier erleben durften. Schon beim nächsten Auftritt wird er nach Freimann ziehen, in die hässliche, aber ungleich größere Halle namens Zenith, in der nichts mehr so sein wird wie es vorher mal war.

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