Marionettentheater:Ins Licht treten

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Seit 25 Jahren bespielen Cilli und Mathias Ueblacker ihre "Blaue Marionettenbühne". Grimmsche Märchen zeigen sie nicht nur bei Puppenspielwochenenden an der Schwabinger Rudolf-Steiner-Schule, sondern auch in Israel und Rumänien

Von Barbara Hordych

Die Farben und das Licht nehmen einen als erstes gefangen, wenn sich der Vorhang der Blauen Marionettenbühne öffnet: In warme und leuchtende Orange-und Rottöne ist das Geschehen getaucht. "Oh" und "Wow" ertönt es aus dem Publikum - etwa dreißig Kinder im Vorschulalter haben sich zur Vorführung des Märchens vom "Königssohn, der sich vor nichts fürchtet" auf den Sitzbänken verteilt. Es ist Puppenspielwochenende an der Rudolf-Steiner-Schule in Schwabing, und Cilli und Mathias Ueblacker spielen wieder ein Grimmsches Märchen in ihrer Stammbesetzung: Vier Spieler, ein Beleuchter, eine Erzählerin und eine Harfinistin. Erzählt wird von einem Königssohn, der das Elternhaus verlässt, um "in die weite Welt zu gehen und wunderliche Dinge zu sehen". Wunderliches begegnet ihm und dem gebannt lauschenden Publikum dann tatsächlich, vom Riesen, der einen leuchtend roten Apfel vom Baum des Lebens von ihm verlangt bis hin zur schwarzen Jungfrau, die ihn bittet, sie zu erlösen. Dafür soll er drei Nächte in dem Saal eines verzauberten Schlosses verbringen, ohne Furcht und ohne einen Laut von sich zu geben. Einerlei, wie sehr ihn zahlreiche kleine Teufel auch piesacken und quälen. Der Prinz hält Wort. So dass die Jungfrau zu seiner großen Freude von Tag zu Tag weißer wird: Erst sind es nur ihre Füße, die die Farbe wechseln, dann geht die Veränderung bis zu den Fingerspitzen, schließlich steht sie am Ende des dritten Tages ganz verwandelt, "schneeweiß und schön wie der helle Tag" vor dem Prinzen - und dem applaudierenden Publikum.

Seit nunmehr 25 Jahren bespielen die ehemalige Kinderkrankenschwester Cilli, 68, und ihr Mann Mathias, 73, Architekt und pensionierter Denkmalpfleger im Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, ihre Marionettenbühne mit Märchen der Brüder Grimm. Die aus Lindenholz geschnitzten Marionetten, die Kostüme, das Bühnenbild, das Beleuchtungspult, die gesamte Bühnenkonstruktion sind von dem Ehepaar Ueblacker selbst entworfen und gebaut. Anleitung holten sie sich bei einer professionellen Holzschnitzerin. Die Guckkastenbühne, bei der die Spieler durch die Bühnenwand verdeckt sind, ist zerlegbar und "passt in einen Passat" wie Cilli Ueblacker im Anschluss an die Aufführung erklärt. Weshalb sie auch immer schon zu Gastspielen fuhren, in Deutschland, in Österreich, in Italien und in der Schweiz.

Die Klagen über kurze Aufmerksamkeitsspannen zwischen Bits und Bytes sind ihnen bekannt - schließlich haben sie nicht nur drei Kinder, sondern auch schon Enkel. Die Zeit zurückzudrehen ist unmöglich, da hegen sie keine Illusionen. "Aber wir wollen mit unseren Aufführungen, denen durch das Vorlesen und das Puppenspiel eine scheinbare Langsamkeit anhaftet, zeigen, dass es noch andere Arten des Erlebens gibt", sagt Mathias Ueblacker. "Wenn wir nach der Aufführung in die Kindergesichter schauen, dann zeigen die eine ganz andere Lebendigkeit, als wenn sie eine Dreiviertelstunde lang vor dem Fernseher gesessen hätten", meint Cilli Ueblacker. "Etwas in ihnen ist in Schwingung geraten, sie sind bewegt", ergänzt ihr Mann Mathias. Die Rudolf-Steiner-Schule mag da sowieso als ein besonderes Biotop gelten, wird dem künstlerischen und handwerklichen Arbeiten an den Waldorf-Schulen doch ein hoher Stellenwert eingeräumt. So hat Cilli Ueblacker an der Schule jahrelang ehrenamtlich Kurse in Marionettenbau gegeben. Dazu kommen viele Kinder aus Elternhäusern, in denen mit Medien zurückhaltend umgegangen wird.

Um aber die Waldorf-Nische zu verlassen, war es den Ueblackers von Anfang an wichtig, ihre Vorstellungen für alle Interessierten zu öffnen - an den Puppenspielwochenenden kommen denn auch Zuschauer aus anderen Stadtteilen Münchens. Für den Schwabinger Kunstpreis war die Blaue Marionettenbühne übrigens auch schon nominiert. Bekommen haben die Ueblackers den Preis allerdings nicht. "Dafür haben wir jetzt eine schöne Zusammenstellung aller unserer Inszenierungen", sagen die passionierten Puppenspieler, während sie sich durch einen DIN-A4-Ordner blättern, der einen poetisches Bilderreigen von "Dornröschen" über "Schneewittchen" bis hin zu "Frau Holle" entfaltet.

Gastspiele nur in deutschsprachigen Kindergärten und Schulen waren ihnen allerdings nicht genug. Denn sie wollten auch die Kinder erreichen, "die sonst keine Gelegenheit haben, etwas Derartiges zu sehen", sagt Cilli Ueblacker. Da die große Guckkastenbühne zwar transportabel, aber mit jeweils sechs Stunden Auf- und Abbau doch sehr aufwendig ist, kreierten sie zwei kleinere Ableger ihrer "XXL-Bühne": Zum einen eine mobile Wanderbühne, die sie zu zweit bespielen und in jeweils einer Stunde auf-und abbauen können; zum anderen eine "Kofferbühne", bei der alle Requisiten so gebaut sind, dass sie in einem alten Koffer verstaut werden können, der das zulässige Fluggewicht gerade einhält. So reisten sie 2014 quer durchs Westjordanland, wo sie für arabische Schüler in der israelischen Stadt Shfar'am und für behinderte Erwachsene in Be'er Sheva spielten. Im Gepäck hatten sie das Märchenspiel von "Jorinde und Joringel". Darin kommt eine Wunderblume vor, die alles öffnen und heilen kann, "ein Phänomen, bei dem wir dachten, dass es auch Kinder aus einem anderen Kulturkreis verstehen", sagt Cilli Ueblacker.

Im Juni dieses Jahres brachen sie mit ihrer Kofferbühne nach Rumänien auf, wo sie in Schulen in Sibiu-Hermannstadt und für Roma-Kinder in Rosja und Balan spielten. "Dort wachsen Kinder in Großfamilien in für uns kaum vorstellbaren Verhältnissen in Ein-Raum-Häusern auf", sagt Mathias Ueblacker. Der Gegensatz zu den Klassenräumen der Schwabinger Schule mit ihrem edlen Buchenparkett und den Rohholzdecken könnte kaum größer sein. Als Märchenspiel suchten die Ueblackers das "Meerhäschen" aus: Zum einen, weil darin Tiere eine Rolle spielen, was bei Kindern immer gut ankomme. Zum anderen aber auch, weil sie bei den Recherchen im Vorfeld herausfanden, dass das Märchen von eben dort, aus Siebenbürgen, stammt. Der sächsisch-siebenbürgische Volkskundler Josef Haltrich hatte es 1856 den Brüdern Grimm für ihre Märchensammlung überlassen. Von Seiten der Lehrer hieß es im Vorfeld, sie sollten sich darauf gefasst machen, dass die Kinder undiszipliniert und unkonzentriert seien, während der Vorstellung vielleicht aufstehen und rausgehen würden. Doch sie blieben sitzen. "Die Betreuer staunten nicht wenig, aber uns wunderte das eigentlich gar nicht", sagt Mathias Ueblacker. Schließlich sei das eine Erfahrung, die sie bei jeder Vorstellung machten. "Die Kinder haben ein großes Bedürfnis nach Ruhe, nach Farbe und Licht".

© SZ vom 02.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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