London-Reise des OB-Kandidaten:Strenge Sitten und ihre Ausnahmen

Lesezeit: 3 min

Die Gratis-Reise von Dieter Reiter scheint alles andere als zeitgemäß. (Foto: Robert Haas)

Dieter Reiter unter Druck: Die Staatsanwaltschaft will prüfen, ob die Gratis-Reise des Oberbürgermeister-Kandidaten womöglich gar nicht genehmigungsfähig war. Unzeitgemäß erscheint die Einladung jedenfalls, denn in Wirtschaft und Politik ist oft genau geregelt, was erlaubt ist und was nicht.

Von Klaus Ott

Als der SPD-Fraktionschef begann, aus der Dienstanweisung für Beamte zu zitieren, wurde es still im Saal. Alle hörten aufmerksam zu. Ein Staatsdiener habe jeden Anschein zu vermeiden, im Zusammenhang seiner Tätigkeit "für persönliche Vorteile empfänglich zu sein", lautete der Kernsatz. Es sei daher untersagt, Geschenke anzunehmen. Etwa Einladungen oder die Überlassung der Unterkunft.

Unzulässige Vorteile für Beamte seien immer gegeben, wenn der Geber sich davon leiten lasse, dass der Beschenkte ein bestimmtes Amt wahrnehme. "Ein Zusammenhang mit einer konkreten Amtshandlung ist nicht erforderlich." Das Verbot gelte also generell, schlussfolgerte der Redner der SPD. Seine Fraktion applaudierte lange.

Vor gut zwei Jahrzehnten war das, als Bayerns damaliger Ministerpräsident Max Streibl (CSU) wegen der Amigo-Affäre unter Druck geriet, die schließlich zu seinem Rücktritt führte. SPD-Fraktionschef Albert Schmidt las einst im Landtag die Richtlinien für Beamte vor, was für die CSU richtig peinlich wurde. Seitdem ist in Bayern eigentlich klar, dass führende Beamte und Politiker sich nicht einladen lassen sollten. Dem Vergnügen folgt der Ärger.

Diese Erfahrung macht jetzt auch Münchens Wirtschaftsreferent Dieter Reiter mit der Einladung des FC Bayern beim siegreichen Champions-League-Finale. Reiters Dienstherr, Oberbürgermeister Christian Ude, hatte zwar alles erlaubt. Und diese Genehmigung könnte Reiter juristisch helfen und ihn wegen eines "subjektiven Verbotsirrtums" vor einer Strafe bewahren. Aber politisch macht das die Sache für die SPD und ihren Oberbürgermeister-Kandidaten Reiter nicht besser. Was schon vor zwei Jahrzehnten für Bayerns Beamte (und nicht nur für die) galt, ist heute längst Standard in Politik und Wirtschaft. Bereits den Schein eines unzulässigen Vorteils gilt es unter allen Umständen zu vermeiden.

Viele Unternehmen haben sich, nach Schmiergeldaffären bei Siemens und anderen Konzernen, strenge Vorschriften gegeben. Manager und Mitarbeiter dürfen ihren Job nicht dazu benutzen, Vorteile anzunehmen oder sich auch nur zusagen zu lassen. Bei Siemens beispielsweise dürfen nur noch "Gelegenheits-Geschenke von symbolischem Wert" akzeptiert werden. Oder Einladungen zum Essen oder zu Veranstaltungen, sofern das in einem "angemessenen Rahmen" bleibe. "Alle darüber hinaus gehenden Geschenke, Essens- oder Veranstaltungs-Einladungen sind abzulehnen." Ein Siemens-Manager hätte nach diesen Richtlinien bestimmt nicht auf Kosten des FC Bayern zum Finale in London fliegen und dort mitfeiern dürfen.

Wie streng die Sitten inzwischen sind, bekam Anfang des Jahres Bertin Eichler zu spüren, Schatzmeister und Vorstandsmitglied der IG Metall. Eichler war als Aufsichtsrats-Vizechef des Industriekonzerns Thyssen-Krupp mehrmals in andere Kontinente verreist, um sich dort - ebenso wie andere Kontrolleure - über das Auslandsgeschäft zu informieren. Zum Verhängnis wurden ihm Flüge erster Klasse und die Einladung zu einem Formel-1-Rennen. Als das bekannt wurde, rumorte es in der IG Metall. Eichler gab zu, einen Fehler gemacht zu haben. Für einen Gewerkschafter im Aufsichtsrat sei "nicht alles richtig", was in dem Konzern zulässig und üblich gewesen sei. Der IG-Metall-Vorstand zahlte Thyssen-Krupp für die Flüge die Differenz zwischen First Class und Business Class zurück. Und im Herbst, wenn ein neuer Aufsichtsrat gewählt wird, tritt Eichler nicht mehr an.

Generell gilt: Politiker und Amtsträger mit repräsentativen Aufgaben haben einen größeren Spielraum als die übrigen Staatsdiener. So dürfen etwa Justizbeamte in der Regel nicht einmal einen Kugelschreiber annehmen. Von Staats- oder Stadtoberhäuptern und deren Vertretern wird hingegen erwartet, bei großen Ereignissen präsent zu sein. Nicht zum Fußball-Finale der eigenen Nation oder eines Vereins aus der eigenen Stadt zu kommen, wäre geradezu ein Affront. Aber was ist, jenseits der im Strafrecht geregelten "Vorteilsnahme", nun statthaft?

Die Sponsoren-Vereinigung S20 hat vor zwei Jahren zusammen mit dem Deutschen Olympischen Sportbund und dem Bundesinnenministerium dazu einen Leitfaden präsentiert. S20 wird von der Deutschen Bahn, Adidas, Telekom und anderen Konzernen getragen, die vor allem den Sport sponsern. Auch die Allianz, Namensgeber der Arena des FC Bayern, ist dabei. Im Leitfaden sind "positive Indizien" aufgelistet, die für die Annahme einer Einladung sprechen, und "negative Indizien", wann davon abzuraten ist. Als Malus gilt unter anderem die Übernahme der Reise- und Hotelkosten des Amtsträgers. Für diesen Fall wird vorgeschlagen, über das Konzept der Einladung nachzudenken und unter Umständen "bestimmte Elemente zu streichen". Auf Reiter bezogen hätte das bedeutet: Flug und Hotel zahlt die Stadt; Ticket und Teilnahme am Bankett gibt's gratis für den Stadt-Politiker. Dann wäre Reiter wohl erst gar nicht in die Kritik geraten.

So aber muss es sich der OB-Kandidat gefallen lassen, daran gemessen zu werden, was andere SPD-Politiker bei anderen Gelegenheiten getan, gesagt, gerügt haben. 2005 hat beispielsweise der damalige Bundesfinanzminister Hans Eichel verfügt, dass Beschäftigte des Zolls bei ihren Kontrollen nicht einmal mehr eine Tasse Kaffee annehmen dürfen.

© SZ vom 24.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: