SZ-Serie: München erlesen:Im Mahlwerk der Zeit

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Ernst Toller als Häftling: Fünf Jahre war er im Festungsgefängnis Niederschönenfeld eingesperrt. (Foto: SZ Photo)

Ernst Tollers hellsichtige Autobiografie "Eine Jugend in Deutschland".

Von Walter Gierlich

"Am Tag der Verbrennung meiner Bücher in Deutschland." Im Mai 1933 setzte der Schriftsteller Ernst Toller diese Worte an das Ende des Vorworts seines Buches "Eine Jugend in Deutschland". Schlaglichtartig schildert er darin "nicht nur meine Jugend", sondern zugleich "die Jugend einer Generation und ein Stück Zeitgeschichte dazu". Toller erzählt also zum einen sein Leben von 1893 bis zur Entlassung aus der Festungshaft und der Ausweisung aus Bayern 1924. Zum anderen stellt das Werk ein Dokument dar, in dem der Erste Weltkrieg, die bayerische Novemberrevolution 1918 und die Räterepublik 1919 in München die Hauptrollen spielen.

Es waren zwar insgesamt nur einige Monate, die der Dichter, der zu einem der meistgespielten Dramatiker der Zwanzigerjahre wurde, in der bayerischen Hauptstadt verbrachte, aber es sollte eine prägende Zeit für sein Leben wie auch für das Land werden: Auf die Ausrufung des Freistaats und die Euphorie der Revolutionszeit folgte die blutige Niederschlagung der Räterepublik und das Absinken in die reaktionäre Ordnungszelle des Reiches, wie sich Bayern damals selber nannte. Enttäuscht, fast verbittert über das Versagen der "Republikaner, die die Republik ihren Feinden auslieferten", konstatiert Toller im Vorwort: "Wer den Zusammenbruch von 1933 begreifen will, muss die Ereignisse der Jahre 1918 und 1919 in Deutschland kennen, von denen ich hier erzähle."

Geboren 1893 als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Familie in Samotschin, einer Kleinstadt in Westpreußen (heute Polen), erlebt der Autor als Kind Antisemitismus, sieht aber auch die Armut anderer Kinder. Nach dem Abitur studiert er beim "Erbfeind" in Frankreich, wo er seine Zeit nur mit deutschen Kommilitonen verbringt. "Wir dünken uns Pioniere einer höheren Kultur und beschließen den Abend, in dem wir die Fenster öffnen und 'Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt' singen."

Als der Krieg ausbricht, meldet sich Toller in München als begeisterter Kriegsfreiwilliger bei der bayerischen Armee. Vor Verdun merkt er später, an welch grausamem Schlachten er dort teilnimmt: "In dieser Stunde weiß ich, dass ich blind war, weil ich mich geblendet hatte, in dieser Stunde weiß ich endlich, dass alle diese Toten, Franzosen und Deutsche, Brüder waren, und dass ich ihr Bruder bin." Nach 13 Monaten an der Front wird er schwer krank und als kriegsuntauglich entlassen. Er studiert in München, kommt in Kontakt mit Kurt Eisner, dem Führer der USPD in München, wird Mitglied in dessen Partei und schließt sich dessen Streikbewegung Anfang 1918 an. Er landet im Militärgefängnis an der Leonrodstraße, wird erneut zum Militär geschickt und im Sommer entlassen.

Als am 7. November 1918 in München die Revolution ausbricht, wird Eisner zum Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern gewählt. Toller wird zum Zweiten Vorsitzenden des Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrats ernannt. Eisner wird im Februar erschossen, gerade als er nach verlorener Wahl seinen Rücktritt erklären will. Die neue Regierung flüchtet nach Bamberg, in München wird am 7. April die Räterepublik ausgerufen. Nach Einschätzung Tollers, der Vorsitzender des Zentralrats ist, "zeigt sich auch hier das Unwissen, das Ziellose, die Verschwommenheit der deutschen Revolution".

Er schildert detailliert die weitere Entwicklung: Übernahme der Räterepublik durch die Kommunisten, Marsch von Regierungstruppen und reaktionären Freikorps auf München, Toller als Truppenführer der Roten Armee und Sieger in der Schlacht von Dachau. Doch am 1. Mai besetzen die reaktionären "Weißen" München. "Bestialisch wütete der weiße Schrecken, siebenhundert Menschen wurden erschossen, Männer, Frauen und Kinder, Tausende wurden verhaftet, niemand war vor Denunzianten sicher." Toller gelingt es, sich einen Monat lang zu verstecken, ehe er verhaftet wird. "Zu fünf Jahren Festungshaft werde ich verurteilt, ich hätte das Verbrechen eines Hochverrats begangen, aber aus ehrenhaften Motiven."

"Eine Jugend in Deutschland" ist als Prosa wie als zeitgeschichtliches Dokument heute Tollers zu Recht meistgelesenes Werk. Trotz seiner Erfolge als Bühnenautor litt er immer wieder unter Depressionen, erst recht nach 1933 im Exil. 1939 beging er Suizid in New York.

Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland , Rowohlt, 176 Seiten

© SZ vom 02.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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