Linksaußen:Profit und Prophylaxe

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Corona verbreitet auch im Sport Panik - dabei hausen in jedem verschwitzten Eishockey-Handschuh mehr Viren, als jemals ein Bond-Bösewicht im Geheimlabor züchten könnte.

Von Johannes Schnitzler

Ein Spätzleschwob in Berlin. Hätte man ahnen können, dass das nicht gut ausgeht. Die Klinsmann-Chronicles sind seit Tagen das Thema in der suebophoben Hauptstadt, und nicht nur dort. In der Tat liest sich das 22-Seiten-Konvolut wie ein Bewerbungsschreiben für die Rolle als neuer Bond-Bösewicht. Wer nun aber glaubt, Klinsmann sei der einzige kaltherzige Schuft, der Mehrwertanalysen über Spieler und Vorstände verfasst, ist ein rettungsloser Romantiker. Schon Kultusministerin Marianne Hohlmeier legte einst Dossiers über Parteifeinde in der CSU an. Zwar steckt sie nicht jeder gleich an die Bild durch. Plus/Minus-Bilanzen gibt es aber in jedem Profiklub. Investoren wie Lars Windhorst, der 224 Millionen Euro in ein windiges Projekt wie Hertha BSC schießt, wollen ja wissen, was sie für ihr Geld bekommen.

Alternativ für 224 Millionen auch einen Neymar plus 1667 Goldsteaks à la Ribéry. Hätte keiner meckern können.

Wie penibel Investoren und Funktionäre auf Profit achten, darauf, dass die Aktiven die Aktiva auf dem Klubkonto mehren, und wie sehr sie sich davor fürchten, "die Seuche" zu haben, zu verlieren also, zeigt die Panik um Corona. Dabei handelt es sich nicht um dünnes mexikanisches Maisbier, sondern um ein Grippevirus, das laut Experten und Hobbyschamanen die Lungenkrankheit Covid-19 auslöst. Michael Scharold, Geschäftsführer und Gesundbeter des klinisch sauberen TSV 1860 München, riet vor der Partie gegen Chemnitz in einem internen Bulletin davon ab, den Gästen die Hände zu schütteln. Trainer Michael Köllner kündigte prophylaktisch an: "Ich werde keinem die Hände schütteln." Dabei verbreiten Rundmails und mit hohem Speichelausstoß verbundene Halbzeitansprachen mehr Viren als jeder Willkommensgruß.

Bei den Hachinger Alpenvolleys durften die Einlaufkinder am Samstag nicht mehr an der Hand der Spieler aufs Feld geführt werden (es hat sich ersten Zählungen zufolge trotzdem keins verlaufen), und selbst die robustesten Eishockeyspieler des EHC München begannen ob des Bangens der Liga um ihre Gesundheit vor Rührung zu schniefen: Auch die DEL hatte empfohlen, auf den obligatorischen Handshake nach der Partie zu verzichten.

Zwar hausen in jedem verschwitzten Eishockey-Handschuh ganzjährig mehr Viren, als jemals ein durchgeknallter Bond-Bösewicht in einem unterirdischen Geheimlabor züchten könnte (deshalb gilt es unter Spielern als höchst provokant, dem anderen mit dem miefenden Handschuh durchs Gesicht zu wischen). Aber man ist ja gesundheitsbewusst und verantwortungsvoll. Boxeinlagen mit der bloßen Faust werden auch strenger geahndet als solche mit Handschuhen. Hashtag Blauaugenepidemie.

Was daraus folgt: 1. Die Eroberung des chinesischen Markts, den jeder ambitionierte Amateurverein heute im Auge haben muss, birgt ungeahnte Risiken. 2. Man kann den Handschlag verweigern und trotzdem Gift verbreiten, siehe Klinsmann. 3. Wenn man sich nicht riechen kann, tut's zur Not auch mal ein schnelles Winkewinke. 4. Eine Hand wäscht am besten immer noch die andere.

© SZ vom 02.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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