Linksaußen:Einstein und die Idioten

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Eine Horde Hooligans in der Youth League, Eltern, wegen deren Streiterei ein Spiel abgebrochen wird, ein erwachsener Fußballer, der einen 13-jährigen Linienrichter ohrfeigt: Es ist Zeit, den Mund aufzumachen.

Von Andreas Liebmann

Der baumlange, hagere Mann sitzt entspannt auf einer Bank. Er blinzelt in die tief stehende Herbstsonne und zieht an einer Pfeife. Wer etwas über seine Tiere erfahren möchte, die rundherum zwischen Büschen und Bäumen in Gehegen zu sehen sind, den Steinadler, den Uhu, den Mäusebussard, Murmeltiere und Kreuzottern, der bekommt eine knappe, aber freundliche Auskunft; und wenn Kinder nett fragen und Glück haben, dürfen sie sogar eine Raubvogelfeder mit heimnehmen. Fragt niemand etwas, bleibt es still. Der Falkner verharrt so reglos wie sein Uhu. Man hört das Rascheln des Herbstlaubs. Es ist eine friedliche, beinahe meditative Stimmung. Und irgendwann fällt der Blick jedes Besuchers auf ein Schild an der Hütte dieses in sich ruhenden Mannes. Darauf steht neben dem Konterfei Albert Einsteins das Zitat: "Der Hauptgrund für Stress ist der tägliche Kontakt mit Idioten!"

80 (oder doch 800?) Vermummte knüppeln in Piräus drauflos

Es wäre dies nun eine ganz ausgezeichnete Gelegenheit, dem geneigten Sportleser Einsteins Relativitätstheorie näherzubringen, natürlich ganz kurz nur, in groben Zügen. Andererseits: Die meisten werden sie ohnehin auswendig kennen, und man will ja niemanden langweilen. Also bleiben wir doch lieber beim eigentlichen Thema: den Idioten.

Am vergangenen Dienstag ist in Piräus eine Horde Hooligans, mit Stöcken und Baseballschlägern bewaffnet, in den Fanblock des FC Bayern München eingedrungen. Sie knüppelten auf alles ein, das sich ihnen in den Weg stellte, offenbar darauf aus, Zaunfahnen zu erbeuten. Mit einigen davon brausten sie auf Motorrädern davon. Es waren ungefähr 80 (bei jenen 800, die die tz am Freitag online meldete, handelt es sich gottlob um einen Tippfehler), und das Ganze passierte nicht etwa während des Champions-League-Spiels, sondern in der Youth League - beim Duell zweier Nachwuchsmannschaften. Die griechischen Gastgeber entschuldigten sich umgehend für den Vorfall und versicherten: "Die Eindringlinge haben weder einen Platz in der Familie von Olympiakos, noch gehören sie der Familie an."

Schweigen ist - Kodex hin oder her - eben nicht die Lösung

Prima! Allerdings ist es ja so: Der Fußball, heißt es, sei ein Spiegel der Gesellschaft, und in jeder Gesellschaft wimmelt es zwangsläufig vor Idioten, ob man will oder nicht. Auch Familien sind nicht sicher. Deshalb wird es immer wieder verstörende Zwischenfälle geben, nicht nur im Profi-Bereich. Vor einer Woche hat ein Erwachsener in München einen 13-jährigen Aushilfslinienrichter geohrfeigt, einfach so, weil er dessen Entscheidung für falsch hielt. Ein E-Jugend-Spiel endete in Beschimpfungen und Drohungen, weil sich Eltern und Trainer in die Haare bekamen - während die Kleinen (ähnlich wie die U-19-Spieler von Bayern und Olympiakos) einfach nur spielen wollten. Der Unterschied: Bei den verdumm..., äh, vermummten Hooligans von Piräus handelte es sich nicht um eine spontane, emotionale, sondern um eine geplante Tat. Und ehe man allzu laut Beschwerde erhebt: Es ist nicht lange her, da lieferten sich etwa 100 Anhänger von FC Bayern, TSV 1860 und Carl Zeiss Jena eine offenbar verabredete Massenprügelei im Münchner Westend. Alle Verdächtigen schwiegen, getreu dem, was sie als ,Ehrenkodex' begreifen. Das alles ist für die meisten vernunftbegabten Menschen etwa so leicht nachzuvollziehen wie die Relativitätstheorie, wobei es sich bei letztererer wenigstens lohnen würde, dass man sie verstünde.

Es gibt noch so ein angebliches Albert-Einstein-Zitat zum Thema - das genau wie das obige trotz des Konterfeis in Wirklichkeit gar nicht von Einstein stammt: "Wer schweigt, stimmt nicht immer zu. Er hat nur manchmal keine Lust, mit Idioten zu diskutieren", heißt es. Nur: Für all jene Fußballfans, die wirklich Interesse an ihrem Sport haben, ist Schweigen - Kodex hin oder her - eben nicht die Lösung. Weil sie die Herrschaft in ihren Stadien sonst Idioten überlassen. Und dann wäre dies hier eine ganz ausgezeichnete Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, dass es rund um München auch andere schöne und weniger überhitzte Sportarten zu sehen gibt, bei denen es auf den Rängen friedlich zugeht. Und dass sich auch mal ein Wochenendausflug zum eingangs beschriebenen Adlergehege lohnt. Der Weg ist weit, raus aus der Großstadt, bis zum Obersalzberg. Dafür kostet es nicht mal Eintritt.

© SZ vom 28.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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