Linksaußen:Das zweite Waldsterben

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"Eiche" Gerland und "Tanne" Fichtel kicken nicht mehr und die Bayern wirken wie Trauerweiden. Nur den Münchner aus den Birken gibt es noch.

Kolumne von Johannes Schnitzler

Hach, war datt nich schön? Ata Lameck und Hermann Gerland am Dienstag im Bochumer Ruhrstadion: Zwei Haudegen, die sich - 70 mittlerweile der eine, 65 der andere - das Pokalspiel gegen den FC Bayern auf einem gepolsterten Sofa aus der Fankurve anschauten. Seite an Seite, so wie sie früher für den VfL verteidigten und Bochum den Nimbus der Unabsteigbarkeit erarbeiteten. Michael Lameck, dessen Spitzname "Ata" daher rührt, dass er sich als Kind beim Spielen so dreckig machte, dass seine Mutter ihn angeblich immer mit dem Scheuerpulver schrubbte. Gerland, den seine Mitspieler alle Eiche nannten.

Und es waren Kerle wie Bäume. Und sie traten gegen Bälle, die noch aus echtem Leder waren, das sich bei Regen zum Gewicht einer Kanonenkugel mit Wasser vollsog. Wer so eine Kanonenkugel aus dem Strafraum köpfeln konnte, trat auch sonst dem Leben furchtlos entgegen. Kerle wie Klaus Fichtel, gelernter Bergmann, der fast 600 Mal für Schalke und Bremen spielte und noch mit 43 Jahren ein letztes Mal in der Bundesliga seine Abwehr zusammenhielt. Ihn nannten sie Tanne (wie später "Tanne" Tarnat). Kerle wie Klaus Augenthaler, nach der Kaiser-Zeit Libero des FC Bayern, dessen Gesicht zerfurcht ist wie eine vom Buchdrucker befallene Fichte. Als Augenthaler den flinken Werder-Stürmer Völler schmucklos umsenste, war überall zu lesen, Augenthaler habe Völler "gefällt wie eine Eiche". Eine eilige Durchsuchung ergab zwar, dass Augenthaler weder Axt noch Motorsäge mit sich führte. Aber es waren die Achtziger, das Waldsterben das Thema der Stunde, man sorgte sich um jede zarte Pflanze.

Eiche, Fichtel, Tanne - alle weg. Nur Aus den Birken steht noch

Irgendwie sehnt man sich als Zeitzeuge nach den Gerlands, Lamecks, Augenthalers. Aber mit den Liberos und dem VfL Bochum ist auch die robuste Flora aus den Fußballstadien verschwunden. Die Tannen, Fichteln, Eichen - alle weg. Der einzige, der heute noch als Baum-Kerl steht wie eine Eins, ist der Münchner Danny aus den Birken, ein Eishockey-Torwart. Fußballer sind heute zerbrechlich wie Christbaumkugeln. Wenn sie gegen einen tropfnassen Lederball treten müssten, würden sie zersplittern wie Zuckerglas. Oder sie schleichen, wie die Bayern am Dienstag oder am Samstag in Frankfurt, wie Trauerweiden umher.

Wenn heute Bäume in einem Stadion auftauchen, dann handelt es sich um Kunst. Der Basler Klaus Littmann hat im Klagenfurter Wörthersee Stadion 299 Bäume aufs Spielfeld gepflanzt und die Installation "For Forest" genannt. Seine Idee: Weil es in der Stadt keine Bäume mehr gibt, geht man ins Stadion, um Birke, Eiche, Tanne zu sehen. Wie früher, nur anders. Er hätte sie auch "For Nottingham Forest" nennen können. Allerdings rückten sofort die Populisten an, mit Motorsägen, weil diese Bäume nicht aus Österreich stammen, sondern aus Belgien und - heast, san die deppert? - aus Deutschland. Diese Woche endete Littmanns "Kunstintervention", der Stadion-Wald wird nach draußen verpflanzt.

Im Augsburger Stadtwald gibt es jetzt sogar twitternde Bäume. Stündlich teilen sie über Sensoren mit, ob sie genug Wasser haben, ob es ihnen zu heiß ist oder zu windig. Könnten die Bäume in Klagenfurt twittern, vielleicht würden sie schreiben: "Die Douglasien da drüben haben hier gar nichts verloren. Die wollen uns nur unseren Grund und Boden wegnehmen." Vielleicht fänden sie die Idee von einem gesunden Mischwald aber gar nicht so schlecht. Und damit zurück ins Frankfurter Waldstadion, das natürlich längst ganz anders heißt.

© SZ vom 04.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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