Liegeradler:"Man fläzt ja auch lieber auf der Couch..."

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Tobias Melle über Vorurteile, Verletzungsgefahren und das Gefühl der Schwerelosigkeit beim Radeln im Liegen.

Interview von Birgit Lotze

Der Künstler, Fotograf und Musiker Tobias Melle ist Liegeradler der ersten Generation. Er fährt immer noch sein erstes Kurzliegerad, handgelötet vor mehr als zwanzig Jahren, und ist unterwegs mit dem Vorderrad zwischen den Kniekehlen. Für einen Alltagsradler überwindet er damit ordentliche Strecken: So fuhr er in zehn Tagen samt Gepäck nach Barcelona, immerhin stolze 160 bis 180 Kilometer am Tag.

SZ: Herr Melle, sind Sie ein Kauz?

Tobias Melle: Ein verschrobener Mensch, wieso das denn?

Ein gängiges Vorurteil über Liegeradler. Man kann noch drauflegen: alberner Kinderrad-Wimpel, darunter der Radler auf Hundeschnauzenhöhe unterwegs.

Natürlich gibt es auch unter uns Hardcoreleute, verschrobener als andere sind die aber auch nicht. Aber ich bin eigentlich Alltagsradler und habe auch noch andere, ganz unterschiedliche Fahrräder. Doch Liegeradeln ist klar die bequemste Radlart und die, mit der man schon wegen des geringen Luftwiderstandes am meisten Strecke macht.

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Wie beschreiben Sie im Gegensatz dazu das Fahren mit einem Holland-Rad?

Man sitzt ziemlich senkrecht, hat den Lenker eng vor dem Bauch und tritt senkrecht nach unten. Von der Ergonomie her ist das sehr ineffizient, schon weil die Bauchmuskeln nicht mitarbeiten.

Sie nützen also die Kraft auf dem Liegerad besser aus. . .

Nicht nur das, es ist auch saubequem. Man fläzt ja auch lieber auf der Couch als auf einem Bürostuhl. Verglichen mit dem sonst so kleinen Sattel verteilt sich der Druck vollflächig. Man ist völlig entspannt. Wenn man richtig Gas gibt, natürlich nicht mehr - dann drückt man sich in den Sitz rein und packt sämtliche Kraft in den Antrieb. Aber ist es eine gemütlich Tour, gleitet man fast schon schwerelos dahin und kann nach oben schauen.

Mit anderen Rädern ist das eher ein Krampf?

Das ist ja gleich zu sehen: Die Hände sind tief unten und kriegen Stöße ab, der Kopf streckt angestrengt nach vorne und belastet das Genick, dazu kommt dann auch noch der runde Rücken. Im Liegerad liegt man wie in einem Lehnsessel, der Kopf und der Rücken sind entspannt. Und es ist sehr angenehm, wenn es so locker dahingeht.

Und was für ein Gefühl haben Sie, wenn Sie auf einem Radweg auf eine Kreuzung ohne Ampel zufahren, zwischen Ihnen und dem Verkehr versperren dicht parkende Autos die Sicht?

Subjektiv sehr sicher, obwohl ich auf dem Liegerad schwer zu sehen bin. Ich habe auch nicht den von Ihnen angesprochenen Wimpel. Man muss eine kräftige Klingel und einen Rückspiegel haben und sollte wissen, dass einen Autofahrer und Radfahrer nicht erwarten.

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Klingt schwierig. Man wird ja nicht nur schlecht gesehen, sondern kann auch selbst über das nächste Auto nicht drüberblicken . . .

Klar ist vorausschauendes Fahren wichtig, aber das sollten Radfahrer eh immer. Aber man hat auch Vorteile auf dem Liegerad. So bietet zum Beispiel der Rahmen eine Knautschzone. Ich bin mit einem Auto, das mit Tempo 30 bis 40 fuhr, auf einer Kreuzung frontal zusammengestoßen. Der Rahmen war gestaucht, ich hatte eine Schienbeinprellung - mehr nicht.

Dass der Unfall überhaupt passierte, ist nicht darauf zurückzuführen, dass Sie nicht gesehen wurden?

Nein, so war es nicht. Der Fahrer hat nicht nur mich, sondern auch das Auto hinter mir nicht gesehen. Und es war auch mein einziger Unfall in mehr als zwanzig Jahren.

Sie meinen, es droht auf einem normalen Fahrrad höhere Verletzungsgefahr?

Ja. Auf dem Liegerad ist der Kopf immer noch hinten. Geht eine Autotür auf, fliegt man nicht nach vorne über den Lenker, sondern nach unten - und das auch nicht so tief.

Sorgt ein Liegerad für Aufsehen?

Ja - immer noch. Der Standardwitz geht so: Fei net einschlafen. Den hab ich schon unzählige Male gehört.

Ist es nicht eine ziemlich wacklige Angelegenheit?

Für Anfänger ja. Der Körper muss sich umgewöhnen. Er muss den Gleichgewichtssinn neu schulen, weil die Körperachse um 90 Grad gedreht ist. Am Anfang sollte jemand dabei sein und halten, wenn man kippt.

Wo ist ein Liegerad eher unpraktisch?

Einfach mal so in die Fußgängerzone, kurz abspringen und schieben, dafür ist ein Liegerad unpraktisch. Und auch für enge Kurven ist es eher nicht gemacht, da ist das Handling mit einem Normalrad einfacher. Ein Liegerad ist eher Langstrecken- und Tourenrad als Stadtrad.

Was ist das Schönste am Liegeradeln?

So gemütlich in der Ebene mit relativ geringer Trittfrequenz kommt das Gefühl von Schwerelosigkeit auf. Kopf, Rücken und Arme sind völlig entspannt - ein irres Gefühl. Das kriegt man mit keinem anderem Rad.

© SZ vom 31.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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