Lerchenau:Und plötzlich ist das Auto weg

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Gähnende Leere: Auf dem Areal nördlich des Ladenzentrums haben die Kunden bisher geparkt, nun aber wird rigoros abgeschleppt. (Foto: Florian Peljak)

Jahrelang waren Kunden und Patienten daran gewöhnt, dass sie ihren Wagen vorm Ladenzentrum am Lerchenauer See parken dürfen. Die neue Hausverwaltung lässt nun konsequent abschleppen. Anwohner und Besucher fühlen sich überrumpelt und abgezockt

Von Simon Schramm, Lerchenau

Als ihm auch die Polizei nicht mehr helfen konnte, gab Klaus Liedtke auf und zahlte 270 Euro, um wieder in den Besitz seines Autos zu gelangen. Liedtke war Anfang Dezember zum Ärztehaus nahe dem Lerchenauer See gefahren. Sein Auto hatte er auf dem kleinen Parkplatz nördlich des Ladenzentrums in der Siedlung abgestellt - wie es Kunden der Läden oder Patienten der Praxen seit gut 30 Jahren machen. "Das ist Gewohnheitsrecht gewesen, dort zu parken", sagt Liedtke, auch wenn der Platz eigentlich Privatgrund ist.

Als er nach etwa einer Stunde zurückkam, war gerade ein Abschleppdienst dabei, Liedtkes Auto zum Abschleppen fertigzumachen. Erst nach Zahlung eines Geldbetrags gebe er das Fahrzeug wieder frei, habe der Mitarbeiter der Abschlepp-Firma gesagt. Diese Bedingung erschien Liedtke suspekt, weshalb er die Polizei rief - die allerdings nicht einschritt. "Die Polizisten waren aber innerlich auf meiner Seite", sagt Liedtke.

Nicht nur Liedtke ist vom konsequenten Vorgehen der Abschlepp-Firma am Ladenzentrum betroffen. Seit mehr als einem Monat ist für die Anlage eine neue Hausverwaltung verantwortlich; sie hat die Firma Abschlepphilfe24 aus dem Münchner Westen beauftragt, weil die Hausverwaltung auf den Parkplätzen "ihre Ruhe haben will", wie es ein Mitarbeiter der Firma ausdrückt. Freigehalten werden muss der Parkplatz, auf dem Klaus Liedtke geparkt hatte, auch deshalb, weil er als Anlieferungszone für das Ladenzentrum dient - direkt am Parkplatz befindet sich ein Zugang zu den Räumen. Die strikte Handhabe ist juristisch zulässig. Betroffene Besucher und Anwohner aber sind von der neuen Abschlepp-Offensive überrumpelt und fühlen sich abgezockt. Zur Apotheke am Ladenzentrum kämen nahezu täglich Besucher, die verzweifelt seien oder ihren Frust abließen, weil ihr Auto verschwunden sei, berichtet Betreiber Athanasios Ourdas. Auch in den Weihnachtsferien hätten täglich mehrere Betroffene an seiner Theke vorgesprochen. "Es sind Leute, die mit dem Auto weiter zur Arbeit müssten. Viele denken erst einmal, ihr Auto ist geklaut worden", berichtet Ourdas.

Ein Kunde sei nur zum Abholen vom Medikamenten gekommen und habe auf einem ausgewiesenen Kundenparkplatz mit Parkscheibe geparkt; dennoch sei schon nach fünf Minuten das Auto abgeschleppt worden, erzählt Ourdas. Ein Mitarbeiter der Abschlepp-Firma sagt dazu, der Aussage solle man keinen Glauben schenken. Der Apotheker schätzt, dass seit Dezember schon 250 bis 300 Fahrzeuge abgeschleppt worden seien. Abschlepphilfe24 will keine Angaben dazu machen, wie oft die Firma am Lerchenauer See schon tätig geworden ist.

Sogar sein eigenes Auto, abgestellt auf einem für die Apotheke ausgewiesenen Platz, musste der Apotheker schon vor der Abholung retten. "Ich habe mich bei der Hausverwaltung beschwert, bisher keine Reaktion", sagt Ourdas. Er bangt um den Standortvorteil seines Geschäfts, das für ältere Menschen mit dem Auto leicht erreichbar sei. Auch ein Arzt aus dem Ärztehaus hält die rigide Abschlepp-Praxis für geschäftsschädigend.

Eigentümer und Hausverwaltung eines privaten Platzes sind berechtigt, Fahrzeuge zu entfernen, die sie auf ihrem Grundstück nicht haben wollen. Darauf verweist auch die Polizei: Es sei legal, eine Firma damit zu beauftragen, und es sei legitim, dass der Abschlepper das Auto nicht herausgibt, wenn nicht gezahlt wurde und es schon am Haken hängt. Strittig ist aber, wie hoch die Kosten für das Abschleppen ausfallen dürfen. Zahlreiche Gerichte bis hin zum Bundesgerichtshof urteilten, dass nicht mehr als ortsübliche Abschleppkosten verlangt werden dürfen. Darauf weist auch der Münchner Rechtsanwalt Emil Kellner hin, dem die Vorgehensweise am Lerchenauer See bekannt ist.

In etwa 120 Fällen hat Kellner schon Bürger vertreten, die Abschlepp-Firmen angezeigt haben, weil sie sich geschädigt gefühlt haben - auch die Abschlepphilfe24 kennt Kellner. Erst vor Kurzem ist nach seinen Worten in einem Verfahren am Münchner Amtsgericht mit einem Gutachten erneut festgestellt worden, dass sich die zur Tageszeit angemessenen Kosten für das Abschleppen ohne Verwahrung in München im Bereich zwischen 120 bis 170 Euro bewegten. Und: "Es gab schon vor dem neuen Gutachten 150 Urteile, bei denen das Amtsgericht selbst geschätzt hat, dass sich die ortsüblichen Kosten auf etwa 120 Euro belaufen." Anwalt Kellner rät, unter Vorbehalt zu zahlen und mittels einer Rechtsschutzversicherung eine Rückzahlung anzufordern, zumindest für den dieses Niveau übersteigenden Anteil.

Die Abschlepphilfe24 verweist auf andere Gutachten, etwa eines aus dem Jahr 2014, gemäß dem auch 220 bis 250 Euro Abschleppkosten in München üblich seien; ein anderes habe ergeben, dass bis zu 300 Euro verlangt werden könnten. Andere Firmen würden diese Summen auch verlangen, sagt ein Mitarbeiter der Firma. In jedem Fall werde dokumentiert, auf welcher rechtlichen Grundlage abgeschleppt worden sei. In den meisten Fällen sei die Parkscheibe nicht eingelegt.

Auf dem kleinen Platz, wo Liedtke geparkt hatte, standen schon immer Parkverbotsschilder, die Liedtke und andere Betroffene aber so interpretiert haben, dass nur ein Teil davon Parkverbotszone sei, der Abschnitt vor einem Holzschuppen. Laut der Abschlepp-Firma seien am ersten Tag, an dem die Firma für die Anlage zuständig war, neue Schilder angebracht worden. Liedtke und eine andere Betroffene sagen, die neuen, kleineren Schilder mit der Aufschrift "Privatgrund" seien erst im Laufe des Monats Dezember an der Einfahrt aufgetaucht.

Auf einem größeren Parkareal ist ein Teil für Kunden und Patienten ausgewiesen, ein Teil als Privatgrund. Klaus Liedtke will nun vom Abschleppdienst Schadenersatz verlangen. Der Mitarbeiter der Abschlepphilfe24 sagt, es sei "alles ordentlich", was am Lerchenauer See geschehe. "Wir haben die Situation am Parkplatz eh in den Griff bekommen." Die Hausverwaltung der Anlage wollte auf Anfrage keine Stellungnahme abgeben, wie sie auf die Beschwerden reagieren möchte.

© SZ vom 27.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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