Leichtathletik:Inspiration aus der Heimat der Champions

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Winterfreuden: Die Münchnerin Christina Hering auf dem legendären Sportgelände in Iten. (Foto: privat/oh)

Allmählich steigen die Münchner Kaderathleten um Christina Hering in die Hallensaison ein. Die 800-Meter-Läuferin hat sich in Kenia vorbereitet. Die 26-Jährige hofft weiterhin auf Olympia.

Von Andreas Liebmann, München

Der Trainingstipp war interessant, aber er kam zu spät. Als er Christina Hering erreichte, packte die Münchner Leichtathletin bereits die Koffer für die Rückreise. Ganz ernst gemeint war er ohnehin nicht, man kann davon ausgehen, dass Christian Gadenne, Geschäftsführer der LG Stadtwerke, ihn mit breitem Grinsen verschickte. Trotzdem: Mit Gasmaske und Zehn-Kilo-Bleiweste durch knöcheltiefes Wasser laufen, in jedem Training 16 Tonnen Gewichte stemmen und jeden Vormittag 18 Mal 300 Meter rennen - das klang, als wäre es einen Versuch wert.

Nun muss man wissen, dass Gadenne sich das nicht einfach ausgedacht hat. Ausgedacht hat es sich - ob die Methoden oder die Legende - Miroslav Kvac, ehemaliger Offizier und Trainer der tschechoslowakischen Weltrekord-Läuferin Jarmila Kratochvilova. Sie hält den ältesten noch gültigen Leichtathletik-Weltrekord, über 800 Meter, Herings Spezialstrecke, aufgestellt 1983 in Herings Heimatstadt. Es war die Hochphase des Anabolika-Dopings, Kratochvilova sah damals aus wie ein Mann, ihre Oberschenkel waren dicker als Herings Taille, und auch wenn man es nie nachweisen konnte, hängt über jener Fabelzeit der Ruch, dass weniger der Bleiweste als den angeblichen Vitaminspritzen das Geheimnis innewohnte. An ihre 1:53,28 Minuten reicht jedenfalls seit fast 40 Jahren niemand heran, nicht mal Caster Semenya. Kratochvilova wurde am vergangenen Dienstag 70, so war Gadenne über ihre Geschichte gestolpert.

In den nächsten Tagen sollen gleich drei Zugänge ihre Debüts für München geben

Es geht allmählich wieder los in der Leichtathletik, zumindest Bundes- und Landeskadermitglieder können nun trotz Pandemie an einigen Hallenwettkämpfen teilnehmen. Am Samstag wird der Münchner Hochspringer Tobias Potye nach der Absage des Meetings in Leverkusen gegen internationale Konkurrenz in Wien antreten. Mit 2,20 Meter ist der 25-Jährige furios in die Hallensaison eingestiegen. Am Sonntag treten einige Werfer beim Rochlitzer Kugelstoß-Meeting an. Und nächsten Dienstag werden in Erfurt Fabian Olbert und Yannick Wolf über 60 Meter sowie Hering und ihre Trainingskollegin Katharina Trost über 800 Meter starten. Geplant sind auch die Debüts der Neu-Münchnerinnen Johanna Siebler (Sonntag), Anastasia Vogel und Lavinja Jürgens (Dienstag).

Hering ist gerade aus einem sonnigen Trainingslager in den hiesigen Schneematsch zurückgekehrt. Gadennes Nachricht erreichte sie noch in Iten, einer Stadt im Westen Kenias, die sich nicht nur auf einem rotbraunen Torbogen über der Zufahrt zum Sportzentrum stolz "Home of Champions" nennt; ihre St.-Patricks-Oberschule hat unzählige Weltklasseläufer hervorgebracht. Hering, 26, versucht sich seit ihrem Studienabschluss für zwei Jahre als Profi, doch das ist nicht leicht in diesen Zeiten. Die Hallensaison sieht bislang eine deutsche Meisterschaft (20./21. Februar) vor und eine Europameisterschaft (5. bis 7. März im polnischen Torun), die Veranstalter, glaubt Hering, versuchten alles, um die Wettkämpfe zu ermöglichen. Aber natürlich bereitet sie sich vor allem auf die Olympischen Spiele in Tokio vor. "Aktuell denke ich, dass sie stattfinden", sagt die vielfache deutsche Meisterin, auch wenn sie Zuschauer oder das klassische olympische Dorf für "unrealistisch" hält.

Sollte Tokio ausfallen, wäre das ungleich bitterer als ihr Bänderriss zu Beginn der Vorbereitung

Ihre Vorbereitung im Herbst begann Hering gleich mal mit einem Außenbandriss im Sprunggelenk. "Das war motivationstechnisch richtig bitter", sagt sie, auch wenn die Verletzung schnell heilte. Falls Tokio erneut und dann wohl endgültig ausfiele, wäre das ungleich bitterer. Die Münchnerin hat ihre Qualifikationsnorm für die Spiele längst in der Tasche, schon seit August 2019, als sie in Pfungstadt 1:59,41 Minuten lief.

Solange es keine Absage gibt, bereitet sie sich also auf Tokio vor, doch ob Profi oder nicht: Es muss improvisiert werden. Ihre Trainingspartnerin Katharina Trost zum Beispiel muss sich wie Potye erst noch für Tokio qualifizieren, über die Norm oder die Weltrangliste. Trost arbeitet als Lehrerin. In den Herbstferien reiste sie zum Training nach Portugal, dann änderten sich die Reiserichtlinien - und sie musste verfrüht abbrechen.

Christina Hering hatte ihr Wintertrainingslager eigentlich in Südafrika geplant, wegen der dortigen Virus-Mutante dann aber storniert. Schließlich beschloss sie, mit einer Gruppe um Hindernisläuferin Gesa Felicitas Krause für drei Wochen nach Kenia zu reisen. Höhentraining schlage bei ihr immer gut an, sagt sie. Iten liegt 2400 Meter über dem Meer. "Ich habe wirklich lange überlegt. Kenia hat nicht das perfekte Gesundheitssystem. Aber ich will gut vorbereitet sein, das war mir das Risiko wert." Und dann sei doch alles prima gelaufen, "sehr inspirierend", 25 Grad, viele Corona-Tests. Mit zahlreichen deutschen Athleten war sie in einer Lodge-Anlage quasi isoliert, es gab viel Gruppentraining.

Die nächsten Tage werden "spannend", sagt sie, es wird das erste Mal sein, dass sie aus der Höhe sofort in Wettkämpfe einsteigt. Schon zwei Tage nach ihrer Rückkehr, am Freitag, stand ein Meeting in Karlsruhe an. Katharina Trost und Gesa Felicitas Krause hatten über 1500 Meter gemeldet, Hering lief als Tempomacherin mit.

Falls Tokio doch ausfällt? Wird Hering ihre Profi-Phase eben auf die Europameisterschaft ausrichten, 2022 in München. Dort, wo Kratochvilova einst ihren Weltrekord lief. Aber das ist wirklich eine Geschichte aus einer anderen Zeit.

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