Leichtathletik:Die große Freiheit, an Grenzen zu gehen

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Laufen, auch wenn's zwickt: Julia Viellehner (beim Münchner Winterlauf). (Foto: unk)

Duathlon, Triathlon - und jetzt noch Marathon: Julia Viellehner startet in München erstmals über 42,195 Kilometer

Von Anna Dreher, München

Hier und da zwickt es noch, wahrscheinlich geht das nie ganz weg. So eine Verletzung ist ja immer auch Kopfsache. Julia Viellehner weiß das, aber sie weiß damit umzugehen. Sie hat sich arrangiert mit diesem Zwicken im Fuß, das sie seit einem halben Jahr begleitet und einfach nicht weggehen will. Auch bei ihrem Start beim München Marathon wird es sie wahrscheinlich begleiten. Ende April hatte die 30-Jährige ihren Start in Hamburg wegen einer Sehnenentzündung absagen müssen - seitdem treten die Probleme immer wieder auf. Sie hat trotzdem viel trainiert. Bis zu 35 Stunden pro Woche, parallel zu ihrem Job als Gesundheitsmanagerin. Nur eben nicht mehr ganz so viel auf den Beinen, sondern mehr auf dem Fahrrad und im Wasser. Julia Viellehner läuft nicht nur Marathon, sie ist Triathletin.

Es war nicht so, dass ihr das Laufen langweilig geworden wäre, seit sie mit 14 Jahren in den bayerischen Leistungskader aufgenommen wurde. "Mich fasziniert immer noch dieses große Freiheitsgefühl und die Möglichkeit, sich zu verausgaben und an Grenzen zu gehen", sagt die Sportlerin vom TSV Altenmarkt. "Im Grund meines Herzens bin ich Läuferin." Aber da waren nun mal die Verletzungen. Aus einer Frustsituation hat Viellehner ihr Spektrum erweitert und sich damit alles andere als geschadet. "Ich hatte einen so starken Bewegungsdrang, dass ich nach Alternativen zum Laufen gesucht habe." Viellehner fand sie im Triathlon.

Seit 2011 verfolgt sie ihre Ziele in dieser Sparte so diszipliniert wie im Laufen. Die zierliche Frau aus Winhöring ist ehrgeizig geblieben, durch die neuen Disziplinen aber weniger verbissen. Das bringt Erfolg. Bei ihrer ersten Ironman-Teilnahme 2013 auf Hawaii kam sie nach 10:13 Stunden ins Ziel, 2014 feierte sie in Klagenfurt mit 9:20 Stunden ihre Bestzeit - dieses Jahr in Roth war sie mit 9:23 Stunden nah dran. "Mit diesen Leistungen habe ich mich selbst überrascht. Ich wundere mich manchmal, was dann doch in einem steckt, was der eigene Körper so alles schaffen kann", sagt sie.

Auch dieses Jahr qualifizierte sich Viellehner für Hawaii, sagte den Start zugunsten des Powerman Zofingen aber ab und wurde dort WM-Zweite im Duathlon über die Langdistanz (10 km Laufen, 150 km Radfahren, 30 km Laufen) hinter der Britin Emma Pooley - zum zweiten Mal nach 2013. "Der Titel reizt mich. Aber so lange Emma nicht einbeinig Rad fährt, habe ich keine Chance" - die Britin Pooley ist unter anderem auch Profi-Radrennfahrerin.

In München ist Pooley diesmal nicht am Start. Wie oft die beiden im Duathlon noch aufeinandertreffen, ist ohnehin fraglich, denn Viellehner will 2016 als Triathlon-Profi starten. Die 42,195 Kilometer läuft sie in München zum ersten Mal. Ausgerechnet jetzt, da hier nicht mehr der deutsche Meister gekürt wird. Drei Jahre lang, von 2012 bis 2014, lief der Vertrag mit dem Deutschen Leichtathletik Verband (DLV) - jetzt wird der Titel in Frankfurt vergeben, zwei Wochen nach München. "Das hat für meine Teilnahme aber keine Rolle gespielt, für mich ist das einfach ein schöner Saisonabschluss", sagt sie. "Nicht gewinnen zu müssen, nimmt mir den Druck - oft bin ich gerade dann gut." In unter drei Stunden will die 30-Jährige ins Ziel kommen. Ihre anvisierte Zeit von 2:35 Stunden wird wegen des reduzierten Trainingsumfangs nicht drin sein.

Viele, die Viellehner als Konkurrentinnen im Hinterkopf hatte, starten in Frankfurt. Auch Gernot Weigl, Geschäftsführer und Organisator des München Marathon, hat das zu spüren bekommen. "Dadurch haben wir in diesem Jahr nicht mehr die deutsche Crème de la Crème am Start", sagt er. Was bleibt, sind die bayerischen Meisterschaften. "Das ist natürlich nicht gleichzusetzen, aber wir haben trotzdem Starter mit guten Zeiten", sagt Weigl. Bei den Männern zählt Andreas Sterzinger (Bestzeit 2:22) zu den Favoriten, bei den Frauen Julia Viellehner (Bestzeit 2:41). "Und München war ja ohnehin nie ein Lauf, bei dem sich um Weltrekorde duelliert wurde." 15 Jahre ist die letzte Rekordzeit her, damals lief der Kenianer Michael Kite nach 2:09:46 Stunden ins Ziel. Inzwischen sind den Veranstaltern die Prämien zu hoch. Den alten Zeiten weint trotzdem keiner nach, der München Marathon gehört national nach wie vor zu den Top Fünf: "Wir wissen es zu schätzen, dass es sich München unter den großen Veranstaltungen in Europa leisten kann, darauf zu verzichten. Hier gibt es keinen Hype um Bestzeiten." Fast allen Läufern, sagt Weigl, gehe es einzig darum, die persönliche Bestzeit zu verbessern und den Lauf zu genießen. Zum 30. Jubiläum gibt es einen Teilnehmerrekord: Zum Meldeschluss im September hatten sich 22 300 Läufer eingetragen, mit den Nachmeldungen erwarten die Veranstalter rund 24 000 Teilnehmer - bei der Premiere schafften es gerade einmal 2600 ins Ziel.

Besonders im Fokus steht aber nicht nur das Jubiläum, sondern die Aktion "Laufend integrieren". Seit Mai wurden Flüchtlinge in München und Umgebung unter der Leitung von Sebastian Hallmann, siebenfacher deutscher Meister im Langstreckenlauf, auf die zehn Kilometer vorbereitet, andere in die Organisation eingebunden. 80 Flüchtlinge haben mitgemacht. Das Projekt ist langfristig angelegt. "Das ist eine wunderbare Sache", sagt Gernot Weigl. "Und mit dem Zieleinlauf im Olympiastadion geht das Ganze erst los."

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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