Oberhaching:Der Fast-Nobelpreisträger

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„Das ging nur sehr knapp vorbei“, sagt Erwin Knapek über seine Chance. (Foto: Claus Schunk)

Die Chemie stimmt: Alt-Bürgermeister Erwin Knapek hat an der Arbeit von Jacques Dubochet mitgewirkt. Dass nur dieser die hohe Auszeichnung erhält, gönnt er ihm trotzdem.

Von Michael Morosow, Oberhaching

Mit der Verleihung des diesjährigen Chemie-Nobelpreises an Jacques Dubochet, Richard Henderson und Joachim Frank hat die Schwedische Akademie in Stockholm drei Forscher für die Entwicklung der Kryo-Elektronenmikroskopie ausgezeichnet. Es ist durchaus möglich, dass bei der Preisverleihung am 10. Dezember auch der Name Erwin Knapek fällt. Fest steht jedenfalls, dass der Physiker aus Oberhaching zusammen mit dem Molekularbiologen Dubochet aus der Schweiz schon vor Jahrzehnten den Kern dieser wissenschaftlichen Errungenschaft erforscht und veröffentlicht hat. Es war zugleich Knapeks Doktorarbeit.

Nobelpreisträger Jacques Dubochet (Foto) und Erwin Knapek verbindet eine jahrzehntelange Freundschaft. (Foto: Jean-Christophe Bott)

Landrat Christoph Göbel zeigte sich von der "sensationellen Nachricht" sehr angetan. Die Auszeichnung mit dem Nobelpreis wäre sicher die Krönung seines Engagements gewesen. Aber auch unabhängig davon wissen wir im Landkreis und auch ich ganz persönlich seine Leistungen zu würdigen", sagte er, während sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Heinz Durner gar von einer "fulminanten Nachricht" und einem "Mit-Nobelpreisträger" Erwin Knapek spricht. Und in der Tat lässt der jüngste Schriftverkehr zwischen Dubochet und Knapek den Schluss zu, dass der Schweizer den 75-Jährigen für die Verleihung des höchsten Wissenschaftspreises mit ins Boot holen wollte. "Das ging nur sehr knapp vorbei. Aber es ist ein schönes Gefühl, wenn du irgendwie dabei warst", sagte Knapek, der von 1996 bis 2008 Bürgermeister der Gemeinde Unterhaching war und sich auch als Pionier in der Geothermiebranche einen Namen gemacht hat.

Die gemeinsamen Forschungen sorgten für neue wissenschaftliche Erkenntnisse. (Foto: Claus Schunk)

Dass er am 10. Dezember in Stockholm nicht aufs Podium treten darf, finde er nicht tragisch. Umso mehr gönne er die Auszeichnung den drei Wissenschaftlern, insbesondere Jacques Dubochet, der im August für drei Tage zu Gast bei ihm zuhause war. Nicht nur aus freundschaftlicher Verbundenheit, sondern auch, um mit seinem ehemaligen Forscherkollegen einen Aufsatz für die Wissenschaftszeitung " Nature" vorzubereiten, in dem die Entwicklung der Kryo-Elektronenmikroskopie etwas launig zusammengefasst worden sei, wie Knapek sagt.

Zweijährige gemeinsame Forschung

Der Gegenstand, zu dem Dubochet und Knapek Forschungen angestellt hatten, ist so kompliziert wie der Titel der Doktorarbeit, die der damalige Diplom-Physiker im Jahr 1980 dazu verfasst hat: "Reduzierung der Strahlenschäden an organischer Materie bei sehr tiefen Objekttemperaturen in einem Elektronen-Mikroskop mit supraleitendem Linsensystem". Lange sei es Biologen und Biochemikern nicht möglich gewesen, ihre fragilen Proben zu mikroskopieren, erklärt Knapek das Problem, das er und Dubochet hätten lösen wollen. Denn die klassische Elektronenmikroskopie und Röntgenbeugung hätten mit ihrer Strahlung die empfindlichen Biomoleküle zerstört. "Das war in etwa so, als wenn ein Biologe eine Aufnahme von einem Huhn machen will und nur ein Brathendl abgebildet ist. Und das gewünschte Huhn musste er anschließend aus dem Brathendl mühsam rekonstruieren. Und das alles auf molekular-atomarer Ebene, auf der mit Nanometern, also mit Tausendstel Millimeter gerechnet wird", beschreibt der 75-Jährige das damalige Dilemma. Den Aufbau und die geometrische Struktur von Molekülen hochaufgelöst sichtbar zu machen, sei damit nicht möglich gewesen.

Der Mikrobiologe und der Physiker fanden während ihrer zweijährigen gemeinsamen Forschung schließlich die Lösung. Sie stellten nach einer Reihe von Versuchen fest, dass die Strukturen von Materie unter dem Elektronenstrahl des Elektronenmikroskops bei tiefen Temperaturen "viel länger leben" als bei Zimmertemperatur. Und mit tiefen Temperaturen ist eine Kälte zwischen 200 und 269 Grad Minus gemeint. Die beiden Forscher zeigten, dass man durch schnelles Abkühlen auf eine tiefe Temperatur selbst Biomoleküle untersuchen kann, die nur in wässrigen Lösungen existieren. Fortan, so dachten beide, könne man problemlos auch die Struktur etwa von Zellbausteinen mit Elektronenstrahlen ablichten und sogar Sequenzen von dem Geschehen in der Zelle aufnehmen. Der Durchbruch schien geschafft. Selbst Knapeks Doktorvater, Professor Elmar Zeitler, Direktor am Fritz-Haber-Institut in Berlin, sei dieser Meinung gewesen. "Er hat die Experimente zum Teil nachgemacht und kriegte immer das Gleiche raus.

"Die Hand an der großen Erfindung"

"Der Jacques und ich glaubten, jetzt gehört uns die Welt", erinnert sich Knapek. "Together with Erwin Knapek we thought we had put our hands on a big discovery", schrieb Dubochet vor wenigen Wochen an "Nature". Die Hand an der großen Erfindung hatten sie wohl, aber dann mussten sie einen Dämpfer hinnehmen. Im Europäischen Institut für Molekularbiologie bestätigten die Versuche plötzlich nicht mehr die sehr hohen Werte. "Unsere Anfangsbedingungen in München und Berlin waren wohl zu ideal", glaubt Knapek. Es habe sich herausgestellt, dass das richtige Zusammenspiel von Elektronenstrahl, tiefer Temperatur und dem Träger (dünne Folie oder Kunststoff) entscheidend sei. Dubochet folgte bald dem Ruf an die Universität in Lausanne, verfolgte aus der Nähe die Thematik und entwickelte entscheidende Präparationsmethoden für die Kryoelektronenmikroskopie. Knapek entwickelte fortan für Siemens die Elektronenstrahltechnik für die Halbleitertechnologie und war ganz raus.

"Wir haben uns dann aus den Augen verloren", sagt Knapek. Bis sich im Februar Dubochet bei ihm meldete und laut Knapek sagte: "Du wirst staunen, bei der Kryo-Technoligie wird alles besser, wir können uns bei unseren Nachfolgern bedanken." Wissenschaftler mehrerer Generationen haben also die Idee von Knapek und Dubochet nach 36 Jahren zur Reife gebracht, den geteilten Nobelpreis aber erhielt einer der beiden Entdecker. "Dass ihn der Jacques kriegt, ist hoch verdient. Er hat sehr akribisch lange an der Verbesserung der Präparation gearbeitet und die komplexen Schwierigkeiten, die mit Ladungs- und Wärmetransport von Präparat und Präparat-Träger zusammenhängen, beseitigt, und ich war ja nur zwei Jahre damit beschäftigt", sagt Knapek.

© SZ vom 07.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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