Grüne:"Den Krieg würde es auch ohne Waffenlieferungen geben"

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Toni Hofreiter kommt derzeit viel herum in der Welt. (Foto: Noah Wedel/imago images)

Der Bundestagsabgeordnete verteidigt vor Parteifreunden in Unterschleißheim die Politik der Ampel-Regierung. Vor allem die militärische Unterstützung der Ukraine bereitet vielen Bauchschmerzen.

Von Sophia Coper, Unterschleißheim

Bei den Grünen kennt man keine Nachnamen, alle im Raum sprechen nur vom "Toni" und schauen stolz Richtung Bühne. Frisch von einer Dienstreise zurück, steht dort Anton Hofreiter, der Weg aus Washington hat ihn direkt ins Rathaus Unterschleißheim geführt. Im Rahmen einer Veranstaltung des Grünen-Ortsverbandes ist der Bundestagsabgeordnete aus Unterhaching vorbeigekommen, um seine Einschätzungen hinsichtlich "Ukraine, Energie und Klima" zu teilen.

"Sonne bedeutet nicht mehr zwangsläufig schönes Wetter", steigt Hofreiter in den Abend ein, doch Klimakrise und Extremwetterereignisse sollen erst später thematisiert werden. Zuerst geht es um die Situation in der Ukraine. Mit Blick auf die jahrelangen russischen Aggressionen sei der Angriffskrieg eigentlich keine Überraschung gewesen, sagt Hofreiter. "Wir wollten nicht sehen, was passiert. Nicht hören, was polnische, baltische und ukrainische Kollegen uns gesagt haben", räumt der Politiker selbstkritisch ein. Selbst die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 habe wenig Reaktionen ausgelöst, munter seien weiter Abkommen mit der russischen Regierung unterzeichnet worden — im Anbetracht heutiger Umstände "einfach nur bizarr".

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Umso mehr sieht Hofreiter den Westen in der Pflicht, einen Beitrag zu leisten. "Ich kann verstehen, wenn Menschen mit der Lage überfordert sind, doch man muss sich der Alternativen bewusst sein. Den Krieg würde es auch ohne Waffenlieferungen geben, aber mit deutlich mehr Opfern", sagt er bestimmt. Stolz weist er auf das vorwiegend einheitliche Vorgehen der Europäischen Union bei den Sanktionen hin, auch für die Absage an russische Gaslieferungen findet er lobende Worte: "Putin dachte, solange es billige Energie gebe, würde der Westen mit den Schultern zucken." Die Reduktion des russischen Anteils am nationalen Energiemix spreche für sich: "Wir können stolz sein, was wir als Gesellschaft geschafft haben."

Für Hofreiter ist der Krieg in einen größeren Rahmen eingebettet — ein Symptom für die weltweite Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Autokratie, die hierzulande auch aufkeimt. "Nicht nur von außen, auch von innen droht Gefahr. Bloß weil jemand demokratisch gewählt ist, ist er noch lange kein Demokrat", spielt er auf die rechtspopulistische AfD an.

Weiterer großer Themenkomplex an dem Abend ist "die Zerstörung der eigenen Lebensgrundlage", wie Hofreiter die Klimakrise und das Artensterben zusammenfasst. "Die Erderwärmung stellt keine Gefahr für die Natur dar - der Planet hat schon ganz andere Sachen überstanden. Es geht um die Rettung von uns selbst und den nachfolgenden Generationen", spricht er in das graumelierte Publikum. Die negativen Auswirkungen von Kohlendioxid auf die Atmosphäre seien "altverstandenes Wissen". Skeptischen Nachfragen setzt er Pragmatismus entgegen: "Den Naturgesetzen ist es völlig egal, was wir politisch machen. Ob man sie an sie glaubt oder nicht, sie gelten einfach."

"Diese Koalition hätte Chancen, richtig gut zu sein, aber wenn es an der Spitze hapert, kann man das aus der zweiten Reihe nicht beheben"

Hier schaltet sich die Landtagsabgeordnete Claudia Köhler ein. "In Bayern haben wir große Probleme mit der Energieerzeugung, da wurde zu lange nichts gemacht", sagt die Köhler, die wie Hofreiter aus Unterhaching stammt, und übt Kritik an der Landesregierung aus CSU und Freien Wählern: "Immer heißt es, wir seien die Besten und Größten, aber bis auf schöne Worte passiert nichts."

Im Verlauf des Abends tröpfeln immer wieder Nachzügler durch die Tür, die Stuhlreihen im Rathaus Unterschleißheim sind mit rund 40 Leuten fast vollständig besetzt. Die anschließende Fragerunde wandert von konkreten Anliegen wie Altbausanierungen und Stromeinspeisungen immer wieder zur Ukraine. Dem Bild als Friedenspartei werde man nicht mehr gerecht, heißt es zuerst leise, dann lautstark. Insbesondere die deutschen Waffenlieferungen lassen die Emotionen hochkochen. Hofreiter bleibt sachlich: "Punkt ist, dass es für Friedensverhandlungen stets zwei braucht. Wenn der Aggressor nicht dazu gehört, wird es schwierig." Zudem solle man dem ukrainischen Volk die Entscheidung überlassen.

Angesprochen auf das koalitionsinterne Gezänk benennt Hofreiter einen Hauptverantwortlichen: Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt. Dieser müsse dafür sorgen, dass sich an getroffene Vereinbarungen gehalten werde, stattdessen sehe "er sich nach wie vor als Kampagnenchef von Kanzler Scholz". Die Koordination der Regierung liege in Schmidts Händen brach. "Diese Koalition hätte Chancen, richtig gut zu sein, aber wenn es an der Spitze hapert, kann man das aus der zweiten Reihe nicht beheben", sagt Hofreiter.

Nach dem zweistündigen Roadtrip durch Welt- und Bundespolitik bleibt der schlichte Appell der beiden Abgeordneten, im Herbst zur Wahl zu gehen. "Mit einem Kreuz kann man viel an-, aber auch ausrichten", sagt Köhler. Toni nickt und stimmt zu: "Egal, wen sie wählen: Wählen sie auf jeden Fall demokratisch."

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