Unterschleißheim:Das kunterbunte Spielmobil

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Konzentrierte Arbeitsatmosphäre unterm Regendach: Stefanie Gerhardus und Marion Boner (von links) machen mit ihrem kunterbunten Auto im Lohwald Station. (Foto: SZ)

Seit 30 Jahren schickt die Stadt ein Fahrzeug mit Spielmaterial und Werkzeug auf Tour. Kinder finden Freiräume, die immer seltener werden.

Von Bernhard Lohr, Unterschleißheim

Es regnet, regnet und regnet. Eine Einladung zum Spielen im Freien ist das nicht. Doch Stefanie Gerhardus und ihre Kollegin Marion Boner haben ihr Spielmobil wieder im Lohwald in Unterschleißheim geparkt. Sie haben ein Zeltdach aufgespannt, Biertische aufgestellt, an diesen kleine Schraubstöcke montiert und Hammer, Handbohrer, Dübel und Leim bereitgelegt. Der eine Bub, der trotz des Wetters vorbeischaut, legt auch gleich wie ein Handwerker los und schon herrscht eine fast intime Arbeitsatmosphäre. Seit genau 30 Jahren fährt das Spielmobil der Stadt von Ort zu Ort und lässt die Sechs- bis Zwölfjährigen erleben, wie schön freies, selbstbestimmtes Spielen und Werkeln ist. Es war von Anfang an eine "pädagogische Einrichtung", die Kindern etwas gibt, was immer seltener wird.

Das Feuerrote Spielmobil auf dem Münchner Marienplatz. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Spielmobile sind eine Erfindung aus den frühen Siebzigerjahren. Die ersten fuhren 1972 in Berlin und München herum. Und genau in diesem Jahr kam die Sendung vom "Feuerroten Spielmobil" ins deutsche Fernsehen, mit der eine Abkehr von den traditionellen Vorstellungen kindlicher Erziehung einhergehen sollte. Eine neue Freiheit wurde propagiert, weniger sollte vorgegeben werden. Eine Kamera folgte einem feuerroten Wagen und fing stets neue Aspekte der "realen Welt" ein. Jede Sendung sollte ein permanentes Experiment im "kritischen Erleben" sein, gedacht als Befreiungsschlag gegen die üblichen Kinderprogramme: ohne festen Schauplatz, draußen, kein Ghetto mit einer geschlossenen Puppen- oder Menschengesellschaft. So beschreibt das Ilke Schlote im Magazin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI).

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Hinter der Gründung des Unterschleißheimer Ablegers standen eben solche emanzipatorischen Ideen. Man schickte einen kunterbunt selbst bemalten VW-Bus voll beladen mit Spiel- und Handwerkszeug auf Tour. Hans Meinl, ein Mitarbeiter im damaligen Jugendtreff der Stadt, hatte das über Jahre gefordert und maßgeblich angeschoben. Bürgermeister Rolf Zeitler (CSU) unterstützte ihn schließlich. Spielen sei extrem wichtig für die "kognitive, emotionale und soziale Entwicklung", schrieb man 1993 im ersten Jahresbericht des Spielmobils, das noch den Namen "Max Firlefax" hatte. Auf dem Deckblatt des Jahresberichts war tatsächlich ein rotes Spielmobil gemalt. Eine Kinderzeichnung, die sich wohl an der Fernsehvorlage orientierte.

Das Spielmobil-Programm ist vielfältig. Es reicht bis zu Tanzaktionen wie im Jahr 2010 bei einem Mittelalter-Spektakel. (Foto: Renate Schmidt)

Während der Regen aufs Zeltdach prasselt und der kleine Handwerker schon das Dach eines kleinen Häuschens auf ein Klötzchen leimt, erzählt Stefanie Gerhardus von ihrer Arbeit und was ihr dabei wichtig ist. Und es zeigt sich, dass die Ideen aus der Anfangszeit nichts an Aktualität eingebüßt haben. "Es geht darum, Raum für Kinder zu schaffen. Einen selbstbestimmten Raum, wo nicht alles geregelt ist." Das nehme man sehr ernst, sagt Gerhardus. Das Angebot sei niederschwellig. Die Kinder könnten kommen und gehen, ohne Zwang. Eine Aufsichtspflicht bestehe, außer bei angemeldeten Gruppen, nicht "Es ist schon schön, wenn ein 'Auf Wiedersehen' kommt", sagt Gerhardus. Das Spielmobil sei eine elternfreie Zone. Das reiche so weit, sagt Gerhardus, dass Eltern ihre Kinder bringen könnten, aber aufgefordert seien, sich wieder zu entfernen. Manche Väter nähmen 100 Meter weiter auf einer Parkbank Platz. Das sei vollkommen in Ordnung.

Corona bescherte dem Mobil eine besondere Bedeutung

Die Corona-Pandemie war mit den damit einhergehenden Einschränkungen für Kinder belastend. Und das Spielmobil bekam von 2020 bis 2022 eine besondere Bedeutung. Es bot Spielmöglichkeiten im Freien an, wurde zu einem der wenigen Orte der Begegnung, teils mit Maske, teils ohne. Man stand oft im Valentinspark an einem geschützten Ort hinter dem See. An der Michael-Ende-Grundschule konnte man während Corona Räume und Flächen nutzen und hatte draußen einen Lagerfeuerplatz. Das sei damals auch im März bei kühlen Temperaturen gut angenommen worden, sagt Gerhardus. Darum habe man auch jetzt im März schon Angebote gemacht. Im Spielmobil gibt es eine Feuerschale, die manchmal rausgeholt wird, wenn es ungemütlich ist wie heute. Marion Boner bastelt wie der kleine Handwerker neben ihr mit Klötzchen und Draht und hat in wenigen Minuten eine kleine Puppenschaukel gebaut, die ein Dach bekommen hat, die beim Schaukeln vor Regen schützt. Ob Corona-Beschränkungen den Kindern auf längere Sicht geschadet haben? Das sei schwer zu beurteilen, sagt Boner. "Sie haben es hingenommen, wie es war."

Den Spielplatz an der Dietersheimer Straße haben die beiden Frauen kürzlich zum ersten Mal nach langer Zeit wieder angesteuert. Die Kinder hätten sie gleich wiedererkannt, sagt Gerhardus. "Erst jetzt fangen wir wieder an im Normalmodus." Und zu dem gehören außer dem freien Spiel an Donnerstag und Freitag Kooperationen mit zwei Schulen, wo Arbeitsgruppen angeboten würden. Und es gibt Ferienprogramme, und zwar in allen Ferien, wie Gerhardus betont, bis auf die Weihnachtsferien.

Wasser, Feuer, Erde, Luft: Kinder lassen sich beim Malen am Spielplatz "Am Weiher" im Jahr 2010 von den vier Elementen inspirieren. (Foto: Renate Schmidt)

Die beiden Frauen vom Spielmobil kriegen mit, dass die Freiräume für Kinder schwinden. "Früher konnte man noch auf Straßen spielen", sagt Gerhardus. Das sei heute kaum noch vorstellbar. Das wird im Pädagogischen Konzept des Spielmobils thematisiert, das in der Coronazeit im Jahr 2020 entstand, als teilweise gar nichts mehr ging. In das Konzept floss ein, dass sich die gesellschaftliche Wirklichkeit mit zunehmender Berufstätigkeit beider Elternteile und schulischen Ganztagsangeboten verändert hat. Elektronische Medien fressen Zeit im Leben der Kinder. Die freie Zeit für freies Spiel habe deutlich abgenommen, heißt es, weshalb das Angebot wichtiger sei denn je. Gerhardus beobachtet, dass die Kinder oft erst später Zeit hätten. Deshalb habe man die Spielmobil-Zeit um eine Stunde nach hinten auf 15 bis 18 Uhr verlegt.

Das Jubiläumsprogramm des Spielmobils im Mai ist ausnahmsweise auch für Eltern gedacht, so wie es immer auch Aktionen gibt für die gesamte Familie, weil die Pädagoginnen wertschätzend erkennen, wenn Familien gemeinsame Spielzeit suchen. Aber die Kernaufgabe ist eine andere. Es geht um die Kinder, die die Welt selbständig erfahren sollen und gerne mal Staunen dürfen, was es alles gibt. Zum Beispiel zwei Frauen in einem bunt bemalten Auto: Wohnt ihr in dem Spielmobil? Das hat mal ein Kind gefragt. Und manchmal bekommen die Pädagoginnen die Frage zu hören, was sie denn arbeiten, wenn sie nicht spielen.

Das Programm des Spielmobils ist im Mai wegen der 30-Jahr-Feierei für die ganze Familie geöffnet. Es gibt Ferienaktionen, wie in den Pfingstferien etwa eine Fahrt zu einer Schäferin, mit Anmeldung, und "Wildes Leben" am Spielplatz an der Straße "An der Burg" in den Sommerferien, ohne Anmeldung. Näheres gibt es auf der Homepage der Stadt ( www.unterschleissheim.de ) im Bereich Kinder, Jugend und Freizeit.

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