Es herrscht Endzeitstimmung im Isar-Amper-Zentrum (IAZ) in Unterschleißheim: Nahezu alle Ladenflächen stehen leer, das Glasdach ist der dicken Schmutzschicht zufolge schon lange nicht mehr gereinigt worden, vereinzelt stehen Eimer am Boden, um das von der Decke tröpfelnde Wasser aufzufangen. Der bevorstehende Abriss des IAZ ist deutlich zu spüren. Das marode Einkaufszentrum soll Platz machen für eine neue Stadtmitte. Ein verbliebener Mieter sticht klar heraus: Alois Piterna mit seinem Orgelmuseum, dessen 280 Quadratmeter großer, hell erleuchteter Raum im Obergeschoss des IAZ bislang dringend benötigte Wärme ausstrahlt.
Vom kurz bevorstehenden Auszug des Museums ist wenig zu spüren. Piterna wurde zum Monatsende gekündigt. Noch aber lädt der weitläufige Raum zum Erkunden ein. Dicht aneinander gereiht stehen elektronische Orgeln unterschiedlicher Größen und Formen. Manche sind mit glänzendem Holz verkleidet, andere mit cremefarbenem oder schwarzem Kunststoff , die Tasten und Schalthebel gibt es in allen möglichen Farben. Mittendrin steht der Inhaber Piterna und sprudelt vor Enthusiasmus, obwohl er noch keine bezahlbaren und ausreichend große Räume für seine insgesamt 160 Orgeln und Keyboards gefunden hat. "Ich finde ganz sicher was", sagt er überzeugt.
Durch den Begriff "Museum" könnte man den falschen Eindruck gewinnen, dass die Instrumente als Ausstellungsstücke durch Glasfenster abgeriegelt präsentiert werden. Das ist nicht der Fall. Es ist ein Ort zum Anfassen und Musizieren. Jede der elektronischen Orgeln ist funktionstüchtig und kann gespielt werden. Piterna unterrichtete hier und veranstaltete Konzerte, um die Kosten des Museums zu finanzieren. Eintritt verlangte er nie. Seine beachtliche Sammlung umfasst elektronische Orgeln, vor allem aus Japan, den USA und Europa. Die ältesten stammen aus den Siebzigerjahren.
Ein vielfältiges Publikum besuchte das Orgelmuseum. Teils waren es Interessierte aus Unterschleißheim und der Region, teils gleichgesinnte Orgelliebhaber aus aller Welt. Viele seien der Nostalgie wegen gekommen oder, weil sie sich für den technischen Aufbau der Instrumente interessierten, sagt Piterna. Manche Orgeln aus den Achtzigerjahren bestehen aus mehr als 200 000 Bauteilen. Wenn man die Abdeckung einer schmuck aussehenden elektronischen Orgel öffnet, erwartet einen ein Kabelsalat sondergleichen. Unzählige Stränge winden sich durch das Innere von einer Platine zur nächsten. Piterna schätzt das Gesamtgewicht seiner Sammlung auf 30 Tonnen.
"Ich habe noch nie so viel Unterstützung bekommen"
Die Faszination für das Instrument begleitet Piterna seit mehreren Jahrzehnten. Mit 20 Jahren begann der gebürtige Erdinger eine Ausbildung zum Organisten. Die erste eigene Orgel kaufte er 1973. Er trat als Organist mit verschiedenen Bands auf, knüpfte Kontakte zu den Herstellern, besuchte Fachmessen und erlangte so sein umfassendes Sachwissen. Nach abwechslungsreichen Jahren, in denen er zwischen Hannover, Zürich und London pendelte, wurde er in Unterschleißheim sesshaft. Hier leitete er 40 Jahre lang bis 2020 die Musikschule und eröffnete 2003 das Orgelmuseum. Nun genießt es der 69-Jährige, sich auf seine Leidenschaft zu konzentrieren: "Keine Verwaltung mehr, nur Unterricht und Konzerte."
Für Piterna kam die Kündigung der gemieteten Fläche um den Jahreswechsel nicht überraschend. Als er Mitte 2017 die Räumlichkeit im IAZ bezog, wusste er bereits, dass die Tage das in den Achtzigerjahren gebauten Einkaufszentrums gezählt waren. Vielen gilt das leerstehende Kaufhaus als trauriges Beispiel für die Verödung deutscher Innenstädte. Die Investment-Gesellschaft Rock Capital hingegen sah darin ungenutztes Potenzial inmitten des Zentrums Unterschleißheims. Seit 2015 kaufte das Grünwalder Unternehmen nach und nach die Ladenflächen auf, bis es sämtliche Anteile besaß. Der langfristige Plan ist, die Stadtmitte grundlegend umzugestalten. Bis 2033 sollen neue Wohnanlagen und Räume für Einzelhandel und Gastronomie entstehen. Für Piternas Orgelmuseum wird hier kein Platz mehr sein. Obwohl das IAZ erst 2025 abgerissen werden soll, müssen die aktuell verbliebenen Mieter bereits Ende Februar ausziehen, um die Kosten zur Instandhaltung des Gebäudes für zwei weitere Jahre zu sparen.
Seitdem gelang es dem Musiker, die Sammlung von 440 Stücken auf 140 Orgeln und 20 Keyboards zu reduzieren, um den Auszug unkomplizierter zu gestalten. Er hofft, einen Teil der Sammlung dem Deutschen Museum schenken zu können. In Zukunft könne er sich vorstellen, seine Ausstellung anders zu gestalten. Eine mögliche Option wäre es, nur eine kleine Auswahl an Instrumenten zu zeigen, und den Großteil in einem Depot auszulagern. Insgesamt ist er zuversichtlich. "Ich habe noch nie so viel Unterstützung bekommen", sagt er. Zum Abschied plant Piterna für Montag, 27. Februar, einen letzten Tag der offenen Tür von 16 bis 18 Uhr.