Tradition:"Man wird schnell abgestempelt"

Lesezeit: 3 min

Sebastian Friedrich (links) und Tobias Jehn sind stolz auf ihren Maibaum - und ihr Vereinsheim im alten Wasserwerk. Die Ottobrunner Burschen feiern in diesem Jahr ihr 35-jähriges Bestehen. (Foto: Claus Schunk)

Ottobrunns Burschen feiern Jubiläum - Anlass für ein Gespräch über Tracht, Brauchtum und Klischees

Von Kaja Weber, Ottobrunn

Das Gebäude am Ranhazweg 31 mit dem gepflegten Rasen könnte auf den ersten Blick auch ein Einfamilienhaus sein. Doch der Maibaum vor der Tür und die schwere Gerätschaft im Carport verraten seine Aufgabe als Vereinsheim des Burschenvereins Ottobrunn.

An einem warmen Abend sitzen Sebastian Friedrich und Tobias Jehn hier an einem rustikalen Holztisch zusammen, vor ihnen ein Laptop. Für ihren ersten "Tag der offenen Tür", den sie zum 35-jährigen Bestehen ausrichten, haben sie eine knapp einstündige Präsentation erstellt, Fotos und Statistiken aus der Vereinsgeschichte zusammengetragen. Die Vergangenheit ihres Vereinsheimes, dem "Alten Wasserwerk", haben sie im Gemeindearchiv nachverfolgt, mit Unterstützung der Gemeinderätin Erika Aulenbach (BVO). Mit Bürgermeister Thomas Loderer (CSU) wollte Aulenbach schon länger die Geschichte des Gebäudes, einer Liegenschaft der Gemeinde, aufarbeiten. Sie freut sich über die engagierten Burschen. In einer jungen Gemeinde wie Ottobrunn würden sie die Tradition an einem insgesamt nicht traditionsorientierten Ort pflegen, sagt sie. Aber was heißt das genau?

Ein Sommerfeuer ist kein Johannifeuer

Mit 16 Jahren kann man Mitglied bei den Burschen werden, nach einer einjährigen Anwärterphase fällt in großer Runde die Entscheidung, ob man aufgenommen wird. Dann gehört man zu einer Gruppe von aktuell 68 Mitgliedern (inklusive Altburschen), die für die Gemeinde etwa das Sommerfeuer, Steckerlfischessen oder das Aufstellen des Maibaums organisiert.

Bei der Arbeit entstünden langjährige Freundschaften und man könne stolz sein, "wenn man am Abend sieht, was man den ganzen Tag geschafft hat", sagt Tobias Jehn, der Vorsitzende. Beim Bau des eigenen Maibaumfahrzeugs oder der Renovierung ihres Vereinsheimes treffen Informatiker und Schreiner aufeinander, es gibt auch ein Mitglied mit Down-Syndrom. Die einzelnen Projekte sind dabei technisch spezifischer, als man zuerst denken könnte: Den Burschen ist wichtig zu betonen, dass ihr Sommerfeuer kein Johannifeuer ist und das Holz daher rund statt zeltförmig angeordnet wird.

Schweres Gerät: Der Unimog der Burschen stammt aus dem Jahr 1970 - und ist damit älter als der Verein. (Foto: Claus Schunk)

Wenn er auf den Wachen anderer Burschenvereine ist, achtet Jehn bei Maibäumen oft auf den unteren Teil des langen Stamms - denn der sei je nach Verein sehr unterschiedlich gestaltet. Zum Jubiläum am Samstag bieten die Ottobrunner ein Trinkspiel an: ein Beer-Pong-Turnier. "Wir müssen ja mit der Zeit gehen", sagt Kassier Friedrich, obwohl einige Burschen noch nie Beer-Pong gespielt haben.

Aber ist ein Burschenverein überhaupt noch zeitgemäß? In den letzten eineinhalb Jahren herrschte Anwärterflaute in Ottobrunn. Fragt man nach den Werten, die sie vermitteln wollen, sprechen die Burschen von freundlichem, kollegialem Miteinander und Verantwortungsbewusstsein. Unter Traditionspflege verstehen sie das Organisieren der Feiern. Aber muss man das unbedingt in Lederhose tun? Tracht und Dialekt können für Individualität stehen, meint Friedrich. Außerdem könnten Traditionen Menschen etwas geben, auf das sie zurückschauen könnten - Stetigkeit in einer aktuell schnelllebigen Zeit. Die jungen Männer beobachten auch, dass es in anderen Vereinen höhere Anwärterzahlen gibt: je ländlicher gelegen, desto mehr Nachwuchs.

Politik? "Wir halten uns da komplett raus."

Klischees kann man bei den Burschen finden, wenn man sie sucht. Unterhält man sich beim Treffen des Vereins im Garten, stößt im Hintergrund schon mal jemand auf, in der Garage hängen Poster von leicht oder unbekleideten Frauen. Spricht man Friedrich und Jehn auf Letzteres an, sagen sie, die kämen aus der Vergangenheit, man beachte sie nicht groß. Abhängen wollte sie bisher aber auch noch keiner. Frauen können dem Verein nicht beitreten. Freundinnen und Schwestern seien aber immer willkommen und würden auch gerne bei Festen helfen.

Die Burschen sind sensibilisiert für mögliche Kritikpunkte, sprechen diese auch selbst an. Wie der Verein nach außen wirkt, ist ihnen ein Anliegen, Vorurteile möchten sie abbauen. Sie pflegen Beziehungen zu verschiedenen Betrieben in Ottobrunn, und auch die Gemeinderäte und der Bürgermeister kennen einen - da "menschelt es". Als Seilschaften wollen sie das aber nicht verstanden wissen. Obwohl am Stammtisch auch Gespräche über Politik stattfinden, möchten sich die Burschen öffentlich nicht politisch äußern. "Wir halten uns da komplett raus", sagen Friedrich und Jehn, Stände von Parteien würde man auf ihren Veranstaltungen nicht finden. Auch die mögliche Parteizugehörigkeit oder Wahlentscheidung der Mitglieder werde nicht thematisiert, das sei privat. Dasselbe gilt für Religion, die Kirche setzen Jehn und Friedrich nicht mit Brauchtum gleich.

Am meisten nervt sie das Vorurteil vom saufenden Burschen. "Man wird schnell abgestempelt", sagt Jehn. Bei ihrer Aufnahmeprüfung muss kein Alkohol auf Ex getrunken werden. Stattdessen fragen sie nach der Höhe ihres Maibaumes oder der Motornummer des Traktors - um zu sehen, ob sich Anwärter mit dem Verein beschäftigt haben. Denn nicht der Besitz von Lederhosen oder die Nationalität seien wichtig für die Aufnahme bei den Burschen. Sondern das Engagement und die Leidenschaft für die Tradition.

© SZ vom 25.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: