Tassilo:Die Doppelrolle des Dichterduos

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Tassilo-Kandidaten 2021: Markus Berg und Meike Harms sind Gastgeber und Protagonisten der Ismaninger Poetry-Show

Von Irmengard Gnau, Ismaning

Das mit der Nähe ist ja so eine Sache in diesen Zeiten. Mancher zuckt erst einmal unwillkürlich zusammen, wenn sich ihm ein anderer menschlicher Körper nähert, so sehr sind die Abstandsregeln verinnerlicht. Bei Markus Berg dürfte das etwas anders sein. Der Ismaninger proklamiert ganz offensiv die Annäherung, und er hat damit Erfolg. "Dichter ran ans Wort", so heißt das Poetry-Projekt, das Berg nun im fünften Jahr mit seiner Kollegin Meike Harms fortführt. Als Gastgeber begrüßen sie einmal im Monat Wortkünstler, Poeten und Liedermacher auf der Bühne der Black Box der VHS Nord in Ismaning - dank eines ausgeklügelten Konzepts auch jetzt, während der Pandemie.

Meike Harms (mit coronakonformer Abstands-Anakonda) und Markus Berg haben „Dichter ran ans Wort“ in der Poetry-Slam-Szene etabliert. (Foto: Ursula Baumgart)

Bei der Gründung der Lesebühne im Jahr 2016 hatte Berg noch sanfte Zweifel, ob man sich würde etablieren können, so nah an München mit seiner lebhaften Poetry-Slam-Szene, aber eben doch ein Stück weiter draußen. Die Besucherzahlen ließen diese Sorgen rasch verblassen, längst haben die Ismaninger sich ein Stammpublikum erspielt; und auch neue Fans lockt das Programm immer wieder in den Landkreis, um Poetry-Slam-Künstler wie Alex Burkhard (2017 Deutschsprachiger Meister im Poetry Slam), Frank Klötgen, Jaromir Konecny oder Anke Fuchs zu erleben, ebenso wie Kabarettistin Franziska Wanninger oder ihre Kollegen Sven Kemmler und Bumillo. Ein musikalischer Gast komplettiert stets das Gäste-Quartett, darunter waren bereits das Duo "Mackefisch", die Liedermacherin Le-Thanh Ho und der Musikkabarettist Michael Dietmayr.

Berg und Harms treten dabei in einer Doppelrolle auf. Während er als Gastgeber darum bemüht ist, die anderen Künstler charmant in Szene zu setzen, springt Berg auch selbst auf die Bühne und präsentiert eigene Stücke. "Gastgeber sein ist ein Highlight mit extra Wohlfühlfaktor", sagt der 54-Jährige. Aber auch die eigenen Auftritte will er nicht missen. In den vergangenen Monaten hat er neue Formate entwickelt, aus der erzwungenen Beschränktheit des Radius fokussierte Gedanken extrahiert und neue Themenfelder erschlossen. Dabei ist etwa die "Outdoorlyrik" entstanden, "Walking Texte" sowie zahlreiche Haushaltsgerätegedichte. Einige seiner Poetry-Slam-Texte und Kurzgeschichten hat Berg jüngst in dem Buch "Menschen und andere Störungen" versammelt.

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Zum Poetry-Slam kam Berg sozusagen über die Wissenschaft. Der studierte Ingenieur der Elektrotechnik schrieb nach eigener Aussage schon immer gern humoristische Widmungen und kleine Gedichte zu Geburtstagen und anderen Anlässen. 2011 wagte er sich erstmals auf die Bühne bei einem Science Slam, bei dem es gilt, wissenschaftliche Themen aus dem eigenen Fachgebiet auch für Nicht-Wissenschaftler unterhaltsam aufzubereiten. Wenig später folgte der erste Auftritt bei einem klassischen Poetry Slam. Die Wissenschaftskommunikation liegt Berg noch stets am Herzen, inzwischen ist er selbst regelmäßig Gastgeber von Science Slams wie der "Großen Science Show" der VHS Nord. "Gerade in dieser Pandemie wird ja deutlich, wie wichtig es ist, dass Wissenschaftler ihre Fachkenntnis auch kommunizieren können", sagt Berg. Viele Forscher müssten allerdings erst überzeugt werden, einmal mit ihren Themen auf die Bühne zu treten. "Ein Beitrag muss ja nicht unbedingt lustig sein", sagt Berg. "Auch Lehrreiches kann unterhaltsam sein."

Bei eigenen Texten auf der Bühne von "Dichter ran ans Wort" oder bei Einladungen zu anderen Poetry Slams lässt sich Berg meist von aktuellen Geschehnissen inspirieren. Als seine Hausmarke hat er die "Vogonenlyrik" als eigene Gattung erschaffen, "Dada-Lyrik für ScienceFiction-Fans", angelehnt an Douglas Adams Buch "Per Anhalter durch die Galaxis". Auch an seiner Bühnenperformance hat der notorische Schnellsprecher gearbeitet, er ist gern gesehener Gast bei Slams in München und Umgebung. Mit seiner Lesebühnen-Kollegin Meike Harms hat Berg nun zum ersten Mal auch ein abendfüllendes Programm entwickelt. Mit der Poetry-Show "So oder so" feierten die beiden 2019 im Münchner Vereinsheim Premiere. "Wir sind, glaube ich, ein sehr gemischtes Duo, emotional wie auch von unserer Herangehensweise an Texte auf der Bühne", sagt Meike Harms. "Das ist sehr bereichernd."

Der Corona-Pandemie geschuldet mussten die meisten Auftritte als Duo ausfallen, anders als die von "Dichter ran ans Wort": Jetzt in Corona-Zeiten kommt der Poetry-Show noch eine größere Rolle zu. Denn mehr denn je ist ihr Motto Realität - sie leisten "Beihilfe zum Wort" für viele der Künstlerinnen und Künstler, die ob der Pandemie-Bestimmungen eines Großteils ihrer Auftrittsmöglichkeiten beraubt sind.

Dank der technischen Ausstattung, die VHS-Direktor Lothar Stetz zu Beginn der Pandemie aufgestockt hat, kann die Ismaninger Black Box auch für ein Videopublikum professionell bespielt werden und bietet so anders als die meisten anderen Kleinkunstörtlichkeiten eine zuverlässige Bühne auch während des Lockdowns. Zum Teil sind mehr als 100 Zuschauer dabei, wenn Berg und Harms bei ihrem Auftritt ihre Gäste begrüßen. "Wir sind ein kleiner Fels in der Brandung", sagt Harms. Das empfinden die Gäste wie auch das Gastgeberduo als Geschenk. "Es ist so schön, Kolleginnen und Kollegen um sich zu haben und sich mal wieder auszutauschen, interne Inspiration zu sammeln", sagt Harms. "Natürlich ist es etwas anderes, wenn man direktes Feedback von einem Publikum nur wenige Meter vor sich bekommt", sagt Berg. Gerade bei lustigen Texten hänge die Pointe vor leerem Saal manchmal etwas in der Luft.

Doch das Online-Format hat auch Vorteile: So können Freunde aus der Ferne die Auftritte jetzt live mitverfolgen. Und die Zuschauer am heimischen Bildschirm können über den Chat Stichwortgeber sein. Bei jedem Auftritt verpflichten sich Berg oder Harms etwa, aus von den Zuschauern wild eingeworfenen Wörtern ein Gedicht zu formen. So kann man auch digital dicht ran ans Wort.

© SZ vom 30.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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