SZ-Talentiade:Siegerinnen der Herzen

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Emily Bessoir wurde mit 15 Jahren zur wertvollsten Spielerin ihrer Liga gewählt, Mehr kann man national nicht erreichen. (Foto: dpa)
  • Der TS Jahn München, Basketball, erhält bei der Talentiade 2017 den SZ-Förderpreis, der mit 1500 Euro dotiert ist.

Von Andreas Liebmann, München

Man konnte ihnen das Entsetzen ansehen. "Zehn kreidebleiche Mädchen mit kalten Händen" hatte Trainer Armin Sperber vor sich, "alle schwer geschockt." Seine WNBL-Basketballerinnen - das ist die U-17-Bundesliga der Mädchen - hatten sich wie im Vorjahr ins Top-4-Turnier um die deutsche Meisterschaft gespielt, nach Rang drei wollten sie dieses Mal in Wolfenbüttel den Titel. "Und mit Deutschlands Bester hätten wir das auch geschafft", ist sich Sperber noch vier Wochen danach sicher.

Doch "Deutschlands Beste", Leonie Fiebich, die bei der TS Jahn München auch in der zweiten Frauen-Bundesliga bereits eine feste Größe ist, war nun eben zu Boden gegangen. In letzter Sekunde des ersten Viertels im Halbfinale gegen den TuS Lichterfelde. Schnell war klar: Die 17-Jährige hatte sich im Gewühl unglücklich das Kreuzband gerissen.

Vorerst ging für ihr Team nichts mehr. Erst zur Halbzeit brachten die Münchnerinnen den Kreislauf wieder in Schwung und die Gedanken Richtung Spiel. Gerade noch rechtzeitig. Die Berlinerinnen waren hoch motiviert, fast trotzig, weil ihnen wegen der parallelen Schul-Weltmeisterschaft vier Leistungsträgerinnen fehlten, doch auch ohne Fiebich und deren Zug zum Korb fand Jahn München zurück ins Spiel und siegte 59:56. Lea Pfeifer mit viel Energie und Kampfgeist, Johanna Häckel mit wichtigen Distanztreffern und die vielseitige Emily Bessoir setzten wichtige Akzente. "Emmy hat fast durchgespielt und war sehr dominant", lobte Sperber, "dabei war sie am Fuß verletzt und lag morgens noch beim Physio auf der Bank."

Emily Bessoir, 2016 mit dem Nationalteam EM-Zweite, war auch im Finale die prägende Figur. Sie ist jünger als die anderen, erst 15, gleichzeitig mit 1,92 Meter die Größte. Und spielt nicht etwa auf der Center-Position, sondern auf dem Flügel, weil sie schnell ist und auch gut aus der Distanz trifft. Im Finale gegen Gastgeber Braunschweig-Wolfenbüttel war sie erneut Topscorerin mit 17 Punkten, sie traf vier Dreier und schnappte sich die meisten Rebounds. Dennoch reichte es nicht, obwohl die Münchnerinnen alles probierten. "Wir waren ja plötzlich Außenseiter und hatten uns etwas überlegt, wie wir auch ohne Leo zurechtkommen", erläuterte Sperber.

Er ließ Antonia Bieringer Wolfenbüttels zentrale Werferin Nina Rosemeyer bewachen, "sie ist ihr ständig auf den Schnürsenkeln gestanden". Dennoch blieb es ein enges Duell, "mit zig Führungswechseln, die Halle hat gebrodelt", erinnert sich Sperber. Am Ende trafen die Titelverteidiger einen Dreier, die Münchnerinnen nicht, und im Kampf um die letzten Sekunden zogen die Gegner von der Freiwurflinie noch auf 58:50 davon. "Ich bin immer noch nicht ganz drüber weg", gibt Sperber zu.

Er hätte sonst aufgehört nach 39 Jahren, er sei doch recht ausgelaugt von seinem Projekt in München. "Da steckt so viel Talent und Herzblut drin", sagt er. Doch nun werde er noch ein Jahr dranhängen, nach dem Motto: "3-2-1-meins". Also in der festen Absicht, nach einem dritten und einem zweiten Rang 2018 den Titel zu holen. Der TS Jahn spielt eine Neuerung in die Karten: Aus der bisherigen U-17- soll in der neuen Saison eine U-18-Bundesliga werden, sprich: die komplette Mannschaft kann weiterspielen. Zumindest jener Großteil, der unverletzt ist.

Fiebich wird eine Saison lang ausfallen, wer weiß, ob sie dem Verein sonst erhalten geblieben wäre. "Sie wird zu stark für die zweite Liga", weiß Sperber. Sara Muş, eine Nachrückerin aus der U15, hat ebenfalls einen Kreuzbandriss erlitten. "Und das, obwohl wir so viel Athletik machen", sagt Sperber frustriert. "Ich dachte, das passiert uns nicht." Auch von Emily Bessoir erwartet er, dass sie bald über die zweite Liga hinauswachsen wird, in der sie schon in der abgelaufenen Saison viele Einsätze hatte. Aber noch ist sie jung und hat Zeit. Im nächsten Jahr sollen sie, Lea Pfeifer und Johanna Häckel erst mal nur bei den Zweitliga-Frauen spielen und erst für die Finals zur WNBL stoßen. Die hat auch so genügend Talente, um wieder ganz vorne dabei zu sein.

Die Leistung der Münchnerinnen ist in Wolfenbüttel noch auf eine besondere Weise gewürdigt worden. Emily Bessoir wurde zur wertvollsten Spielerin (MVP) der Liga gewählt. Recht viel mehr kann man als 15-Jährige national nicht erreichen. Außerdem, obwohl dieser Titel üblicherweise einer Spielerin des Meisters gebührt, wurde sie als MVP des Finalturniers geehrt. "Damit hatte ich nicht gerechnet", erzählt sie, "ich war überwältigt". Allerdings erst mit etwas Abstand, denn nach der Niederlage war ihr nicht nach Freude zumute, zumal sie Fiebichs Verletzung am Vortag aus nächster Nähe gesehen hatte. Sperber weiß,wie unüblich diese Ehrung war. "Vielleicht zeigt es, dass wir doch die Sieger der Herzen waren."

© SZ vom 27.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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