SZ-Serie: Sound des Sommers:Die Lautstärke ist Programm

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Die Elektro-Festivals "Schall im Schilf" und "Back to the Woods" haben sich aus privaten Kellerpartys von Garchinger Abiturienten zu professionellen Open-Airs entwickelt

Von Sophie Kobel, Garching

Das kleine schwarze Headset im Ohr von Gabriel Adorf knistert. Er dreht seinen Kopf in Richtung des gräulichen Himmels und runzelt die Stirn. "In München regnet es gerade in Strömen. Wenn das Gewitter zu uns rüber zieht, müssen wir abbrechen. Es ist immer schwierig, so eine Entscheidung zu treffen", sagt der 28-Jährige und lässt den Blick über den glitzernden See, die Menschenschlange vor dem Eintrittshäuschen und die auf der bräunlichen Wiese stehenden Foodtrucks schweifen.

Von drei Bühnen beschallen DJs die Festgäste beim "Schall im Schilf", beim "Back to the Woods" werden es sogar fünf Bühnen sein. (Foto: Marie Heßlinger)

Ganz alleine muss Adorf auf dem "Schall im Schilf"-Festival allerdings nie eine Entscheidung treffen. Denn zum mittlerweile zehnten Mal organisieren die neun Garchinger, die ihre Gruppe "Kellerkind" genannt haben, das Musik-Event gemeinsam. Mit Erfolg: Was mit einer privaten Abi-Feier und 150 Party-Gästen begonnen hat, ist neun Jahre später eines der beliebtesten Festivals Bayerns, knapp 10 000 Menschen kauften 2019 Tickets für das Festival am letzten Juni-Wochenende. Im Jahr 2013 organisierten die Kellerkinder außerdem zum ersten Mal ein zweites Festival im Münchner Landkreis: Seitdem findet das "Back to the Woods" jeden Sommer zwischen Juni und August auf dem Gelände des Garchinger Forschungszentrum statt.

"Wir haben schon immer zusammen Partys organisiert, aber zu Oberstufenzeiten haben die noch im ehemaligen Bauernhof von den Eltern eines Freundes stattgefunden. Die hatten einen alten Kartoffelkeller, da haben wir immer aufgelegt", erzählt Adorf und lacht. Beliebt, das ist der Elektro-Sound der neun jungen Garchinger zu diesen Zeiten allerdings nicht immer gewesen. "Diese Art von Beats war damals einfach noch nicht so populär, da hieß es dann immer ,Oh Mann, jetzt kommt wieder Elektro' wenn wir gekommen sind", erinnert sich Adorf. Gut besucht waren die Partys der Schüler aber trotzdem immer, und so wurde der Kartoffelkeller schnell zu klein. Als die Garchinger 2010 ihr Abitur in der Tasche hatten, stand fest: Zusätzlich zur offiziellen Abschlussfeier muss es eine private Party geben. Die soll am besten draußen stattfinden, und zwar im sogenannten "Obstgarten", einer kostenlosen Feier-Location der Stadt Garching. "Das war eigentlich das erste 'Schall im Schilf'. Nur dass es noch keinen Namen hatte. Aber die Planung hatte uns einfach so viel Spaß bereitet, dass wir im darauffolgenden Sommer wieder eine Open-Air-Party schmeißen wollten", erzählt Adorf und schmunzelt.

Leo Ehrecke, Gabriel Adorf, Philipp Chmel und Sabine Friedrich (von links) organisieren die Garchinger Elektrofestivals mit weiteren Freunden. (Foto: Marie Heßlinger)

Die Stadt Garching siedelte die neun Kellerkinder und ihr Festival 2011 auf die Grillwiese aus. Dort, am Ufer des mit Laubbäumen eingesäumten Garchinger Sees erhielt das "Schall im Schilf" vor neun Jahren seinen Namen und trägt ihn noch heute. Wo früher allerdings zwischen Wiesen, Sträuchern und Spielplätzen eine einzige Bühne stand, legen heute drei DJs gleichzeitig auf.

Noch größer, das soll ihr Festival jetzt allerdings nicht mehr werden: "So wie es jetzt ist, wollen wir es auch weiterhin machen. Ein größeres oder sogar mehrtägiges Festival würde für uns zu viel werden, schließlich fangen wir langsam alle an zu arbeiten, da würden wir auch einfach nicht die Zeit für haben. Außerdem wollen wir die Tickets für unsere Besucher günstig halten", erzählt der Adorf.

Viel Gewinn, den machen die neun Garchinger mit ihrem Festival nie. Einmal haben sie sogar Minus gemacht mit ihrem Festival-Sommer. Heute kosten Tages-Tickets für das "Schall im Schilf" und das "Back to the Woods" jeweils 30 Euro.

"Wir achten sehr darauf, keine Zehntausende von Euros für Künstler-Gagen auszugeben. Stattdessen versuchen wir lieber, jedes Jahr ein paar ganz neue Gesichter aus der Branche zu fördern", erzählt Adorf und deutet auf eine weiß angemalte Spanholzplatte, die von einem nahegelegenen Ast baumelt. Mit schwarzer Farbe ist dort aufgepinselt, wann welcher DJ auf welcher der drei Locations auftritt.

So ist die erste Bühne, "Ursprung" genannt, vor allem für Partygäste da, die House-Musik mögen. Im "Sandkasten" nebenan dagegen wird harter Techno gespielt. Und dann gibt es noch ein drittes DJ-Pult: Die "Laube" ist die kleinste Bühne beim Schall im Schilf und liegt fast schon versteckt zwischen den Rückseiten der Food-Trucks und dem Sanitär-Bereich. Klingt unromantisch, ist es aber nicht. Denn wie schon der Name sagt, ist die Laube von Bäumen eingesäumt. Unter dem Blätterdach tanzen ein paar Jungs im Rhythmus der Beats, die mit Bier gefüllten Plastikbecher in den Händen haltend. Die kleine Bühne ist von einem asymmetrischen Rechteck aus Holzplatten eingerahmt, darüber schweben drei riesige durchsichtige Plastikwürfel.

Hier legt gerade Philipp Chmel auf. Der junge Mann mit dem blonden Pferdeschwanz gehört ebenfalls zu Kellerkind und ist seit dem ersten Jahr mit dabei. "Es macht mir total Spaß, selbst hier aufzulegen und mal ganz neue Musikrichtungen wie Digital Cumbia, also südamerikanische Beats in Kombination mit Techno, auszuprobieren", erzählt der 28-Jährige.

Chmel ist das gesamte Jahr damit beschäftigt, neben dem Studium das "Schall im Schilf" zu organisieren. Fünf Stunden in der Woche plant er von seinem Wohnort Wien aus, welche Foodtrucks dieses Jahr dabei sind, wie viele Künstler auftreten können und ob die Anzahl der Helfer für den Auf- und Abbau im vergangenen Jahr genug war. Richtige Arbeit ist das für den ihn allerdings nicht: "Für mich ist das eine angenehme Abwechslung zu meinem Studium. Und eine schöne Arbeit, weil man ja jedes Jahr seinen alten Freundeskreis wiedersieht."

Inhalte seines Studiums, wie Klimapolitik zum Beispiel, versucht der gebürtige Garchinger dabei immer in die Organisation miteinzubauen. Er sagt: "Wenn wir hier mit dem Abbau fertig sind, ist es danach jedes Jahr sauberer als davor."

© SZ vom 22.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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