SZ-Serie "Reife(n)prüfung":Für jede Gelegenheit das passende Rad

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Aus vier Fahrrädern kann Peter Settele auswählen, wenn er zuhause losfährt: Vom Rennrad bis zum Mountainbike ist alles dabei. (Foto: Robert Haas)

Peter Settele aus Unterföhring legt seit 70 Jahren fast alle Wege mit dem Fahrrad zurück. Den Führerschein hat er nie gemacht, öffentliche Verkehrsmittel meidet er - und auch ein E-Bike würde er sich nie zulegen.

Von Sabine Wejsada, Unterföhring

Nahezu 15 Mal dürfte er die Erde umrundet haben mit dem Rad. Peter Settele, 81, tritt seit Weihnachten 1947 in die Pedale, wenn er von A nach B kommen will. Autofahren kann er nicht, er hat keinen Führerschein. Nie gemacht - "und nie gebraucht", sagt der ehemalige Rektor der Unterföhringer Grundschule und frühere Kulturbeauftragte der Gemeinde. So gut es geht, verzichtet er auch auf öffentliche Verkehrsmittel. Bus und Bahn sind seine Sache nicht. Außer er fährt mit seiner Frau Gerda in die Oper oder ins Konzert. Dann muss es halt sein. Das Auto nehmen sie dafür nie. "In München braucht es das nicht, das ist doch der pure Wahnsinn", sagt er bestimmt an diesem sonnigen Vormittag am Feringasee.

Settele ist freilich mit dem Rad gekommen und hat schon eine Stunde Schwimmen hinter sich, ehe er sich am Tisch im Schatten eine Apfelschorle bestellt. Das "Alltagsrad" steht in ein paar Metern Entfernung, sorgfältig abgesperrt. Zurzeit hat der Unterföhringer vier Räder. Ein älteres, das immer dann in Benutzung ist, wenn er kleinere Strecken in der Gemeinde zurücklegen muss, ein Mountainbike "für den Großraum", also wenn er zu den Vorlesungen an die Uni fährt, in den Hofgarten zum Zeitunglesen oder auf den Fröttmaninger Berg.

Das dritte Rad wird aus dem Keller geholt, wenn längere Wege anstehen. 50 bis 120 Kilometer oder mehr fährt er dann auf diesem, einem guten Gefährt. Und noch ein viertes Fahrrad nennt er sein eigen: Seit 1995 hat Settele ein Rennrad. "Wenn ich mich austoben muss, nehme ich das", sagt er. Zum Beispiel, wenn die Fußballer des TSV 1860 München wieder einen "rechten Schmarrn gespielt haben", dann hält den "Löwen auf Lebenszeit" nichts mehr. Dann muss er in die Pedale treten.

Gemein ist allen Rädern natürlich eine Gangschaltung, denn "ohne Gänge geht nichts", sagt er und fügt nicht ohne Stolz hinzu, dass er alle Berge im Münchner Großraum auch in seinem Alter noch locker hinauffahren könne: "16 bis 18 Prozent Steigung schaffe ich schon." Man glaubt es gern, wenn man ihn anschaut. Durchtrainiert, braun gebrannt.

Dabei ist Settele kein Schönwetter-Radler. Noch nie gewesen. Ob im Winter oder bei Dauerregen, er radelt. Für Settele ist das Fahrradfahren "eine besondere Art, das Leben zu gestalten". Auf dem Rad sei er regelmäßig "in der Stimmung, um zu singen und zu pfeifen", wie er sagt. Schnell radelt er nur, wenn es pressiert. Und das passiert nicht oft. Ein hektischer Pedalritter, der ohne nach rechts oder links zu schauen, Kilometer frisst, nein, so einer sei er nicht, noch nie gewesen. Genussradeln ist seins, und vielleicht stehen bleiben, wenn man jemanden trifft, um zu ratschen. Aus diesem Grund meidet er nach eigenen Worten auch die Uhrzeiten, zu denen der Weg an der Isar Richtung München von Rasern auf zwei Reifen bevölkert ist.

Warum er nie den Führerschein gemacht hat? Settele lacht: Nach dem Abitur hätten ihn seine Eltern vor die Wahl gestellt. Sie wollten ihm den Führerschein zahlen, wenn er mit dem Fußball aufhört. Doch als passioniertem Kicker beim FC Viktoria Sendling sei das für ihn nicht in Frage gekommen, erinnert er sich. Zu den meisten Auswärtsspielen sei er damals mit dem Rad gefahren. Und bereut habe er die Entscheidung nie. "Autofahren, das ist doch Stress, das kostet Nerven", sagt Settele.

Natürlich fahre er mit seiner Frau im Auto, zum Skiurlaub zum Beispiel. Aber mit dem Rad habe er sich schon viel Zeit gespart: "Schauen Sie sich doch mal die langen Staus an, Auto an Auto." Nein, dann ist er lieber mit dem Radl da. Zwischen 7000 und 8000 Kilometer legt er im Jahr zurück.

Das Fahrradfahren ist gefährlicher geworden

Ob das Fahrradfahren in den vergangenen Jahren gefährlicher geworden ist? Ja, sagt Settele und muss nicht lange überlegen. Für einen Bewusst-Radler wie ihn auf jeden Fall. "Es sind viel mehr Fahrradfahrer unterwegs als früher und die Autofahrer sind rücksichtsloser geworden", schildert Settele seine Erfahrung. "Radl-Rambos" gebe es auch immer mehr.

Einen Unfall hatte er in den vergangenen sieben Jahrzehnten zum Glück nicht. Gestürzt ist er nur einmal schlimm im Winter, als die Wege im Englischen Garten "wie fast immer nicht gescheit geräumt waren". Dass er ohne Helm fährt, ist wohl auch ein bisschen der Eitelkeit geschuldet, auch wenn er sagt, dass er einen solchen Kopfschutz "einfach nicht aushalten kann und deswegen viel vorsichtiger unterwegs ist". Zumindest auf der Skipiste trägt er seit einiger Zeit Helm.

Ein E-Bike übrigens würde sich Peter Settele nie zulegen. "Nein, dann höre ich mit dem Fahrradfahren auf", sagt er, "das wäre für mich Betrug, fiktives Radeln". Bei seinen geschichtlichen Touren in Oberbayern erlaubt er zumindest, dass auch E-Biker teilnehmen können. Sagt's und geht zu seinem Alltagsrad, um heimzufahren.

© SZ vom 12.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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