SZ-Serie: Reife(n)prüfung:Flotter Genießer

SZ-Serie: Reife(n)prüfung: Abwärts in die Tiefgarage.

Abwärts in die Tiefgarage.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Martin Jenkner fährt nahezu täglich von Stockdorf nach Unterschleißheim in die Arbeit - 29 Kilometer hin, 29 Kilometer zurück. Dabei erlebt der Physiker die Schönheit der Natur und brenzlige Situationen in der Stadt - und viel schneller ist er mit dem Auto auch nicht

Von Bernhard Lohr, Stockdorf/Unterschleißheim

Martin Jenkner hat um 8 Uhr die ersten zehn Kilometer in den Knochen. Und er ist gut drauf. Man sieht es auf den ersten Blick, wie er dasteht neben seinem Rad, strahlend, den Helm in der Hand. Am Schloss Blutenburg - links der See mit Burg, rechts Blumenwiesen - macht er kurz Stopp.

Er blinzelt in die Sonne und schwärmt vom perfekten Radltag bei Sonne und angenehmen Temperaturen: Wenn es sich anbietet wie heute, radelt der 50-Jährige die 29 Kilometer von Stockdorf bis Unterschleißheim in die Arbeit. Eine Stunde und fünf Minuten braucht er hin - und abends zurück. Er ist ein flotter Fahrer, und ein Genießer.

SZ-Serie: Reife(n)prüfung: Martin Jenker nimmt jede enge Kurve mit Spaß.

Martin Jenker nimmt jede enge Kurve mit Spaß.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Beides kann der Physiker auf seiner Fahrt durchs Würmtal, durch Obermenzing, Feldmoching, Oberschleißheim und Unterschleißheim ausleben. Er schwingt sich in den Sattel und lässt das Rad runter zur Radwegunterführung unter der Verdistraße laufen, und rauf in einem kurzen Bogen um die Kurve rein ins Wohngebiet. Der Weg ist frei, es geht an der Würm entlang, durchs Wohngebiet. Zwischendurch ist linker Hand die Pippinger Straße zu sehen, auf der sich der Verkehr staut. Nur erahnen lässt sich, was auf dem Autobahn-Westring los ist, am Aubinger Tunnel, wo Jenkner oft genug selbst bei Blockabfertigung im Stau sitzt, wenn er bei schlechtem Wetter lieber mit dem Auto fährt.

Er macht Tempo, fährt aber auch defensiv

Er ist keiner, der über Autofahrer schimpft oder auf sie herabschaut. "Ich bin jetzt Fahrradfahrer, gestern war ich Autofahrer", sagt Jenkner ganz ruhig während der Tour. Er wundert sich, wenn sich Radler und Autofahrer feindselig gegenüberstehen, anschreien oder sogar handgreiflich werden.

Der 50-jährige drahtige Pendler kennt beide Seiten, das merkt man an seiner Fahrweise. Jenkner macht Tempo, fährt aber auch defensiv. Als er in Obermenzing vom Radweg auf eine Straße einbiegt, steht ihm plötzlich ein Linienbus gegenüber. Er hält mit dem Rad an, winkt den Busfahrer vor, und der bedankt sich freundlich mit gehobenem Daumen durchs offene Fenster bei dem rücksichtsvollen Radler. "Ich fühle mich viel schneller bedroht als im Auto", sagt Jenkner während der Fahrt. Zu wissen, dass man keine Knautschzone um sich habe, mache etwas mit einem.

Wenn er radelt, fährt er daher die inneren Antennen aus. Er ahnt Gefahren, wie damals, als ein Kind bei einem geparkten Auto am Straßenrand die Tür aufriss, und er gerade noch ausweichen konnte. Seit acht Jahren radelt Jenkner nach Unterschleißheim in die Einsteinstraße zur Moxa Europe GmbH ohne größere Blessuren.

Einmal aber ist er gestürzt. Als er in Feldmoching Richtung Oberschleißheim fuhr, stand ein Auto halb auf dem Geh- und Radweg. Er selbst war auf dem Rad kurz abgelenkt, sah das Auto spät, konnte nicht mehr ausweichen und flog über die Motorhaube. Es ging glimpflich aus, eine kleine Fleischwunde, immerhin brach er sich nichts.

SZ-Serie: Reife(n)prüfung: Das Fahrrad anketten - und ab unter die Dusche. Martin Jenkers Arbeitgeber in Unterschleißheim hat viel übrig für sportliche Mitarbeiter.

Das Fahrrad anketten - und ab unter die Dusche. Martin Jenkers Arbeitgeber in Unterschleißheim hat viel übrig für sportliche Mitarbeiter.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Tour hat sich Jenkner selbst zusammengestellt. Es geht durch Wohnstraßen, wo rechts vor links zu beachten ist, entlang am Werksgelände von Krauss Maffei, wo manchmal frühmorgens mit Panzern beladene Lkw zur Abfahrt bereitstehen. Jenkner kreuzt die Ludwigsfelder Straße und schießt mit seinem Rad zwischen Bäumen und Büschen rein in einen kleinen Waldweg, wo plötzlich Stadt, Autos und Gefahren weit, weit weg zu sein scheinen.

Auf der Brücke über den Rangierbahnhof Nord ist die halbe Strecke bereits bewältigt. Es geht abseits jeglichen Trubels durch die Ferchenbachstraße weiter, ein kleiner Bach fließt zur Rechten. Das Rad rollt an unberührten Wiesen entlang zum Feldmochinger See. Bei einer Pause dort erzählt Jenkner von den schönen Wegen außerhalb und den eher schwierigen Verhältnissen für Radfahrer in Siedlungsgebieten. Der See liegt ruhig, morgens um 8.30 Uhr, eine Frau mit Badekappe schwimmt eine Runde. Drei junge Frauen und ein Mann stehen mit Ghettoblaster am Ufer und unterhalten sich auf Englisch. Es ist ein Date für ein Fotoshooting, wie sich später zeigt.

In der Arbeit gibt es für die Radler Duschen

Martin Jenkner kriegt viel mit, bis er in der Arbeit ankommt. "Es ist kein Wunder, dass alle nach München kommen", schwärmt er über die Natur. Er erlebt aber auch brenzlige Situationen und kann etliche Anekdoten erzählen: Wie die von dem älteren Herrn auf dem Rad, der sich mit einem Autofahrer gewaltig in die Haare geriet, nachdem er von dem Wagen in den Graben gedrängt worden war. Oder die Geschichte, wie er auf seinem Bike eine Heckenschere von zu Hause mitnahm und an einer unübersichtlichen Kurve eigenmächtig Büsche stutzte. "Was machen Sie denn da", sprach ihn ein älterer Herr an, der sah, dass da offensichtlich nicht der Hausmeister zu Werke ging.

Das Radfahren fasziniert Martin Jenkner seit seiner Kindheit. Er kann sich richtig begeistern dafür. Mit dem Rad braucht er in die Arbeit fünf Minuten länger als mit dem Auto. Nur fünf Minuten. Dafür macht er Sport, hat Zeit zum Nachdenken und erlebt so viel. Seine Sinne werden angeregt. So wie beim Auftakt zur letzten Etappe von Feldmoching über Oberschleißheim nach Unterschleißheim, wo Jenkner im Sommer vorbei an Beerengärten und Gärtnereien radelt, von deren Feldern schon mal ein feiner Pfefferminzduft herüberweht.

In Oberschleißheim wird es dann innerorts eng. Radfahrer und Fußgänger teilen sich einen Weg. Ein älterer Herr auf dem Rad bestimmt das Tempo. In Unterschleißheim geht es zweckmäßig und flott an der Landshuter Straße auf dem Radweg voran, bis zum Einkehrschwung an der Edisonstraße und zur Einsteinstraße.

Bei der Moxa GmbH stellt Jenkner sein Rad in der Tiefgarage auf seinem Parkplatz ab. Ein Metallring an der Wand zeigt, welche Kollegen manchmal mit dem Rad kommen. Die Ringe wurden installiert, damit die Räder abgesperrt werden können. Auf zwei von drei Etagen der Firma wurden extra Duschräume eingebaut. Es ist klar: Der Firmenchef des Unternehmens aus Taiwan hat etwas für Sport übrig. Die Sportaktivitäten würden gefördert, sagt Jenkner, der auch nicht alleine ist in seinem Team. Susan Schaubhut, 36, war Leistungsschwimmerin. Sie trug mit Jenkner und Kollegen beim Stadtradeln einen internen Wettbewerb aus. Mit 530,8 Kilometern in drei Wochen war sie am Ende die Beste.

Viele Wege führen für Radler nach Unterschleißheim. Schaubhut nimmt den von Germering.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: