SZ-Serie: "Reife(n)prüfung":Der Norden radelt voran

Lesezeit: 4 min

Rudi Naisar an der "Rudi-Naisar-Gedächtnisbrücke". (Foto: Irmengard Gnau)

Beim Blick auf die Liste fahrradfreundlicher Kommunen fällt auf: Es sind viel mehr Gemeinden aus dem nördlichen Landkreis vertreten. Dank Menschen wie Rudi Naisar, die aus der Not eine Tugend gemacht haben

Von Irmengard Gnau, Garching/Unterschleißheim

Ein wenig kann man Rudi Naisar den Stolz anmerken, wenn er vom Baseballplatz der Atomics hinunter in Richtung Garchinger See schaut. Dort, mitten auf der Fahrbahn, prangt er, in kräftigem Blau: einer der Beweise, dass Garching ganz vorn dabei sein will, wenn es um die Fahrradfreundlichkeit geht. Die Straße am See ist die erste Fahrradstraße in der Universitätsstadt, weitere sollen folgen. Eingerichtet wurde sie nicht zuletzt dank Naisars hartnäckigen Einsatzes. Seit 2015 ist der 64-Jährige offiziell Garchings Fahrradbeauftragter. Als alter Hochbrücker, passionierter Radler und SPD-Stadtrat mit guten Verbindungen in die Vereine wie in die kommunale Politik und Verwaltung eine ziemliche Idealbesetzung, wie viele meinen. Seit gut 15 Jahren ist er "Alltagsradler", sagt Naisar, anfangs noch vor allem, um auf dem Weg zu seinem Arbeitgeber in Ismaning nicht ständig im Stau zu stehen auf der B471, heute, als höchst aktiver Rentner, auf quasi allen Wegen. 7000 bis 8000 Kilometer im Jahr legt er mit dem Fahrrad zurück, schätzt Naisar. Das Stadtauto hat er inzwischen abgeschafft, in seiner Garage stehen nur noch die Liebhaberstücke, an denen er bastelt und mit denen er ab und zu eine Runde dreht.

Rudi Naisar an der "Rudi-Naisar-Gedächtnisbrücke". (Foto: Irmengard Gnau)

Mit seiner Überzeugung vom Radverkehr hat Naisar auch seine Kollegen in der Stadtpolitik angesteckt. Die Universitätsstadt hat in den vergangenen Jahren einiges in Bewegung gebracht. "Garching macht sehr viel", lobt Robert Burschik aus Unterschleißheim, Mitglied im Vorstand des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) München und dort Sprecher für die Nordgemeinden. Die Bemühungen fruchten: Der Anteil des Fahrrads am Gesamtverkehr liegt in der Universitätsstadt einer städtischen Erhebung zufolge bei stolzen 31 Prozent - bayernweit sind es im Durchschnitt etwa elf. Seit vergangenem Herbst darf sich Garching außerdem offiziell "Fahrradfreundliche Kommune" nennen, als erst zweite Kommune im Landkreis. Die erste war 2014 Ismaning - ebenfalls eine Gemeinde aus dem Norden. Unterschleißheim, Oberschleißheim und Kirchheim befinden sich im Bewerbungsprozess. Aus dem Landkreissüden hingegen ist Oberhaching der einzige Anwärter, abgesehen von den Würmtalgemeinden Planegg und Gräfelfing.

Die Fahrradstraße in Garching. (Foto: Irmengard Gnau)

Für Naisar liegt es auf der Hand, dass die Kommunen im Norden Münchens besonders auf den Radverkehr auch im Alltag setzen. Einerseits aus Überzeugung, weil die Vorteile des Radelns - Stärkung der Gesundheit, umweltfreundliche Fortbewegung, Flexibilität - auf der Hand liegen und immer mehr ins Bewusstsein rücken. Und andererseits, weil die Kommunen auch darauf angewiesen sind. "Ohne den Radverkehr bricht die Nahmobilität zusammen", sagt Naisar. Die Unternehmen schießen im nördlichen Landkreis nur so aus dem Boden, der Business Campus in Garching scheint sich, zugespitzt gesagt, wöchentlich mehr zu füllen, ebenso wie das namensgleiche Areal in Unterschleißheim oder die Gewerbeparks bei den Nachbarn in Ismaning. "Im Süden des Landkreises wird eben gelebt, im Norden wird gearbeitet", sagt Naisar mit einem Augenzwinkern. Mit den Unternehmen kommen die Mitarbeiter, und die wollen irgendwie zu ihrem Arbeitsplatz kommen ohne ständig im Stau zu stehen. Die von Naisar bevorzugte Möglichkeit dafür ist, mehr Menschen vom Radfahren zu überzeugen.

Rudi Naisar kann viel Positives vorweisen, wie die Fahrradstraße. (Foto: Irmengard Gnau)

Dafür braucht es eine gute Infrastruktur. Die Kommission der Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundlicher Kommunen Bayern (AGFK), darunter Burschik, lobte nach ihrer Prüffahrt im Sommer 2017 das gelungene Konzept der Stadt, insbesondere die gute Verknüpfung von öffentlichem Nahverkehr und Radeln, zum Beispiel durch die doppelstöckigen Radstellplätze am U-Bahnhof Garching. Auch beim Wegenetz hat sich viel getan, wie Naisar zufrieden zeigt. Auf dem leicht bekiesten Weg entlang des Isar-Schleißheimer Kanals können Radler inzwischen gemütlich von Hochbrück gen Unterschleißheim fahren, ohne sich an der stark befahrenen B471 Abgasen und der Gefahr unbedachter Abbieger aussetzen zu müssen. Nördlich der Bundesstraße verbindet ein weiterer, neuer Radweg die Gewerbegebiete der beiden Landkreisstädte. Auch er führt durchs Grüne, ist übersichtlich beschildert und auch bei schlechtem Wetter befahrbar - alles wichtige Kriterien, betont Burschik. Die zu erfüllen, ist allerdings nicht umsonst. Etwa 500 000 Euro hat Garching allein für den Ausbau des Radwegs in die Hand genommen. Vorbildlich - und wichtig, sagt Burschik: "Ein klar erkennbarer politischer Wille ist zentral, um den Radverkehr wirklich voranzubringen."

Über Jahrzehnte kamen Fahrradfahrer in den Vorstellungen der Verkehrsplaner quasi nicht vor, das Rad war lediglich eine Freizeitfortbewegung, kein tägliches Verkehrsmittel. Davon zeugen im nördlichen Landkreis noch einige Problemstellen, etwa die Kreuzung von B 471 und B 13 zwischen Garching und Oberschleißheim. Die Fußgängerwege sind schmal, auf der Straße fahren schwere Lastwagen mit Vorfahrtsrecht, Ampeln für nicht-motorisierte Verkehrsteilnehmer gibt es nur auf einer Seite und der Anschluss an den Radweg auf Garchinger Seite verliert sich vor einem Buswartehäuschen. "Die Infrastruktur der Straße ist 20, 30 Jahre alt - da hat man an Radfahrer einfach nicht gedacht", sagt Naisar. Umso glücklicher ist er, dass sich heute einiges geändert hat. "Man spürt einen Mentalitätswechsel", sagt er. Als Fahrradbeauftragter wird er in die Garchinger Bauleitplanung einbezogen, kann für breitere Unterführungen und Radstreifen plädieren, bevor es zu spät ist. Beim neuen Baugebiet in Hochbrück zum Beispiel soll der Radverkehr von Anfang an als wichtiges Element mitgeplant werden. Und manchmal sind es auch kleine Dinge, die großen Effekt entwickeln: das Wegfallen eines Pollers vor einer Brücke zum Beispiel, der nachts für Radler ein unerwartetes Hindernis darstellte. Oder der Ersatz einer Holzbrücke durch eine Stahlkonstruktion, breiter und mit einem rutschfesten Belag - die "Rudi-Naisar-Gedächtnisbrücke" in Hochbrück, wie sie Burschik scherzhaft nennt.

Andernorts muss noch nachgebessert werden, wie etwa in Lohhof-Süd. (Foto: Irmengard Gnau)

Auf dem Erreichten will sich der Garchinger Fahrradbeauftragte aber nicht ausruhen. "Wir sind auf einem guten Weg, aber es gibt noch viel zu tun", sagt Naisar. Seine Ziele sind durchaus ambitioniert: In den kommenden Jahren soll der Radleranteil in Garching auf 35 bis 40 Prozent zunehmen. Zwei bis drei Millionen Euro will die Stadt dafür investieren. Dementsprechend soll auch die Bedeutung steigen, die dem Rad bei der Verteilung der Verkehrsflächen eingeräumt wird, wünschen sich Naisar und Burschik.

Elementar dabei ist die stete Zusammenarbeit mit den Nachbarn - um ein echtes Radwegenetz zu spannen. Positiv bewertet Burschik dabei auch das Engagement des Landkreises: Von September an soll es eine neue Fahrradbeauftragte geben, die sich mit mehr Zeit als bisher dem Thema widmen kann. Am Ende, meint Naisar grinsend, lohnt sich der Ausbau des Radverkehrs schließlich auch für die Autofahrer: "Wenn mehr Menschen aufs Rad steigen, haben die dann wieder mehr Platz auf der Straße."

© SZ vom 06.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ-Serie "Reife(n)prüfung"
:Autofahrer haben Vorfahrt

Unterföhring hat es bisher abgelehnt, ein Radverkehrskonzept für die Gemeinde zu erstellen. Fahrradstraßen in Tempo-30-Zonen seien nicht umsetzbar, sagt der Bürgermeister. Lichtblick ist der Weg über eine Brücke.

Von Sabine Wejsada

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: