Halbzeit im Rathaus Pullach:Sonnenblume auf karstigem Boden

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Pullachs grüne Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund hat es angesichts der Mehrheitsverhältnisse schwer, der Gemeindepolitik ihren Stempel aufzudrücken. Sie sei zu wenig Realpolitikerin, sagen die einen, sie sei führungsschwach, die anderen. Sie werde wiedergewählt, glauben alle.

Von Martin Mühlfenzl, Pullach

Manchmal kommt die Seriosität, die von Bürgermeistern und Gemeinderäten eingefordert wird, nicht zum Tragen. Im Pullacher Rathaus sieht das dann folgendermaßen aus: Die Bürgermeisterin gibt das Rederecht weiter: "Der Kollege Helmerich hat das Wort". Der Genosse aber denkt gar nicht daran, sich auf so viel Sachlichkeit einzulassen: "Danke Susanna", duzt er zurück.

Susanna Tausendfreund, die erste grüne Bürgermeisterin im Landkreis, muss qua Amt alle Kollegen des Gremiums gleich behandeln. Auch ihren Lebensgefährten Odilo Helmerich. Umgekehrt lässt der Umgang mancher Gemeinderäte mit der Bürgermeisterin manches Mal Zweifel daran aufkommen, dass alle 20 Mitglieder des Gremiums dieselbe gute Kinderstube durchlaufen haben.

CSU-Fraktionssprecher Andreas Most, der Tausendfreund in der Stichwahl 2014 unterlegen war, kommt - nach einer Bewertung der bisherigen Bilanz der Bürgermeisterin gefragt - nicht ohne einen kräftigen Seitenhieb auf die Kollegen der Vereinigung Wir in Pullach (Wip) aus: "Die betreiben knallharte Fundamentalopposition." Diese Feststellung ist einerseits wenig überraschend, besteht die Wip doch aus abtrünnigen Christsozialen, die sich erst vor der Kommunalwahl zusammengetan haben. Andererseits lässt Mosts Attacke tief blicken - in die Zustände eines, wohlwollend formuliert, lebhaften Gemeinderates. In manchen Momenten erinnert das Gremium aber mehr an den Toberaum eines Kindergartens, was der Bürgermeisterin das Leben nicht einfach macht.

Wie funktioniert Politik ohne Mehrheit im Rücken?

Aus der Sicht prägender Gemeinderäte macht es ihnen die Rathauschefin aber auch nicht leicht. "Menschlich und persönlich gibt es an Susanna Tausendfreund nichts zu kritisieren", sagt FDP-Gemeinderat Alexander Betz, der einer ihrer Stellvertreter ist. "Es ist die inhaltliche Ausrichtung, die nicht immer stimmt. Wir sind in den vergangenen drei Jahren in Pullach nicht wirklich vorangekommen." Betz macht das an einem für die Gemeinde so wichtigen und im Gemeinderat höchst umstrittenen Thema fest: der Grundschule. Die Bürgermeisterin will einen Neubau. Für den aber gibt es - das ist seit Monaten klar - keine Mehrheit. Wip, CSU und FDP wollen die Sanierung und einen Anbau. "Sie ist zu wenig Realpolitikerin", sagt Betz. "Sie versucht zu oft, gegen den Gemeinderat zu regieren. Wie soll das ohne Mehrheit funktionieren?"

Grüne Triebe hat Susanna Tausendfreund - hier im Wald mit Schulkindern - auch auf dem politischen Feld gesetzt. Nicht alle treiben aus. (Foto: Claus Schunk)

Susanna Tausendfreund hat kein leichtes Erbe übernommen, darin sind sich Betz und Most einig. Zu viel, sagen sie unabhängig voneinander, sei vor Tausendfreunds Amtsübernahme in der Zeit des CSU-Bürgermeisters Jürgen Westenthanner liegen geblieben. "Aber jetzt ist es an der Zeit, Pullach zu gestalten", sagt CSU-Fraktionschef Most. "Aber von der Bürgermeisterin kommt zu wenig Führung. Wir wissen nicht, wo die Reise hingehen soll."

Wo sie nicht enden soll, macht Cornelia Zechmeister sehr klar. Auch die Wip-Gemeinderätin ist eine Stellvertreterin der Bürgermeisterin. Da wäre ein enges, vertrauensvolles Verhältnis zu erwarten. Und Zechmeister sagt, sie komme mit Tausendfreund menschlich sehr gut aus. "Aber wir können das Private und die Arbeit gut trennen, und das müssen wir auch", sagt Zechmeister. "Wir sind komplett verschieden, wenn es um Inhalte geht." Pullach ist gleichermaßen eine stockkonservative und doch grün-liberale Gemeinde. Und die Wip - die Fundamentalopposition - sieht sich gewissermaßen als Gralshüterin des traditionellen Pullachs.

Zechmeister sagt: "Wir stehen dafür, dass wir unsere Pflichtaufgaben erfüllen und aufs Geld schauen." Und die Bürgermeisterin? "Sie agiert zu ideologisch", sagt sie. "Ich habe Verständnis, dass Frau Tausendfreund das durchsetzen will, was sie für sich als wichtig erachtet", sagt Zechmeister. "Aber ich habe das Gefühl, sie ist nicht kompromissbereit genug, um auch mal einen Beschlussvorschlag abzuändern."

Erfolge kosten viel Kraft und Zeit

Vielmehr passiert es der Bürgermeisterin schon mal, dass ihre inhaltlichen Angebote an den Gemeinderat ignoriert und abgeändert werden. In den Etatverhandlungen im Vorjahr war das so, als sich CSU, Wip und FDP zusammentaten. Bei der Unterbringung von Flüchtlingen ebenso. Die Diskussionen über sozialen Wohnungsbau auf den Grundstücken der Heilmannstraße 53/55 sind ein Paradebeispiel dafür, wie wandelbar auch Tausendfreund sein muss angesichts der Schlenker, die so manche Fraktion im Gremium binnen Minuten hinlegen kann. Am Dienstag hat sie das Projekt dennoch durchgebracht. Es ist einer ihrer großen Erfolge. Einer, der viel Kraft und Zeit gekostet hat.

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(Foto: Claus Schunk)

Trachtentauglichkeit: Der Janker sitzt, ist aber kein Muss. Bayerntümelei ist ihr fremd. Anzapfkompetenz: Bisher zu selten erprobt. Selbstdarstellerqualität: Kein Haudrauf. Nimmt sich auch zurück. Vereinsmeierquote: Von der Petra-Kelly-Stiftung bis zur Bürgerbewegung gegen den Südring. Stammtischpräsenz: Durchaus vorhanden. Kann sogar mit Zaubertricks unterhalten.

Susanna Tausendfreund hat vor etwa einem Jahr gesagt, sie habe den zeitlichen Aufwand, der mit dem Amt verbunden ist, unterschätzt - auch im Vergleich mit ihrer bisherigen Tätigkeit als Landtagsabgeordnete der Grünen.

Vor einigen Wochen herrschte dichtes Gedränge vor dem großen Sitzungssaal; weit mehr als hundert Gäste warteten auf den Beginn der Gemeinderatssitzung um 19.30 Uhr. Darunter viele Jugendliche mit weißen Shirts und Caps, schließlich sollte es an diesem Abend um die Zukunft des Skateparks gehen. Doch der Beginn der öffentlichen Sitzung verzögerte sich, das Gremium hatte noch einiges unter Ausschluss der Öffentlichkeit besprechen. In Pullach ist es mittlerweile Usus, dass der Gemeinderat sowohl vor als auch nach jeder öffentlichen Sitzung unter Geheimhaltung berät.

Tagungen bis nach Mitternacht

"Da geht man manchmal an die Belastungsgrenze, wenn bis 1 Uhr, 1.30 Uhr getagt wird", sagt CSU-Fraktionschef Most. "Ich bin selbständig, da ist das einfacher. Aber für Angestellte ist das manchmal unzumutbar." Ob das eine Zermürbungstaktik der Bürgermeisterin sei, kann er nicht sagen. "Aber sicher ist, manches dauert so lange, weil sie keine Fehler machen will", glaubt Most. "Weil sie selbst und ihre Verwaltung alles noch einmal erklären müssen", vermutet er.

Cornelia Zechmeister entgegnet, in einem Gremium mit so vielen unterschiedlichen Meinungen müsse vieles ausdiskutiert werden: "Ja, das kostet Zeit. Aber es entwickeln sich neue Ideen und Ansätze." Was ihr aber wirklich fehle, sagt sie, ist die Kommunikation zwischen der Rathauschefin und ihrer Fraktion: "Mit uns spricht sie nicht. Ich habe das immer wieder angeboten - aber es kommt nichts."

Susanna Tausendfreund lässt im Gemeinderat vieles laufen. Doch sie hat auch die Härte, um durch den Einsatz der Glocke anschwellende Diskussionen wieder einzudämmen. Und es gibt Momente, die belegen, dass hier Menschen aufeinandertreffen und zusammenarbeiten, die sich nicht spinnefeind sind - wenn dann nur inhaltlich. Als am vergangenen Dienstag das Projekt Grundlberg-Siedlung verabschiedet wurde - und die Sitzung nach sensationellen 43 Minuten zu Ende war - standen wie selbstverständlich diejenigen lachend zusammen, die sich sonst so gerne streiten; Cornelia Zechmeister und Susanna Tausendfreund. Ebenso Andreas Most.

Es ist allerdings sehr wahrscheinlich, dass die Fetzen flogen, nachdem sich die Türen zur nicht-öffentlichen Sitzung geschlossen hatten, und dass CSU-Mann Most der Bürgermeisterin vorwarf, sie als Grüne fälle am meisten Bäume, dass der Liberale fehlende Sparsamkeit der Bürgermeisterin kritisierte und Zechmeister den Flächenfraß.

Susanna Tausendfreund selbst sagt bei jeder sich bietenden Gelegenheit, ihr mache der Job "ungeheuer viel Spaß". Endlich könne sie gestalten, Realpolitik machen - anders als sie es als Dauer-Oppositionelle im Landtag erlebte. Dass diese Gegensätze in der öffentlichen Wahrnehmung auch über die Kommunalwahl im Jahr 2020 eine Fortsetzung finden werden, ist äußerst wahrscheinlich. Die Bürgermeisterin hat längst angekündigt, noch einmal antreten zu wollen. "Und sie wird das auch wieder gewinnen", sagt ein Gemeinderatsmitglied, das ihr menschlich nahe steht, aber inhaltlich nicht immer. "Es gibt derzeit keinen, der sie schlagen könnte."

© SZ vom 13.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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