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Erfan ist krank und flüchtete allein vor dem Bürgerkrieg in Libyen

Von Konstantin Kaip, Pullach

Es ist eine seltsame Kombination, die Erfan (Name geändert) trägt: auf dem Kopf eine Mütze, den Oberkörper in eine rote Daunenjacke mit Kunstpelzkragen gehüllt, dazu Baumwollbermudas, aus denen seine dünnen, dunklen Unterschenkel ragen, und Flip Flops an den nackten Füßen. So steht er an einem kalten Dezembertag vor der Burg Schwaneck in Pullach und raucht. Als würden sich seine Körperhälften in zwei verschiedenen Jahreszeiten befinden, oder die eine auf der Nord- und die andere auf der Südhalbkugel dieser Welt. "Sag' mal, frierst du nicht?", fragt der Security-Mann in der blauen Jacke mit ungläubigem Lächeln. Erfan schüttelt den Kopf. "Mir ist nicht kalt", sagt er.

Erfan ist einer der 55 Flüchtlinge, die derzeit in der Jugendherberge leben, die dem Landkreis als Notunterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge dient. Der Sudanese ist der älteste Bewohner der Burg, nicht nur, weil er mit der ersten Gruppe kam, mit der das für die Betreuung zuständige Team der Diakonie Oberbayern aus Garching Anfang Oktober hierhergezogen ist. Sondern auch wegen seines Alters von 18 Jahren. Per Gesetz ist er also schon volljährig und daher eine Ausnahme: Das Jugendamt hat ihm bescheinigt, dass er noch Betreuungsbedarf hat. Erfan ist krank, er leidet unter Anämie, wie er erzählt. Deshalb kann er auch nicht an den Sportangeboten teilnehmen, die es für die Jugendlichen in Pullach gibt. Dabei würde er gerne Fußball spielen, so wie früher mit seinen Freunden in Libyen, wo er aufgewachsen ist.

Schon als Kind kam er mit seiner Familie aus dem Sudan in das nordafrikanische Land, in dem damals noch Gaddafi regierte. Dann kam der Krieg. Über Details mag Erfan nicht sprechen. Er kam mit einem Boot nach Italien, war eine Zeit in Rom. Irgendwann kam er mit dem Zug in München an, wo er dann von der Bayernkaserne in die Containerunterkunft für unbegleitete Minderjährige nach Garching kam. Dort waren sie 20 Jugendliche, wohnten in Zweibettzimmern. In der Freizeit sei er mit Freunden oft nach München gefahren, erzählt Erfan und kommt fast ins Schwärmen. "Ich liebe Garching", sagt er.

Auf der Burg Schwaneck ist es schwieriger für ihn. Sie sind zu viert auf dem Zimmer im ersten Stock, und es werden immer mehr Jugendliche, um die sich die Betreuer kümmern. Außerdem nervt ihn ein bisschen, dass unter der Woche um 22 Uhr Bettruhe ist, und er dann nicht mal mehr raus kann, um eine zu rauchen. "Die anderen sind jünger. Aber ich bin 18", sagt er. Sicher, er habe hier vier, fünf gute Freunde, sagt Erfan. Aber mit ihnen in die Münchner Innenstadt fahren, das könne er kaum noch.

Der Deutschunterricht, den Erfan bei der Initiative Anderwerk in Milbertshofen besucht, beginnt um 12 und geht bis 17.30 Uhr. Die Fahrten dorthin und zurück sind lang. "Nur noch Schule und hier", sagt Erfan über seinen Alltag in der neuen Unterkunft. Andererseits ist er froh über den Unterricht. Denn richtig Deutsch lernen, das will er unbedingt, sagt er. Sprechen, lesen und schreiben. Um dann auf die Berufsschule zu gehen und dann eine gute Arbeit zu finden. Und welche? "Egal", sagt der schlaksige Teenager. Aber dann fällt ihm doch noch was ein: In Libyen musste er die Schule abbrechen und arbeiten gehen, erklärt er. Und eine Zeitlang habe er dort auch in einer Autowerkstatt gearbeitet. Automechaniker werden, das würde ihm schon gefallen.

© SZ vom 18.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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