Streetwork in München:"Junkie sein ist ein Vollzeit-Job"

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27 Drogentote gab es in München 2010. Die städtischen Straßensozialarbeiter berichten über die Drogenszene und ihre Arbeit mit den Süchtigen.

Felicitas Kock

In München geschieht viel im Verborgenen. Es gibt keine offene Drogenszene wie in Berlin oder Hamburg, kaum jemand dealt oder konsumiert auf der Straße, die Junkies leben ihre Drogensucht heimlich. Doch auch wenn sie nicht offen auftreten, sind sie da - im schnieken München, wo sich am Straßenrand Porsche an Porsche reiht und die Designerjeans zur modischen Grundausstattung gehört.

27 Drogentote verzeichnet die Statistik bereits für München im Jahr 2010. Dazu zählen Abhängige, die an einer Überdosis oder an den Langzeitfolgen ihrer Sucht gestorben sind. (Foto: ag.dpa)

In der Weltstadt mit Herz gibt es nicht nur Drogenabhängige, sondern auch Drogentote. Zwischen 35 und 50 sind es jährlich, 2009 waren es 47, 2010 bisher 27. Dazu zählen Süchtige, die an einer Überdosis gestorben sind ebenso wie solche, die durch die Folgen ihrer Sucht, durch HIV und andere Infektionen, dahingerafft wurden. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl sieht das Bundeskriminalamt München damit in der Drogentotenstatistik deutscher Großstädte im vorderen Drittel - hinter Berlin, aber vor Hamburg.

Den Drogentoten wird am 21. Juli wie jedes Jahr ein Gedenktag gewidmet, um ein Zeichen zu setzen und die in München Unsichtbaren ein Stück sichtbarer zu machen. Ein Anlass, genauer hinzuschauen.

Zwei, die jeden Tag genauer hinschauen, sind die 42-jährige Rita Wilgen, und Markus Bosnjak, 36, Streetworker der städtischen Drogenberatung. Mehrere Stunden klappern sie täglich die einschlägigen Plätze ab: Sendlinger Tor, Hauptbahnhof, Isartor, Münchner Freiheit. Sie suchen und pflegen den Kontakt zu Süchtigen, die von harten Drogen wie Heroin und Opiaten abhängig sind, bieten Hilfe an, geben Tipps.

Meist sind es Ratschläge, die den Abhängigen helfen, alltägliche Bedürfnisse zu befriedigen. "Ich habe Hunger, wo kann ich preiswert essen? Ich bin nicht krankenversichert, welcher Arzt behandelt mich trotzdem? Ich brauche eine Unterkunft, wo kann ich wohnen?", zählt Wilgen einige Fragen auf, die sie häufig beantwortet.

"Junkie zu sein ist ein Vollzeit-Job", erklärt die Straßensozialarbeiterin. Die Drogenabhängigen seien mit ihren Gedanken hauptsächlich beim nächsten Schuss, beim nächsten Drogenrausch, da werde das alltägliche Leben zum lästigen Beiwerk.

Deshalb ist es wichtig, dass die Streetworker zu den Betroffenen kommen. Es gibt viele Süchtige, die es aufgrund ihrer körperlichen Verfassung und sozialen Verwahrlosung nicht schaffen, die Beratungsstelle in der Bayerstraße aufzusuchen oder feste Termine einzuhalten. Viele haben in den Kontaktläden bereits Hausverbot, weil sie die drei Forderungen nicht einhalten: kein Konsum, kein Dealen, keine Gewalt. "Die Süchtigen fallen so aus dem Drogenhilfesystem", sagt Wilgen.

Kümmern sich um Münchens Drogenabhängige: die städtischen Straßensozialarbeiter Rita Wilgen und Markus Bosnjak. (Foto: Felicitas Kock)

Seit den frühen neunziger Jahren, als die bedrohlich steigende Zahl der Aidserkrankungen unter den Junkies nach einem neuen Konzept der Drogenhilfe rief, gibt es in München die Straßensozialarbeit. Durch die sogenannte aufsuchende Arbeit werden auch Süchtige erreicht, die nicht von sich aus zu den Hilfseinrichtungen kommen.

Die städtischen Streetworker betreuen Erwachsene, die von illegalen Drogen nicht mehr loskommen. Um Jugendliche und Alkoholabhängige kümmern sich andere Träger. Neben Wilgen und Bosnjak gibt es noch einen weiteren Straßensozialarbeiter des Vereins Condrobs, der dieselbe Klientel hat wie sie. Drei Streetworker für erwachsene Junkies in einer Millionenstadt wie München - "das ist nicht gerade viel", sagt Bosnjak.

Dennoch sei das Drogenhilfesystem in München sehr gut. Vor allem im Vergleich zu anderen Städten und vor allem im Bereich der Substitution. Substitution, also die Therapie durch Ersatzdrogen wie Methadon, gilt als Weg aus der Drogenabhängigkeit, als Weg von der Illegalität in die Legalität.

"Im Rahmen eines Substitutionsprogramms bekommen die Süchtigen ihre tägliche Ration der Ersatzdroge. Sie können sich dann wieder um alltägliche Dinge kümmern, sind nicht ständig mit Geld- und Drogenbeschaffung beschäftigt und finden so im Idealfall zurück ins Leben", beschreibt Wilgen.

Bei Drogensüchtigen und Geldbeschaffung denkt man zwangsläufig an die Kinder vom Bahnhof Zoo. Und ans Anschaffen. "Das ist in München ein Tabuthema", sagt Bosnjak. Auch weil Prostitution im Stadtgebiet verboten ist, seien die Abhängigen diesbezüglich schweigsam. Es bestehe keine offene Prostitutionsszene von Drogenabhängigen.

Doch genauso wie es in München Drogenabhängige gibt, die kaum sichtbar sind, gibt es viele Junkies, die anschaffen gehen und nicht darüber reden. Vor allem Frauen würden so die Sucht finanzieren, so Bosnjak.

Der Spirale aus Drogensucht, Geldbeschaffung, Prostitution und Kriminalität zu entfliehen, ist schwer. Die Messlatte für den Erfolg liegt bei den Streetworkern deshalb niedrig. "Wenn wir nur als Erfolg verzeichnen würden, dass ein Junkie von den Drogen wegkommt, eine Familie gründet und ein normales Leben führt, würden wir nicht glücklich", sagt Bosnjak. Deshalb zählen auch die kleinen Dinge. Wenn ein Süchtiger in ein Substitutionsprogramm aufgenommen wird oder von sich aus zur Drogenberatung geht zum Beispiel.

Einen Clean-Anspruch haben die Streetworker nicht. So etwas sei überhaupt irreführend, schließlich gebe es auch Rückfälle nach fünf oder zehn Jahren ohne Drogen. "Wer einmal drogenabhängig war, den begleitet die Sucht das ganze Leben", sagt Bosnjak.

Die Drogenabhängigen prägen in München nicht das Stadtbild wie in anderen deutschen Großstädten. Die Streetworker prangern die vielen Polizeikontrollen an, die die Süchtigen aus dem öffentlichen Raum ins Private treiben. Das mag zwar der Porsche- und Designerjeans-Atmosphäre förderlich sein, für die Abhängigen ist es dagegen fatal. Wenn sie nicht einmal mehr für die Streetworker erreichbar sind, fallen sie vollkommen aus dem Drogenhilfesystem. Was das für die Zahl der Drogentoten bedeutet, kann man sich ausrechnen.

Die Veranstaltung zum Drogentotengedenktag, die von verschiedenen Münchner Drogenhilfeeinrichtungen organisiert wird, findet am 21. Juli von 11 bis 14 Uhr auf dem Marienplatz statt.

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