Rathausführung:Zu Besuch beim Mann mit der Amtskette

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Zu Gast im Bürgermeisterbüro: Die Teilnehmer der Rathausführung staunen über das alte Gemälde und Neusiedls Amtskette. (Foto: Claus Schunk)

Grünwalds Bürgermeister Jan Neusiedl zeigt bei einer Führung der Volkshochschule durchs Rathaus die "Kommandozentrale" der Gemeinde. Der laufende Wahlkampf spielt nur am Rand eine Rolle

Von Claudia Wessel, Grünwald

"Wann schlafen Sie?", fragt eine der Frauen, die im Sitzungssaal neben Jan Neusiedl Platz genommen hat, dort, wo sonst nur der Kämmerer, der Hauptamtsleiter oder der Bauamtschef sitzen dürfen. Es klingt ernsthaft besorgt, weil der Grünwalder Bürgermeister über seine vielen Einsätze am Abend spricht. "In der Regel leite ich die Sitzungen", sagt der CSU-Rathauschef. "Sie können sich vorstellen, dass ich abends beschäftigt bin." Von den 16 Interessierten, die an der Führung der Volkshochschule durch das Grünwalder Rathaus teilnehmen und erkennbar überwiegend Fans des Bürgermeisters sind, erntet Neusiedl mitfühlende Blicke.

Man kann es als glückliche Fügung für den CSU-Amtsinhaber bezeichnen, dass die VHS Ende vergangenen Jahres die Idee hatte, die Führung mit dem Grünwalder Bürgermeister in ihr Programm aufzunehmen - so kurz vor der Kommunalwahl. "Man hat mich gefragt und ich habe selbstverständlich zugesagt", erklärt Neusiedl, der sich um eine Wiederwahl bewirbt. Daher also empfängt er um 15 Uhr eine Gruppe von Bürgern, die gerne die "Kommandozentrale", wie es im Programmtext der VHS heißt, mit eigenen Augen sehen möchten - und natürlich den Bürgermeister kennenlernen wollen, als Amtsträger und als Mensch.

Zuerst geht es ins Passamt, wo Neusiedl das Lätzchen der Gemeinde für Grünwalder Neubürger vorführt: Jedes Kind, das hier neu angemeldet wird, bekommt ein solches mit der Aufschrift: "Willkommen in Grünwald". Für die Eltern gibt es dazu bis zur Einschulung 100 Euro pro Monat - das einzigartige Grünwalder Erziehungsgeld. Auch bei der Beantragung von Pässen haben die Grünwalder Vorteile, versichert die stellvertretende Leiterin Anette Kalyta. "Im Notfall dauert eine Ersatzpassausstellung nur 20 Minuten." "Da gehen Sie mal ins Münchner KVR", sagt Neusiedl.

Im Standesamt empfängt Standesbeamtin Veronika Schöffmann mit Hochzeitsmusik, zu der die Besucher einmarschieren und erfahren, dass hier pro Jahr 50 bis 60 Trauungen stattfinden. Und dass Schöffmann allen folgenden Satz mit auf den Weg gibt: "Ich wünsche Ihnen, dass jeder Tag Ihrer Ehe so ist wie der Hochzeitstag." Sie berichtet, dass es im Notfall auch möglich sei, am Sterbebett das Ja-Wort abzunehmen - doch das kam in ihrer Laufbahn noch nicht vor.

Im Bürgermeisterbüro ist die nächste Station. "Oh, so viele Fenster!", rufen einige Besucherinnen aus. "Da ist es aber im Sommer auch sehr heiß", relativiert Neusiedl sogleich. Ab 35 Grad schalte er dann doch die Klimaanlage ein. Bestaunt wird ein altes Gemälde, das einst von einem Vorgänger Neusiedls angeschafft wurde. Es zeigt Grünwald anno 1850, die Burg und eine kleine Fähre über die Isar. Damals hatte der Ort noch 350 Einwohner. Ein großes "Ahhh" und "Ohhh" erklingt, als der Bürgermeister sodann das Geheimnis hinter einer Schatulle lüftet, die auf dem Tisch liegt. Darin befindet sich die Amtskette, die er sogleich umlegt. "Ich trage sie nicht täglich", sagt Neusiedl, nur bei wichtigen Anlässen, etwa Trauungen oder Beerdigungen. Die Kette wurde der Gemeinde im Jahr 1950 vom Grünwalder Goldschmied Jakob Janich gestiftet, der sie angefertigt hatte. Grünwald war die erste Gemeinde im Landkreis, die eine Amtskette hatte. Kürzlich habe Straßlach als letzte Gemeinde auch eine bekommen, weiß Neusiedl. Und über die Grünwalder Kette: "Der erste, der sie getragen hat, war Bürgermeister Martin Kneidl." Neusiedl zählt die weiteren Träger auf und sagt, er sei der Fünfte. "Es gab noch nie eine Bürgermeisterin", stellt eine junge Teilnehmerin überrascht fest. "Stimmt, aber das wird sich auch noch ändern", antwortet Neusiedl. Dann fällt ihm offenbar ein, dass gerade Wahlkampf ist und er eine Frau als Konkurrentin hat, und er fügt schnell hinzu: "Aber nicht so bald." Applaus und lautstarke Zustimmung von den Besuchern.

Dann kommt der Moment, da diese am runden Tisch im großen Sitzungssaal teilnehmen - nur nicht auf dem Sessel vom Bürgermeister, den möchte Neusiedl auch an diesem Tag für sich haben. Da wird auf den bequemen Stühlen erst einmal ordentlich geschaukelt, dann genießt man die gewisse Aura von Macht, die in dem Rund in der Luft liegt. Neusiedl berichtet von der etwas merkwürdigen Tradition, dass die CSU hier links sitzt. Die Glocke am Platz des Bürgermeisters ist im übrigen eine ehemalige Trambahnglocke, die der Gemeinde von der Münchner Verkehrsgesellschaft einst geschenkt wurde. "Ich brauche sie aber fast nie, die Gemeinderäte sind sehr diszipliniert", sagt der Rathauschef, der sich hier drinnen zahlreiche Nächte um die Ohren schlägt.

Wann also schläft der Grünwalder Bürgermeister? "Unregelmäßig", bekennt er. Das muss als Einblick ins Private von Neusiedl genügen.

© SZ vom 19.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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