Putzbrunn:WG mit Oma

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Auch bei der Gartenarbeit unterstützt Chiara Cecchin (r.) Maria Daberger (Mitte). Schwiegertochter Andrea Daberger sieht die Studentin als Hilfe. (Foto: Angelika Bardehle)

Die Studentin Chiara Cecchin zahlt auf einem Bauernhof keine Miete, dafür hilft sie Maria Daberger im Haushalt. Beide sehen im "Wohnen für Hilfe" nur Vorteile.

Von Kevin Rodgers, Putzbrunn

Es ist ein bekanntes Problem: Studenten in München finden auf dem heiß gelaufenen Wohnungsmarkt keinen erschwinglichen Wohnraum. Viele Nachwuchsakademiker ziehen deshalb in Wohngemeinschaften. Auch Chiara Cecchin ist in eine WG gezogen. Allerdings lebt die 22 Jahre alte Studentin aus Italien in keiner gewöhnlichen WG. Die angehende Biologin ist eine Wohnpartnerin im Projekt "Wohnen für Hilfe" des Vereins Seniorentreff Neuhausen.

Die Idee dahinter ist vergleichsweise einfach. Viele Menschen wollen in ihrem gewohnten Umfeld alt werden. Zugleich suchen viele junge Menschen, vor allem Studenten und Azubis, dringend bezahlbare Wohnungen. Diese beiden Gruppen bringt das Projekt zusammen, indem es Wohnpartnerschaften vermittelt. Statt Miete zu bezahlen helfen die Jungen den Alten bei der Bewältigung ihres Alltags. Sie arbeiten beispielsweise in Haus oder Garten, erledigen Einkäufe und begleiten ihre Wohnpartner zum Arzt. Je Quadratmeter Wohnfläche sollen die Studenten eine Stunde Hilfe pro Monat leisten. Damit sollen die Angehörigen entlastet werden. Außerdem können die Senioren so länger ihr eigenständiges, selbstbestimmtes Leben in ihren gewohnten vier Wänden aufrecht erhalten.

"Ich fühle mich sicherer, wenn ich nicht alleine im Haus bin."

Seit zweieinhalb Jahren wohnt Chiara schon auf dem Hof der Dabergers in Putzbrunn. Sie ist im Internet auf das Projekt gestoßen. Ihre Wohnpartnerin ist die 88 Jahre alte Maria Daberger. Zur Familie gehören außerdem Schwiegertochter Andrea mit ihrem Mann und Hofhündin Lutzi. "Ich bin inzwischen zu einem richtigen Familienmitglied geworden", sagt Chiara Cecchin. Ursprünglich stammt sie aus Bassano del Grappa, einer idyllischen Stadt in der Provinz Vicenza, auf halbem Weg zwischen dem Gardasee und Venedig. "Der große Vorteil ist, dass ich hier immer einen Ansprechpartner habe, mit dem ich alles direkt besprechen kann."

So sieht es auch Maria Daberger, die zusammen mit Chiara auf der Eckbank in der Küche sitzt. "Ich habe gute Erfahrungen gemacht und würde es noch einmal machen", erzählt Daberger. Seitdem ihre Enkel aus dem Haus seien habe sie viel Platz. "Ich fühle mich sicherer, wenn ich nicht alleine im Haus bin", berichtet die zierliche Frau.

Zu den Pflichten von Chiara gehören das Putzen der Wohnung und das Unterstützen von Maria Daberger, die trotz ihres hohen Alters noch immer gerne im Garten arbeitet. Außerdem verbringen sie Freizeit miteinander, essen oft gemeinsam zu Mittag. In der Landwirtschaft hilft sie nicht mit. Auch Pflegeleistungen gehören generell nicht zu den Pflichten der jungen Wohnpartner. "Die Chiara ist auch mir eine große Hilfe", sagt Schwiegertochter Andrea Daberger. Vor allem während der Erntezeit sei in der Bio-Landwirtschaft viel zu tun. "Chiara übernimmt die Einkäufe und Fahrdienste für meine Schwiegermutter und ist ihr auch im Haushalt behilflich."

"Man muss sich natürlich arrangieren."

Die Wohnpartnerschaft zwischen Maria Daberger und Chiara Cecchin steht beispielhaft für die Ziele des Projektes Wohnen für Hilfe. Seit 1996 wurden mehr als 600 Wohnpaare vermittelt. Seit 2013 ist Wohnen für Hilfe auch im Landkreis München vertreten. Jedes Jahr kommen laut Seniorentreff Neuhausen, dem Initiator und Koordinator des Projekts, 50 bis 80 neue Paare hinzu. Zweieinhalb Jahre dauert die durchschnittliche Wohnpartnerschaft. Insgesamt sind mehr Frauen dabei, sowohl unter den Senioren als auch unter den Studenten. Das Durchschnittsalter liegt bei den Senioren bei 80 Jahren. Dreiviertel der jungen Wohnpartner sind zwischen 18 und 30 Jahre. Während der Wohngemeinschaft erkundigt sich eine Mitarbeiterin des Seniorentreffs Neuhausen alle drei Monate nach den Wohnpaaren.

Negative Seiten gebe es nicht, da sind sich alle drei Frauen einig. "Man muss sich natürlich arrangieren und auch die Privatsphäre respektieren", erklärt Andrea Daberger. "Aber das wird schon während der Probezeit klar, ob man miteinander auskommt oder nicht." Anfangs gab es auch Bedenken wegen der fehlenden S-Bahn-Anbindung in Putzbrunn.

"Für mich ist das kein Problem", erklärt Chiara. Sie genieße die Ruhe auf dem Hof, erklärt sie während sie neben dem Kürbisbeet im Garten steht. Auch ihre Eltern seien zufrieden mit dem Arrangement. Sie haben die Dabergers auch schon zu sich nach Italien eingeladen. Auch in Putzbrunn selbst ist Chiara mittlerweile bekannt. "Alle kennen mittlerweile die Italienerin vom Dabergerhof", sagt Andrea Daberger. Ihre Bekanntheit verdankt sie vor allem ihrem Tiramisu-Rezept, von dem alle schwärmen. Auch Maria Daberger freut sich, dass Chiara schon so lange auf dem Hof wohnt. Die alte Dame steht auf der Terrasse des Hofes unter prächtigen, pinkfarbenen Geranien. "Durch Chiara ist wieder mehr Leben im Haus."

© SZ vom 04.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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