Da ist Hildegard Belmega, eine Rentnerin, die zuletzt vor 15 Jahren einen Pinsel in der Hand hatte. Damals malte sie für ihr Enkelkind eine Katze. Sie sei ganz überrascht gewesen, als ihr auf dem Papier plötzlich etwas entgegen blickte, das wie ein Tier aussah, sagt sie. Und da ist Reinhard Genseleiter, ein Mann aus der Werbebranche, einer, der gerne Bäume und Häuser fotografiert, und die Bilder auch gleich auf seinem Smartphone zeigen kann. Reinhard Genseleiter und Hildegard Belmega machten sich an diesem Montagabend so wie gut 15 andere Menschen auf den Weg ins Ottobrunner Gewerbegebiet. Dort betraten sie ein Haus, das nach Büro aussieht, in dem sich jedoch ein Atelier versteckt.
Im ersten Stockwerk richteten sich hier vor zwölf Jahren verschiedene Künstler ein. "S18" heißt das Atelier, weil es sich an der Siemensstraße 18 befindet. Seit Neuestem laden die Künstler immer am ersten Montag im Monat zu einem offenen Malabend ein. Es ist kein Kurs, bei dem alle vor der gleichen Obstschale sitzen. Jeder darf selbst über sein Motiv und seine Technik entscheiden. Die Künstler helfen bloß, wenn jemand einen Tipp braucht. Eine Stunde kostet zehn Euro, Farben und Leinwände sind vorhanden. Ein ähnliches Angebot macht der Kunstraum in Kirchheim. Allerdings steht dort das Motiv vorher fest und die Kursleiter erklären Schritt für Schritt, wie man es hinbekommt. Beim nächsten Mal am Donnerstag, 26. März, ist es ein blauer Elefant. Die Teilnehmer können außerdem Prosecco trinken und etwas zu Essen dazu buchen. Solche Veranstaltungen gibt es in München schon seit ein paar Jahren. Dort heißen sie "ArtNight" und "ArtMaster", finden in Restaurants und Bars statt und wollen zeigen, dass man für ein hübsches Bild auf keiner Kunstakademie gewesen sein muss.
"Jeder kann malen. Die Menschen müssen nur die Scheu überwinden", sagt Annegret Poschlep. Die Teilnehmer nutzen ihr Atelier, wo viele ihrer Bilder hängen. Eines ihrer liebsten, eines der größten ist fast ganz rot, denn das sei ihre Lebensfarbe. Rot sind auch ihre Turnschuhe und "annrot" heißt ihre Malschule. "Seit fast 20 Jahren unterrichte ich. Am Ende ist jeder mit einem Bild nach Hause gegangen, das er mochte", sagt sie. Das ist auch heute Abend das Ziel.
Hildegard Belmega malt etwas, das wie ein fließender Vorhang aus lilafarbenen, grünen und blauen Stoffteilen aussieht. "Ich weiß selbst nicht so genau, was es ist. Ich fand es einfach schön", sagt sie. Neben ihr liegt ein aufgeschlagenes Buch, daraus malt sie das Bild ab. Im Nebenraum streicht Reinhard Genseleiter seine Leinwand gelb an. Die Farben gelb und rot seien seit dem Sommer sein Thema, sagt er. "Wie sie miteinander kämpfen. Und am Ende überlebt der Zufall." Er ist zumindest an diesem Montagabend der einzige Mann in dem Atelier. Ansonsten malen da Frauen zwischen 18 und Ende 70, von denen manche in ihrer Freizeit häufiger zum Pinsel greifen und bloß ein paar Tipps möchten und andere, die seit der Schulzeit um Farbkästen einen großen Bogen machen. "Mal sehen, ob ich es wirklich nicht kann", sagt Ingrid Neu, auch eine Rentnerin. Bei einer Freundin sah sie dieses Bild, das sie so fasziniert habe, dass sie es gerne selbst malen würde: rosa Blüten, die vom Himmel in ein Boot regnen. Der Hintergrund ist blau, bestimmt eine halbe Stunde lang trägt Neu die Farbe auf, sorgfältig und akkurat.
"In der Schule bekommt man zu oft gesagt: Das kannst du nicht", sagt Sabine Zacharski, die hauptberuflich Heilpraktikerin ist und sich seit sechs Jahren in dem Atelier in Ottobrunn eingemietet hat. Auf dem Tisch, auf dem sie sonst abstrakte Bilder malt, die an bröckelige alte Fassaden erinnern, liegen Bücher, die die Teilnehmer als Inspiration verwenden können. Malerei sei für sie ein Weg, Ruhe zu finden und sich mit ihren Gefühlen auseinanderzusetzen. "Wer malt, gibt viel von sich an Emotionen preis", sagt sie. Für sie eine Erklärung, warum an diesem Abend fast nur Frauen kamen: "Sie sind intuitiver, sie trauen sich mehr."
Bei Hildegard Belmega zuhause jedoch war immer der Mann der Künstler. "Er kann wirklich malen. Auch Tiere. Neben ihm hat es mir nicht so viel Spaß gemacht", sagt die Rentnerin. Sie kam mit einer Freundin zu dem Kurs, die sie vom Kartenspielen kennt und die mit einem Schwämmchen bunte Tupfen auf einen blauen Hintergrund setzt. Maria Rieder ist ihr Name, sie besuchte schon einige Volkshochschulkurse, malte immer viel zu Hause. "Aber da du muss man ja alles abdecken und hinterher aufräumen und dann stinkt alles nach Farbe", sagt sie. Deshalb sei das Angebot in dem Atelier so praktisch. Ein wenig mithelfen müssen die Teilnehmer jedoch auch hier. "Schaut mal, das Wasser ist ja schon ganz braun", sagt Sabine Zacharski und hebt den Becher, in dem die Pinsel zum Auswaschen stecken. Manche Dinge, das denkt man da gleich, ändern sich auch nach der Schulzeit nicht.
Das offene Malatelier in der Siemensstraße 18 in Ottobrunn findet das nächste Mal am Montag, 2. März, von 17 bis 20 Uhr statt. Weitere Informationen gibt es unter www.s18ateliers.de. In Kirchheim gibt es im Kunstraum am Dorfplatz verschiedene Malangebote (http://kunstraum-kirchheim.de/).