Oberschleißheim:Ankommen in der eigenen Zukunft

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Redaktionskonferenz für die Schulzeitung: Die Schüler überlegen sich Themen. (Foto: Florian Peljak)

Die Berufsschule München-Land und die Jugendbegegnungsstätte am Tower bieten jungen Flüchtlingen im Future Campus in Oberschleißheim Gelegenheit, in einer geborgenen Atmosphäre ihre Stärken zu entdecken.

Von Sara della Malva, Oberschleißheim

Fünf junge Männer sitzen an diesem heißen Vormittag um den Tisch und sammeln Ideen für eine eigene Zeitung. Sie wollen erzählen, was sie bewegt, welche Themen sie umtreiben und interessieren. Das Thema Geld kommt zur Sprache. Mehrzad Tajiki würde sich gerne mit dessen Herkunft, Geschichte und Notwendigkeit befassen. Was bedeutet es, kein Geld zu haben? Wie ist Geld überhaupt entstanden? Brauchen wir Geld oder sollten wir nicht besser zum Tauschhandel zurückkehren? Die Männer sind einverstanden.

Gutes Thema. Über den Surrealismus in der Kunst und dem Leben will Jawad Jafari recherchieren. Das Gedankenkonstrukt fasziniert ihn. Alishahkhan Rustami hat einen Artikel über die erste afghanische Pilotin Nilofar Rahmani, die 2016 aus Angst um ihr Leben in die USA geflohen ist, mitgebracht. Er möchte über Frauen schreiben. Über Frauen und Männer und Gleichberechtigung. Für ihn ist Rahmani eine Heldin. Afghanistan habe in Sachen Gleichberechtigung noch viel zu lernen, sagt er.

Sie sind alle voller Ideen, und hier auf dem Future Campus in Oberschleißheim haben sie einen Raum, in dem sie ihnen Gestalt geben können. Die jungen Männer tauschen sich aus, diskutieren und entwickeln gemeinsam ihre zukünftige Schulzeitung. Es wird viel gelacht, teilweise schüchtern werden Themen vorgeschlagen. Sie sind freiwillig hier, sie wollen lernen, ihre Gedanken zu Papier zu bringen.

In den Medien steht viel über Menschen, die eine ähnliche Geschichte haben wie sie, das wissen die fünf Jungs. In ihrer Zeitung wollen sie erstmals die sein, die schreiben und nicht die, über die geschrieben wird. Dass sie vor einiger Zeit aus ihrer Heimat fliehen mussten, ist eben nur ein Teil ihrer Geschichte, ein Teil dessen, was sie sind. Sie sind mehr als der Umstand, dass ihre Heimat nicht sicher ist. Sie sind Teilzeit-Rapper, junge Redakteure, Träumer und vor allem junge Männer mit einer Vision für ihre Zukunft.

Der Future Campus hilft ihnen, sich eine Perspektive zu schaffen, die eines Tages die Umsetzung ihrer Zukunftsvisionen möglich machen soll. Es handelt sich um ein Modellprojekt zur Beschulung von Geflüchteten im Berufsschulalter. Der Future Campus wurde 2016 als Kooperationsprojekt der Berufsschule München-Land mit der Jugendbegegnungsstätte am Tower des Kreisjugendrings gestartet und wird derzeit von etwa 80 Schülern im Alter von 17 bis 23 Jahren besucht. Die fünf Schulklassen setzen sich jeweils aus Schülern zusammen, die dasselbe Sprachniveau teilen. Eine Besonderheit ist die Orientierungsstufe für Analphabeten. Je nach den Stärken und Ressourcen der jeweiligen Schüler gestaltet sich der Unterricht.

"Zeit ist Geld" - diese Gleichung gilt zumindest im Future Campus für die Schüler noch nicht. (Foto: Florian Peljak)

Neben den gängigen Fächern wie Deutsch, Mathematik und Landeskunde gibt es praktischen Unterricht in berufsbezogenen Werkstätten. Dort lernen die Schüler Fahrräder zu reparieren, mit Holz zu arbeiten, zu schneidern und vieles mehr. "Der Unterricht in den Werkstätten bietet den Schülern Raum, sich mit den eigenen Stärken und Interessen auseinanderzusetzen und bereitet sie gleichzeitig auf das Berufsleben vor", sagt Projektleiterin Berna Arif.

Ihr 24-köpfiges Team besteht nicht nur aus Lehrkräften, sondern auch aus Sozialpädagogen und kümmert sich auch um eine Betreuung der jungen Flüchtlinge. "Wir sind nah an unseren Schülern dran, so können wir ihre Bedürfnisse besser verstehen", sagt Andreas Biberger, Bildungsreferent am Future Campus. "Wir sind eine Schulfamilie, wir wollen unseren Schülern ein echtes Ankommen ermöglichen. Die Zeit hier soll ihnen eine Perspektive geben. Das Willkommenheißen am Münchner Hauptbahnhof damals war schön, aber das reicht eben nicht aus".

Die fünf jungen Männer sind mit ihrer Redaktionssitzung fertig. Jetzt ist Mittagspause. Nach dem gemeinsamen Essen suchen sie sich einen schönen Fleck zum Entspannen. Neben dem Gemüsegarten liegt einer in der Sonne und hört Musik. Im umgebauten Omnibus, der nun das Schülercafé ist, sitzt ein anderer und liest. "Ich mag die Schule, hier fühle ich mich gut", sagt Jawad Jafari.

© SZ vom 12.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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