Kinderuni in Neubiberg:Stau im Hörsaal

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In Professor Klaus Bogenbergers (links) Simulation spielen die Kinder mit den roten Reifen Autos und verursachen zäh fließenden Verkehr. (Foto: Angelika Bardehle)

Dozent Klaus Bogenberger erklärt Grundschülern, was passieren muss, damit der Verkehr auf der Straße ins Stocken gerät. Und dass Monster-Staus schon mal 300 Kilometer lang sein und zwölf Tage dauern können.

Von Markus Mayr, Neubiberg

Wenn Kinder auf dem Rücksitz im Auto quengeln "Wann sind wir endlich da? Wie lange dauert's noch?", dann wünschen sich die meisten Eltern alles andere, als dass sich die Fahrt durch einen Stau noch weiter verzögert. Die Eltern hingegen, die ihre Kleinen auf die Kinderuniversität der Bundeswehruniversität in Neubiberg geschickt haben, können aufatmen. Ein Stau während der langen Autofahrt in die Ferien wird für ihren Nachwuchs zur willkommenen Abwechslung. Denn er kann auftrumpfen mit dem, was er in der Uni gelernt hat.

Klaus Bogenberger, Inhaber des Lehrstuhls für Verkehrstechnik an der Neubiberger Bundeswehrhochschule, hielt am Mittwochnachmittag eine besondere Vorlesung zum Thema "Wie entsteht ein Verkehrsstau?". Seine Hörer waren durch die Saalreihen hinweg Grundschüler und Schüler der Unterstufe, 35 insgesamt. Der 44-Jährige hatte den Stoff für junge, lernwillige Geister aufbereitet und vermittelte ihn mit Hilfe von Experiment und Arbeitsblatt. Der Wille seiner jungen Gäste zur Mitarbeit war außerordentlich und nicht zu vergleichen mit der erfahrungsgemäß oft verhaltenen Atmosphäre in einem Hörsaal voller erwachsener Studenten. Stets schnellten eine Menge ausgestreckter Zeigefinger nach oben, wenn der Professor seine kleinen Studenten etwas fragte.

"Nun, was muss also passieren, damit ein Stau entsteht?", wollte Bogenberger von seinem Publikum wissen, nachdem er die Ursachen für eine verstopfte Straße dargelegt hatte. "Es braucht viele Autos", rief ein Kind. "Und eine Engstelle", ein anderes. "Ein Auto muss bremsen", ein drittes. "Richtig", bestätigte der Lehrbeauftragte. "Es muss viel los sein auf der Straße. Wir brauchen eine Engstelle, den sogenannten Flaschenhals, und einen Auslöser, wie zum Beispiel ein bremsendes Auto." Aufgrund dieser drei Faktoren sei es schon zu Mega-Staus gekommen, erzählte er. Der längste der Welt sei mit knapp 300 Kilometern im brasilianischen São Paulo beobachtet worden. "Alter!", ruft ein Bub erstaunt dazwischen. In China zwischen Tibet und Peking habe ein Stau einmal zwölf Tage gedauert, fährt Bogenberger fort. Und in Los Angeles gebe es einen regelmäßig im Berufsverkehr wiederkehrenden Mordsstau, dem die Bewohner den Namen "Jamzilla" gegeben hätten: nach dem englischen Wort für Stau, "jam", und einer Anspielung auf das Filmmonster "Godzilla".

"Wir verursachen keine Staus"

Obwohl der Wissenschaftler gerne Staus untersucht, versichert er mit einem Augenwinkern: "Wir verursachen keine Staus", auch nicht zu Forschungszwecken. Muss er auch nicht. Jeder Autofahrer weiß, dass Staus und zäh fließender Verkehr oft genug von selbst entstehen. Mittels Detektoren unter der Straßendecke und Kameras auf Masten und Brücken könnten sie den Verkehr hinreichend analysieren, erklärte Bogenberger. Wenn auf einem Autobahnfahrstreifen mehr als 2000 Fahrzeuge pro Stunde gemessen würden, dann sei das kritische Fassungsvermögen der Spur erreicht. Fließender Verkehr sei dann nicht mehr möglich.

Im Hörsaal verursacht der Dozent in einem Experiment dann doch einen Stau. Kinder, die rote Hula-Hoop-Reifen um die Hüfte tragen, stellen die Autos dar, um das Pult herum führt die Straße. Willkürlich stoppt Bogenberger ein Kind. Nach und nach müssen alle anderen bremsen. Während das zuerst gestoppte Kind wieder anfahren kann, verschiebt sich die Stauwelle gegen die Fahrtrichtung nach hinten und verursacht so stockenden Verkehr.

Der Verursacher kann einfach weiterfahren

Fies: Der Stau-Verursacher leidet nicht unter dem, was er getan hat. Denn er selbst hat wieder freie Fahrt nach vorne. Während sich mit im Schnitt 15 Kilometer pro Stunde die Stauwelle gegen die Fahrtrichtung nach hinten verschiebe, erklärt Bogenberger. Diese Geschwindigkeit resultiert aus dem Mittel der Länge der Autos, ihrem Abstand und einer Anfahrtszeit von rund 1,8 Sekunden.

Der Dozent zeigt seinen Jungstudenten anhand von Ort-Zeit-Diagrammen, in denen auf Autobahnen gemessene Geschwindigkeiten eingetragen wurden, die drei verschiedenen Stautypen. Auf einem Arbeitsblatt können die Kinder die Kurven einzeichnen, die anzeigen um welche Art es sich handelt: Stauwelle, Stop and go (mehrere Stauwellen) oder den Stau auf ganzer Breite. Knalliges rot zeigt auf dem Papier, wo und wann sich der Verkehr gestaut hat.

Am Ende der Vorlesung versichern die Kinder auf Nachfrage lautstark, dass sie alles verstanden hätten und schenken dem Dozenten einen donnernden Applaus. Die Kinder laufen zur Tür. Sie verursachen an der Engstelle keinen Stau, dafür sind es zu wenige. Ihr Wissen hingegen hat sich gemehrt, das Gesprächsthema für die Wartezeit im nächsten Stau haben sie parat.

© SZ vom 13.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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