Musik:Außergewöhnliche Soundwelten

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Zwischen gefühlvollen Balladen und schrägen Klangkosmen: Das Trio Rom, Schaerer, Eberle (v.l.) gehört zu den innovativesten Jazz-Formationen Europas. (Foto: Robert Haas)

Das Trio Rom, Schaerer, Eberle begeistert beim Jazzweekend Unterföhring

Von Udo Watter, Unterföhring

Schriftsteller begeben sich gerne mal auf die Suche nach der verlorenen Zeit. Musiker, die in ihrer Kunst mehr sehen als ein Vehikel zum Hitparaden-Erfolg, suchen immer wieder nach neuen Sounds. Als sich im Jahr 2009 das Trio Rom, Schaerer, Eberle im Umfeld der Jazzwerkstätten Wien und Bern gründete, war genau das einer der wesentlichen Impulse: Gemeinsam Klangräume zu schaffen, die zuvor noch kein Ohr betreten hat. In Soundwelten vorzudringen, die jenseits akademischer Normen liegen.

Wer jetzt dem österreichisch-schweizerische Ensemble - Gitarrist Peter Rom, Sänger Andreas Schaerer und Trompeter Martin Eberle - beim Internationalen Jazzweekend in Unterföhring lauschte, dem dürfte schnell bewusst geworden sein: Man wurde hier Zeuge eines außergewöhnlichen Konzertes. Da sind drei hoch virtuose, neugierige und durchaus perfektionistische Protagonisten am Werk, die zu recht zu den Lieblingen der Kritik und des Publikums avanciert sind. Die auffälligste Figur auf der Bühne ist Andreas Schaerer. Den Schweizer als Sänger zu bezeichnen, hieße, Leonardo da Vinci als Malermeister zu benennen. Der Mann, der schon als Kind ständig merkwürdige Geräusche machte und - wie er im Einführungsgespräch mit Journalist Oliver Hochkeppel erzählte, von den anderen für einen gehalten wurde, der "nicht ganz dicht war" - vermag seinen Stimmbändern quasi jeden Gesangsstil, jeden Laut und allerlei Instrumentalfarben zu entlocken: Man kann ihn als Stimmen-Tausendsassa, Human-Beatboxing-Meister oder Kehlkopfwunder bezeichnen, Schaerers Fähigkeiten sind faszinierend: Er macht mit Mund, Zunge und Gaumen die Rhythmen und mit der Stimme Töne und Melodien, singt teils durch die Nase - und inzwischen zeigt er seine Kunst nicht mehr nur zweistimmig, sondern sogar dreistimmig. Bewegend ist es freilich auch, wenn er einfach nur auf Englisch singt, mit weichem, sensiblen Timbre. Oft dialogisiert er an diesem Abend mit Martin Eberle (Trompete, Flügelhorn), der dieses so virtuose wie einfühlsame Zwiegespräch "Liebe auf den ersten Blick" im Einführungsgespräch genannt hatte. Auch der in Vorarlberg geborene Eberle entlockt seinen Instrumenten kein geringes Spektrum an Geräuschen, er erzeugt indes auch mit seinen hoch schwebenden Trompetenklängen besondere melancholisch verträumte Stimmungen. Man stellt sich dann vor, wie zu solchen Klängen ein einsamer Antiheld aus einem Film noir durch verregnete Nächte spaziert.

Peter Rom, der diese bläserischen Höhenflüge Eberles oft mit einem unverwechselbaren Gitarrensound unterlegt, hat ebenfalls eine besondere Bühnenpräsenz. Der Mitbegründer der Jazzwerkstatt Wien, ist der derjenige, der die meisten Stücke des Trios - das sich wegen anderer Verpflichtungen der Drei nur hin und wieder zusammentut - komponiert. Beim Spielen wirkt er mitunter so, als würde er unter seiner Lausbuben-Frisur mit Zen-Blick in die Ferne schauen. Überhaupt ist er, was das Mimische angeht, eher Minimalist. Aber gerade in dieser zurückhaltenden Inwendigkeit spiegelt sich die meditativ-sphärische Klangwelt mancher balladesken Kompositionen - besonders eindrucksvoll entfaltet sich diese bei zwei Stücken der so genannten "afrikanischen Trilogie". Da rauscht sacht der nächtliche Wind, da flattern weiche Flügel, da atmet sanft die Dunkelheit - eine Klangwelt, die fast kitschig wäre, wäre sie nicht so gut gemacht.

Peter Rom kann freilich auch anders: Das von ihm komponierte Titelstück des Abends "Après nous le déluge" geht richtig ab und ist auch schön durchgeknallt. Neben "The end is near", das 17 konventionelle Jazz-Schlussoptionen ironisch durchspielt, ist auch das vermeintlich alpenländisch inspirierte Stück "Börsen, Bankengeheimnis und Maultrommel" hinreißend schräg, geprägt von explosiver Rhythmik. Besonders Schaerer lässt es hier virtuos krachen. Das Publikum ist begeistert ob dieser ungewöhnlichen Klangerlebnisse und versierten Klangerzeugungen. Standing ovations - und Schaerer, der anfangs noch unsicher war wegen des Ambientes, adelt die Unterföhringer Bibliothek zum "grooviest place on earth."

© SZ vom 17.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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