Mitten in Sauerlach:Bauern haben Vorfahrt

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Geduld ist angebracht bei langsamen Erntemaschinen, die vor einem herfahren. Ohne diese gäbe es womöglich keine Brezn zum Abendessen

Glosse von Michael Morosow

Die Versorgung der Menschheit mit Lebensmitteln ist systemrelevant. Wer sich dessen bewusst ist, fährt mit niedrigerem Pulsschlag hinter einem zuckelnden 30-Tonner her und liest mit weniger Grimm die am Heck hinterlassene Botschaft des Truckers: "Ohne mich würdest du verhungern." Das ist zwar wesentlich einfallsreicher als die weitverbreitete Zote: "Meiner ist 18 Meter lang" oder die meist schlecht lesbare Mitteilung: "Entschuldigen Sie, dass ich so dicht vor Ihnen her fahre". Trotzdem verspürt man Erleichterung, als der Brummi jetzt kurz vor Sauerlach die Landstraße verlässt und man selbst wohl rechtzeitig zum Abendessen zuhause sein wird. Frische Brezen, Brot, Wurst und Käse liegen auf dem Beifahrersitz. Man hat jetzt wieder ein Auge für die abgeernteten Felder entlang der Strecke und die darauf verteilten gepressten Heuballen, die die Äcker wie eine Kunstinstallation wirken lassen.

Dann aber biegt von rechts ein Staub aufwirbelndes Monstrum vor einen auf die Straße ein, groß wie ein Einfamilienhaus, breit wie acht Ochsen, sodass seine rechten Räder auf dem Bankett rollen müssen, um Gegenverkehr zu erlauben. Es ist eine gewaltige Erntemaschine, Typ: New Holland. Sie erntet in wenigen Stunden ein ganzes Feld ab, wofür früher Saisonarbeiter mit der Sense Tage benötigt haben. Den Ernteriesen überholen ist unmöglich, auch weil dieser Koloss jede Menge Heu nach hinten verliert, das einem die Sicht vernebelt und zweifelhafte Gedanken befördert. Dann aber mischen sich, allein durch ihr Vorhandensein, Brot, Semmeln, Wurst und Käse vom Beifahrersitz ein und bringen einen wieder runter. Ihre Botschaft lautet: "Ohne die Bauern gäbe es für dich heute kein Abendessen." Das stärkt fürs Erste die Toleranz und drückt die Pulsfrequenz.

Stimmt schon, denkt man im Heusturm, man sollte mit Bedacht wählen, welche Vordermänner man zum Teufel wünscht und welche nicht. Ein alter, stets durstiger Kneipenspezl hatte darauf schon vor Langem eine Regelung gefunden: "Bierfahrer haben bei mir immer Vorfahrt", sagte er einst.

Noch eine kurze Strecke hinter dem XXL-Mäher, dann wird man ohnehin nach rechts abbiegen und den staubigen Landwirt alleine mit seiner Heuschleuder weiterfahren lassen, denkt man, bis auch der New Holland rechts blinkt. Der Landwirt wohnt in der Nachbarschaft. Wahrscheinlich wartete auch auf ihn ein Abendessen. War nett, ihn kennenzulernen. Vielleicht demnächst auch mal von vorne.

© SZ vom 20.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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