Die vergangenen 35 Jahre hat Hans Landerer dafür gesorgt, dass der Ayinger Maibaum weiter in den Himmel ragt als alle anderen: Mit 51 Metern soll er sogar der höchste in ganz Bayern sein. Die Größe kommt daher, weil er geschiftet wird, also aus zwei ineinander gesteckten Stämmen besteht. Hans Landerer ist Schmied und fertigt die Eisenringe an, die sie zusammenhalten. Zwei Tage Arbeit seien das. Dieses Jahr stand er dafür zum letzten Mal in seiner Werkstatt. Landerer ist 74, hat seinen Betrieb schon lange zugesperrt und sagt: "Man muss wissen, wann es Zeit ist, aufzuhören." Landerer war mal Vorsitzender des Burschenvereins Aying. Wie alle musste auch er sein Amt abgeben, als er heiratete. Doch in den Wachhütten sitzt er bis heute gern. Ein Gespräch über Tradition, Alkoholmissbrauch und die Frage, warum früher nicht alles besser war.
Während der Wachhüttenzeit sind in Hohenbrunn Stripperinnen aufgetreten, in Aying haben die Burschen eine Malle-Party gefeiert. Wäre das zu Ihrer Zeit denkbar gewesen?
Hans Landerer: Ich bin 1962 in den Ayinger Burschenverein eingetreten. Da hat es das alles natürlich noch nicht gegeben. Unsere Wachhütte war ein Gestell aus Holz mit einer Plane drüber. Wir saßen auf drei Strohballen um einen kleinen Ofen, es gab vielleicht einen Kasten Bier, wir haben zusammen Lieder gesungen und am nächsten Tag ging es früh um sechs in die Arbeit. Auf die Idee, sich freizunehmen, wäre bei uns keiner gekommen. Heute ist das bei vielen üblich.
Wenn Sie es sich aussuchen könnten: Wären sie lieber heutzutage Bursche?
Ach. Ich hab mein Burschenleben sehr genossen. Natürlich waren die Zeiten ärmer. Bei uns hatte fast keiner ein Auto, um zu den anderen Hütten zu kommen. Und wenn, dann haben wir uns zu fünft oder zu sechst reingequetscht und sind mit acht Halbe Bier trotzdem noch gefahren. Gefährlich war das. Früher war nicht alles besser. Heute mieten sich die Burschen Busse und fahren zu den Wachhütten. Das ist doch vernünftig. Aber wir hatten schon auch lustige Zeiten.
Ja?
Einmal sind wir nach Hofolding gefahren. Dort haben wir uns in einem Gebüsch auf den Boden gelegt, damit uns keiner bemerkt. Eine Frau auf dem Hof hat uns trotzdem gesehen und geschrien, als würde ihr jemand ein Messer in den Leib rammen. Wir sind alle weggerannt - nur der Rudi nicht. Der war so betrunken, dass er eingeschlafen ist. Wir mussten ihn dann auslösen mit 30 Litern Bier. Aber wir haben da schon auch mitgetrunken.
Zumindest beim Alkoholkonsum hat sich also nichts verändert.
Wir haben ja auch schwer gearbeitet. Wenn ich den ganzen Tag im Büro gesessen wäre, hätte ich vielleicht auch mehr Tee getrunken. Als Handwerker braucht man Kraft.
Mal ehrlich: Wenn die Burschen sagen, sie würden mit ihren Vereinen die bayerische Tradition erhalten, dann geht es ihnen doch in Wirklichkeit bloß ums Bier trinken.
Ah geh! Waren Sie nie jung? In Aying gibt es außerdem viele Traditionen am 1. Mai. Die Mädels blasen zum Beispiel immer noch Eier aus. Die werden dann in einer großen Pfanne gekocht und mit Brot auf die Tische gestellt. Das war früher so und ist heute immer noch so.
Wo ist es denn traditionell am schwierigsten, den Baum zu stehlen?
Na in Aying. Weil hier der Baum so groß ist, 51 Meter ist er lang. Da bräuchte man schon 120 bis 140 Mann zum Wegtragen - so viele bekommt ja niemand zusammen. Bei uns wird der Baum immer noch geschiftet. Früher hat man das überall so gemacht, aber dann war Krieg und so viele junge Leute sind gefallen, dass die Ortschaften nicht mehr genug Männer hatten, um so große Bäume aufzustellen.
Wurde der Ayinger Baum denn schon einmal geklaut?
Einmal in den Fünfzigerjahren und seitdem nicht mehr. Damals haben sich die ganzen umliegenden Ortschaften zusammengetan. Als sie das Bier, das sie als Auslöse verlangt haben, abholen wollten, hat sie der Ayinger Wirt zu einer Brotzeit eingeladen. Und derweil haben die Ayinger Burschen die Bier- durch Wasserfässer ausgetauscht. (lacht) Aber heute wäre es praktisch unmöglich, den Ayinger Baum zu klauen. Die Wachhütten sind ja ganz anders aufgestellt.
Stimmt - es gibt ja ganz andere technische Möglichkeiten. Man könnte Alarmanlagen anbringen.
Nein, ich meine, weil die Hütten jetzt richtige Häuser sind. In Aying haben 100 Mann Platz. Eine Alarmanlage nützt gar nichts. In Föhring haben die das mal probiert, dann wurden die Kabel durchgezwickt. Der beste Schutz sind immer noch viele Leute, die aufpassen. Denn sobald ein Bursche die Hand auf den Maibaum legt und sagt: "Der bleibt da", bleibt er da. Das ist Gesetz.
Und welche Ortschaft stellt sich am blödesten an und wird am meisten beklaut?
Alle passen auf, es will ja keiner die Schande auf sich ziehen. Außer die Münchner Brauereien - die lassen sich gern bestehlen, damit sie dann in der Zeitung stehen.
Die Ayinger stellen ihren Maibaum am 1. Mai von 9 Uhr an mit der Hand auf. Bei schlechtem Wetter findet das Fest am Samstag, 4. Mai, statt.