Lokalpolitik:"Eine Gemeinde muss auch etwas bieten"

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Mit 18 Jahren ist Bruno Rimmelspacher in die SPD eingetreten, das war 1957. Bis heute ist der inzwischen 80-Jährige seiner Partei verbunden und gestaltet die politische Entwicklung in Ismaning als Gemeinderat seit mehr als vier Jahrzehnten aktiv mit. (Foto: Robert Haas)

Bruno Rimmelspacher sitzt seit 40 Jahren für die SPD im Gemeinderat von Ismaning - ob er noch einmal antritt, weiß er noch nicht. Politisches Engagement wurde dem Juristen sozusagen in die Wiege gelegt. Er spricht sich für starke und selbstbewusste Kommunen aus

Interview von Irmengard Gnau, Ismaning

Als Bruno Rimmelspacher (80) erstmals in den Ismaninger Gemeinderat gewählt wurde, hieß der Bürgermeister noch Erich Zeitler (SPD). 40 Jahre sind seitdem vergangen und Rimmelspacher ist immer noch im Gremium aktiv, nach einigen Jahren als zweiter Bürgermeister und Fraktionsvorsitzender ist der emeritierte Professor für Zivilrecht heute stellvertretender Sprecher seiner SPD-Fraktion.

SZ: Herr Rimmelspacher, Sie sind seit 1957 Mitglied der SPD und seit 40 Jahren kommunalpolitisch aktiv. Woher kam Ihre Motivation, sich zu engagieren?

Bruno Rimmelspacher: Das kommt von meinem Elternhaus. Mein Vater war in den Fünfziger- und Sechzigerjahren 26 Jahre lang Bürgermeister von Ettlingen, der Stadt in Baden-Württemberg, aus der ich stamme. Da war die Kommunalpolitik bei uns zuhause ganz selbstverständlicher Bestandteil des Lebens. Mein Großvater mütterlicherseits war sogar schon Gemeinderat für die SPD in dem Dorf in der Nähe von Karlsruhe, aus dem meine Eltern stammen. Kleine Anekdote am Rande: Mein Vater hatte über seine Bürgermeistertätigkeit auf einer Studienreise nach Israel den damaligen Ismaninger Bürgermeister Erich Zeitler kennengelernt. Als der von meinem Vater erfuhr, dass sein Sohn einen Ruf nach München erhalten hatte, sagte er zu ihm, ich solle mich doch mal bei ihm im Rathaus melden.

Und das haben Sie gemacht, als Sie 1973 als Hochschullehrer an die LMU nach München berufen wurden?

Ja (lacht). Hauptausschlaggebend war aber, dass meine Frau und ich uns in Ismaning sehr wohlgefühlt haben.

Wenn Sie heute zurückschauen auf die vergangenen 40 Jahre Kommunalpolitik: Welche Parallelen sehen Sie zwischen den zentralen Themen damals und heute, welche Unterschiede?

1978 schon war das Thema Umwelt in den Mittelpunkt gerückt. Heute sprechen wir davon unter dem Begriff "Klimawandel" - wobei ich eher bevorzuge, es "Klimakatastrophe" zu nennen. Das hat in den Achtzigerjahren noch einmal zugenommen. Das war mir schon immer sehr wichtig. Wir haben damals als Gemeinde zum Beispiel angefangen, Pflanzungen in der Flur vorzunehmen. Ein weiteres Thema war der S-Bahntunnel - Ismaning und insbesondere die Bürgergemeinschaft haben jahrelang darum gekämpft, dass die neue S-Bahn zum Flughafen nicht den Ort zerschneidet, sondern unterirdisch verläuft. Die Umwelt hat dadurch immens gewonnen. Ein wichtiger Aspekt war auch die Energieversorgung: Ismaning wurde lange von den Isar-Amper-Werken versorgt. Ende der Achtzigerjahre stand die Verlängerung des Konzessionsvertrags an. Ich habe damals gesagt: Das müssen wir gründlich überlegen. Am Ende hat die Gemeinde von den Isar-Amper-Werken das Stromnetz übernommen und an die Stromversorgung Ismaning GmbH verpachtet; Gründungsmitglieder dieser GmbH waren zu 51 Prozent die Gemeinde und zu 49 Prozent die Isar-Amper-Werke.

Warum war es aus Ihrer Sicht wichtig, dass die Kommune die Energieversorgung selbst in die Hand nimmt? Damals ging der Trend doch zur Privatisierung.

Die Erfahrung, welchen Wert die Eigenständigkeit für eine Stadt hat, habe ich aus Ettlingen mitgebracht. Dieser Gedanke: Eine Gemeinde muss so viel Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein entwickeln, dass sie auch wirklich selbständig sein kann. Mein drittes Thema war die Idee, dass Ismaning auch bei der Kultur eigenständiger werden sollte. 1978 zur Wahl habe ich vorgeschlagen, die Gemeinde solle eine Musikschule bekommen. 1979 wurde sie bereits eröffnet. Das nächste Projekt war das Schlossmuseum. Ich glaube, das Bewusstsein für die Eigenständigkeit ist seit 1978 durchaus gestiegen und dazu haben einige der Projekte, die wir damals verwirklicht haben, beigetragen. Eine Gemeinde, die nicht nur Vorort einer Millionenstadt sein will, sondern auch für sich und ihre Bürger ein Selbstbewusstsein entwickelt, muss auch etwas bieten. Und ich glaube schon, dass uns das gelungen ist.

Wenn wir etwas übergeordneter auf die Kommunalpolitik schauen: Man hört zuletzt häufig Kritik gegenüber der "großen Politik". Inwiefern hat das auch Auswirkungen auf die Kommunalpolitik?

Ich glaube schon, dass das Auswirkungen hat. Ich habe das schon zu Zeiten von Hans-Jochen Vogel als Oberbürgermeister von München erlebt. Der Streit in der Stadt-SPD damals war bis ins Umland deutlich zu spüren. In vergleichbarer Weise glaube ich, dass auch das, was die Bundespolitik bietet, sich bis auf die kommunale Ebene auswirkt. Ich habe vor Kurzem mit jemandem gesprochen, der aus dem Münsterland nach Ismaning gezogen ist und sich politisch engagieren wollte. Er ist bei den Grünen eingetreten. Als einen der Gründe nannte er die konservative Haltung seiner eigenen Familie, die ihm nicht zugesagt hat - und bei der SPD habe er den Eindruck gehabt, da werde zu viel gestritten. Dabei hatte er von den Verhältnissen in unserem Ortsverein gar keine Vorstellung. Das ist für mich ein Zeichen dafür, dass die Politik, die in Berlin gemacht wird, für manche dazu führt, dass sie entweder sagen "Ja, die Grünen sind eine Alternative" oder "Jetzt protestieren wir und wählen gleich ganz rechts". Ich verstehe auch manchmal die SPD in der Bundesregierung nicht. Beispielsweise ein Tempolimit auf Autobahnen generell abzulehnen, halte ich für den falschen Weg. Ich meine, Politik besteht nicht darin zu sagen, was nicht geht, sondern darin zu sagen, was man tun muss.

Auf kommunaler Ebene hingegen gibt es viele erfolgreiche SPD-Politiker, zehn Bürgermeister allein im Landkreis München. Warum tut sich die SPD in Bayern auf den höheren Ebenen so schwer?

In der Kommunalpolitik kann man - gerade als Bürgermeister - sehr viel bewegen. Auf Landesebene ist das viel schwieriger, erst recht auf Bundesebene und in einer Koalition. Außerdem darf man den Einfluss von Lobbyisten auf der Bundesebene nicht unterschätzen. Da kann bei vielen Menschen der Eindruck aufkommen: Die kungeln - und denen muss man es zeigen.

Haben Sie das Gefühl, das Interesse der Bürger an der Kommunalpolitik hat sich verändert?

Ich glaube, man kann hier in Ismaning unterscheiden zwischen denen, die schon lange hier sind, denen die vor etwa zehn Jahren zugezogen sind und denen, die ganz neu kommen. Finden neu Zugezogene rasch eine Wohnung, eine Arbeitsstelle, einen Krippenplatz für ihre Tochter? Wenn das erfüllt ist und es noch dazu viele Grünflächen gibt, fühlen sich die Leute wohl. Wer schon etwas länger da ist, der entdeckt vielleicht Dinge, die man noch verbessern könnte - den Radverkehr noch sicherer zu machen zum Beispiel.

Sind die Bürger allgemein selbstbewusster geworden gegenüber der Politik? In einigen Nachbarkommunen gab es zuletzt zum Beispiel mehrere Bürgerentscheide.

In Ismaning haben wir das in den vergangnen Jahren so nicht erlebt. Die Bürgergemeinschaft für den S-Bahntunnel war Mitte der Achtzigerjahre in der Lage, die Ismaninger für ihre Sache zu begeistern und sich schließlich auch durchzusetzen, auch wenn der Gemeinderat und Bürgermeister Zeitler erst ziemlich verhalten waren. Ich glaube, das lag auch an den Personen: Der Motor war damals Alfons Ostermaier, Lehrer an der Ismaninger Hauptschule. Das war auch eine positive Eigenschaft von Bürgermeister Erich Zeitler: Er war bereit, seinen eigenen Standpunkt in Frage zu stellen und sich zu bewegen.

Ist das grundsätzlich eine wichtige Eigenschaft für einen Kommunalpolitiker?

Ja, natürlich. Und nicht nur für einen Kommunalpolitiker. Hier aber ganz besonders, denn der Bürgermeister ist nach außen derjenige, der alles bewegt. Er hat als Chef der Verwaltung ein gewichtiges Wort, aber er muss trotzdem auch noch eine Mehrheit im Gemeinderat finden. Deshalb ist es, glaube ich, wichtig, auch Kompromissfähigkeit mitzubringen für dieses Amt.

Was sind für Sie die zentralen Zukunftsthemen für Ismaning? Auch im Hinblick auf die Kommunalwahl 2020, bei der Ihr SPD-Amtsinhaber seinen Bürgermeisterposten verteidigen will?

Zusammengefasst ist das für mich das Trio "BMW" - Bildung, Mobilität und Wohnen. Kommunaler Wohnbau ist ein Thema, das sich durch die Jahre hindurchzieht. Wir haben da, glaube ich, eine Besonderheit im Ort: Wir haben bei den gemeindeeigenen Wohnungen einkommensabhängige Mieten, sie beginnen bei Neuvermietungen derzeit bei sechs Euro pro Quadratmeter und steigen dann in mehreren Staffeln an. Ich halte diese unsere Lösung für besser als auf alle Mieten einen Deckel zu setzen, unabhängig vom Einkommen. Trotzdem können wir als Kommunen das Problem mangelnden bezahlbaren Wohnraums nicht lösen, nur lindern. Dafür wäre es aus meiner Sicht in Zukunft wichtig, neue Ideen zu haben.

Wie wäre das aus Ihrer Sicht möglich?

Das Grundproblem ist ja, dass die Gemeinde nur über den Teil der als Bauland ausgewiesenen Grundstücke verfügt, den sie nach und nach erwerben kann. Ein Großteil des Bauerwartungslands gehört Ismaninger Landwirten, historisch bedingt, weil die ortsnahen Gründe mit der Aufhebung der adligen und kirchlichen Grundherrschaft im 19. Jahrhundert in das Privateigentum der Landwirte übergingen. Da, denke ich, könnte man überlegen, das Rad der Geschichte ein wenig weiter zu drehen.

Sprechen Sie etwa von Enteignung?

Man muss nicht an Enteignung denken, aber man könnte beispielsweise mit einem Erbbaurechtsmodell weiter kommen, sodass die Eigentümer ihr Eigentum behalten, aber der Gemeinde für 99 Jahre Erbbaurecht einräumen und die Gemeinde dort Wohnungsbau betreiben kann.

Werden Sie 2020 noch einmal für den Gemeinderat kandidieren?

Ich weiß es noch nicht. Manche sagen, 80 Jahre sollten doch jetzt genug sein, um sich zur Ruhe zu setzen. Andererseits denke ich, das Lebensalter als solches ist kein vorrangiges Kriterium. An der Universität beispielsweise forsche und lehre ich heute vergleichsweise fast genauso viel wie vor meiner Emeritierung. Außerdem muss man auch Lebenserfahrung haben, am besten mit verschiedenen Generationen - wenn ich mich in meiner Fraktion so umschaue: Wer hat so viele kleine Kinder wie ich?

© SZ vom 06.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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