Städtepartnerschaft:50 Jahre Beziehungsarbeit

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Bürgermeister Christoph Böck (rechts) stößt bei dem Festabend mit seinem französischen Kollegen Stéphane Champay auf 50 Jahre Freundschaft an. (Foto: Florian Peljak)

Unterschleißheim und die südfranzösische Stadt Le Crès lassen mit feierlichem Ernst ihre Freundschaft hochleben. Den Rednern geht es dabei in Zeiten des Krieges um Frieden und ein einiges Europa.

Von Bernhard Lohr, Unterschleißheim

"Vas-y, vas-y!" ist zu hören, als die Gäste nach dem Stehempfang in den Festsaal drängen. "Nur zu, nur zu!" Schließlich strebt der sechstägige Besuch der Freunde aus Le Crès in Unterschleißheim am Sonntagabend seinem Höhepunkt entgegen. Der Saal ist mit Luftballons in den Farben der französischen Trikolore Blau, Weiß und Rot sowie in Schwarz, Rot, Gold geschmückt. Die Bürgermeister tragen ihre Amtskette beziehungsweise Schärpe. Es ist angerichtet für die große Feier der 50-jährigen Freundschaft zwischen Unterschleißheim und der Partnerstadt in Südfrankreich.

Es wird ein Abend mit vielen Gesprächen, in denen Freunde auf Erlebtes zurückschauen, Bilanz ziehen und bei dem vor allem mit ungewohnt feierlichem Ernst das europäische Friedensprojekt beschworen wird. Unterschleißheims Bürgermeister Christoph Böck (SPD) spricht den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine an und warnt vor einem "Zurück in eine gewaltvolle Vergangenheit". Die Generalkonsulin Frankreichs in Bayern, Corinne Pereira, sagt, der Krieg zeige, wie wichtig "Impulse aus der Politik und der Zivilgesellschaft" seien, um Frieden zu bewahren. Jede Generation, sagt sie, müsse aufs den Einsatz "für ein souveränes Europa" entdecken.

Die französische Generalkonsulin Corinne Pereira spricht in Unterschleißheim. (Foto: Florian Peljak)

Als sich Anfang der Siebzigerjahre Kommunalpolitiker in Frankreich und Deutschland aufmachten, mit Städtepartnerschaften Brücken zwischen ihren Ländern zu bauen, geschah das im Schatten des gerade einmal 25 Jahre zurückliegenden Zweiten Weltkriegs. Der 1963 geschlossene deutsch-französische Freundschaftsvertrag ebnete den Weg, dass 1971 in Unterschleißheim der Gemeinderat den Beschluss fasste, eine Städtepartnerschaft anzustreben. Man nahm Kontakt mit dem Konsulat auf, das weiter nach Le Crès vermittelte, wo ebenfalls ein solcher Wunsch formuliert worden war. Die Bürgermeister Hans Bayer (1968 bis1989) und Julien Quet (1969 bis 1994) unterzeichneten im August 1973 in Le Crès und im Oktober 1973 in Unterschleißheim das Dokument mit dem Patenschaftseid, der die "ernste Verpflichtung" formuliert, "eine echte Freundschaft aufzubauen". Mit dem Ziel "der Vereinigung Europas".

Die festliche Zusammenkunft bot Gelegenheit für viele Gespräche. Und es gab ernste Appelle, sich weiter für Freundschaft und Frieden einzusetzen. (Foto: Florian Peljak)

Doch wie ist man vorangekommen? Der in der Formel genannte Aufruf, sich durch "engen Kontakt" und "Austausch" näherzukommen, wurde aufgegriffen. Man besucht sich. Offizielle Delegationen machen sich Jahr für Jahr auf den Weg in die 1200 Kilometer entfernte Partnerkommune. Franzosen lernen Deutsch, Deutsche Französisch. In diesem Sinne halten Bürgermeister Böck und sein Amtskollege Stéphane Champay am Festabend in der jeweils fremden Sprache ihre Reden. Böck bekräftigt die "amitié cordiale" zu seinem Kollegen, der 2020 neu ins Amt gelangte und 2021 trotz Corona-Pandemie zum Kennenlernen nach Unterschleißheim kam. Champay lobt das "Projekt, über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg" Gemeinschaft zu stiften.

Die Brüder Adrian (Klavier) und Maximilian Kleemann (Geige) verleihen mit Stücken von Chopin und anderen Komponisten dem Abend eine besondere Note, durch den Jutta Hohensee als Moderatorin führt. (Foto: Florian Peljak)

Doch viele, die heute die Freundschaft leben, sind in die Jahre gekommen. Manche sind seit den Anfängen dabei und bis heute Stützen. Gertrud Schaller ist eine Frau der ersten Stunde, die nach wie vor schwärmt von den Menschen in Le Crès und nicht zuletzt der Schönheit des Ortes, der mit der Universitätsstadt Montpellier an der Côte d'Azur durch eine Straßenbahn verbunden ist und von wo die Strände in einer halben Stunde zu erreichen sind. Wanderrouten liegen vor der Tür. Dennoch begann erst im Jahr 2000 ein organisierter Jugendaustausch. Es gab Camps, Sporttreffen und seit 2010 fand auch ein Schüleraustausch zwischen dem Carl-Orff-Gymnasium und dem Collège La Voie Domitienne statt. Doch seit 2019 ist all das eingeschlafen. Gertrud Schaller nennt als großen Wunsch, "dass wir die vor Jahrzehnten begonnene Jugendförderung erfolgreich fortsetzen können".

Mehrere Anläufe gab es. Bürgermeister Champay schaute 2021 bei einer Französischstunde am Carl-Orff-Gymnasium vorbei und nahm von dort mit, dass Interesse am Austausch besteht. Doch bisher kam nichts zustande. Bei jungen Franzosen schwindet das Interesse, Deutsch zu lernen. Die Sprache gilt als schwer und kann mit dem Weltsprachen Englisch und Spanisch nicht mithalten. Zudem herrscht Mangel an Deutschlehrern. Das französische Bildungsministerium meldete 2022, 45 Prozent der Stellen seien nicht besetzt. In Le Crès wurde es schwierig, als eine engagierte Deutschlehrerin die Schule verließ.

János Zádori, Präsident der Kommunalverbunds Zengöalja in Ungarn, gratuliert zum 50-Jährigen. Selbst ist man seit 2004 mit Unterschleißheim befreundet. (Foto: Florian Peljak)

Doch die Beziehungsarbeit geht auch nach 50 Jahren auf allen Ebenen weiter. Unterschleißheim hat zu den Feiern Freunde aus dem ungarischen Zengöalja eingeladen und aus Lucka in Thüringen. János Zádori, der Präsident des aus 25 Gemeinden bestehenden Kommunalverbunds, sagt, vor 50 Jahre hätten die Menschen bei ihm gar nicht gewusst, dass Freundschaftsbande über Ländergrenzen hinweg möglich sind. Die Bürgermeisterin von Lucka, Kathrin Backmann-Eichhorn (CDU), wiederum sagt, als frühere Standesbeamtin wisse sie, dass 50 Jahre Ehe "keine Selbstverständlichkeit" seien.

Die Le-Crès-Brücke verbindet in Unterschleißheim die Stadtteile beiderseits der Bahn. (Foto: Florian Peljak)

Dabei sind Unterschleißheim und Le Crès zusammengewachsen. So steht in der 9500-Einwohner-Stadt im Weinbaugebiet L'Herault ein Maibaum - wenn auch aus Metall. Und in Unterschleißheim wäre ohne die Le-Crès-Brücke alles blockiert. Für September steht eine Einladung aus Frankreich an die Unterschleißheimer an. Und laut Christine Hupf, der Präsidentin des Partnerschaftsbeirats, könnte dank der engagierten Französischlehrerin Kerstin Owen auch bald die Jugend wieder zueinander finden. Das Jugendzentrum Gleis 1 plane bereits für 2024 eine Fahrt.

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