Kreis und quer:Wir sind Europa

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Die Vorteile der EU sind alltäglich, aber nicht selbstverständlich. Sie zu bewahren, darum geht es auch bei der Wahl - gerade wenn man in der Mitte der Kontinents lebt

Kolumne von Lars Brunckhorst

Einer der ältesten Fixpunkte Europas steht am Föhringer Ring im Niemandsland: die sogenannte Basispyramide. Der fünf Meter hohe Obelisk aus Tuffkalk, ein Relikt aus napoleonischer Zeit, diente zwar in erster Linie militärischen Zwecken, das Bauwerk von 1802 zeugt aber auch von dem ersten Versuch einer europäischen Einigung: einer einheitlichen Landvermessung. Auch wenn die Pyramide weder den Mittelpunkt Europas noch der EU markiert - dieser liegt geografisch bei Aschaffenburg -, so fühlen sich die Menschen im Landkreis München gerade in den jetzt beginnenden Sommermonaten durchaus als Mitte Europas. Denn mit der Urlaubswelle, die in drei Wochen mit den Pfingstferien einsetzt, geht es wieder kreuz und quer durch den Kontinent - etwa nach Kroatien, Frankreich und Italien. Zu den Lastwagen, die sich auch so schon auf dem Autobahnring stauen, kommen dann noch die Autos und Wohnwagen von Urlaubern aus Holland, Dänemark und Polen dazu. Schließlich führt mit der A 99 und den drei Autobahnkreuzen im Norden, Osten und Süden eine der meistbefahrenen Verkehrstrassen Europas mitten durch den Landkreis.

Wenn auch seit ein paar Jahren wieder Grenzkontrollen gelten, kann das die Reiselaune nicht trüben, schließlich können wir EU-Bürger weiterhin ohne Visum und meist sogar ohne Geldumtausch in fast alle Länder reisen. Wem es dort gefällt, der kann sogar für immer bleiben, dort arbeiten oder studieren, sich ein Haus kaufen und später seine Rente nachschicken lassen. Und wer krank oder arbeitslos wird, ist auch im EU-Ausland versichert. Wir arbeiten heute bei einer schwedischen oder belgischen Firma, haben Kollegen aus Österreich und Finnland, unsere Nachbarn stammen aus Ungarn und Rumänien. Wir gehen beim Griechen essen, bestellen übers Internet und per Paketdienst aus Irland und fahren nach Spanien in den Urlaub. Unsere Kinder werden, wenn sie klein sind, von Erzieherinnen aus Bulgarien betreut, und wenn sie größer sind, studieren sie dank Erasmus ein Semester in England. Wie sehr Europa Teil unseres Lebens ist, zeigt sich an den internationalen Studiengängen und Studenten der TU in Garching, an der multinationalen Belegschaft von Airbus in Ottobrunn und an den vielen Städtepartnerschaften der Kommunen - um all das geht es in dieser Sonderausgabe. Europa ist für uns alltäglich. Aber ist es auch selbstverständlich?

Daran sollten wir denken, wenn in einer Woche Europawahl ist. Die Errungenschaften und Vorteile der EU kann man, bei allen Defiziten im Detail, gar nicht oft genug betonen. Was sie wert sind, merkt erst, wer sie zu verlieren droht. Das zeigt sich an der großen Zahl der Briten, die hier leben und in Angesicht des drohenden Brexit die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt haben. Damit diese Union gar nicht erst in Gefahr gerät, sollte man die Wahl des Europaparlaments ernst nehmen und mit seiner Stimmabgabe Europa stärken. Wer, wie wir in der Region München, in der Mitte Europas lebt, kann nicht abseits stehen, wenn es um die Zukunft und das Schicksal der EU geht. Denn Europa, das sind wir.

© SZ vom 18.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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