Klimaschutz:"Man kann nicht CO₂-neutral leben"

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"Friday for Future" am Invalidenpark in Berlin. (Foto: dpa)

Günther Wessel über den einjährigen Selbstversuch seiner Familie, möglichst wenig Klimaschadstoffe zu produzieren, die Herausforderungen und Erkenntnisse.

Interview Von Anna Majid, Garching/Taufkirchen

Der Klimawandel ist in aller Munde - bei den "Fridays for Future"-Demonstrationen oder demnächst im neuen Klimakabinett der Bundesregierung. Denn Deutschland verfehlt sowohl seine eigenen als auch die Klimaschutzvorgaben der EU. Was jeder einzelne tun kann, um das zu ändern, hat sich die Familie Pinzler-Wessel gefragt und ein Experiment gewagt. In dem Buch "Vier fürs Klima: Wie unsere Familie versucht, CO₂-neutral zu leben" haben sie ihre Erfahrungen veröffentlicht. Über den Selbstversuch wird Günther Wessel an drei aufeinanderfolgenden Abenden an den Volkshochschulen Garching, Taufkirchen und Holzkirchen sprechen; Beginn ist am Dienstag, 2. April, um 18 Uhr in der Stadtbücherei Garching. Im Interview erzählt er von den Herausforderungen für seine Familie und was sich bei ihm zu Hause verändert hat.

SZ: Herr Wessel, zusammen mit Ihrer Familie haben sie ein Jahr lang versucht CO₂-neutral zu leben. Wie kommt man auf diese Idee?

Günther Wessel: Unsere Tochter, die heute 15 Jahre alt ist und die "Fridays for Future"-Demonstration bei uns in Berlin mitorganisiert, kam mit zwölf eines Tages aus der Schule und hat auf der Website des WWF ihre Klimabilanz ausgerechnet. Das Ergebnis hat uns einigermaßen schockiert: Wir waren mit zehneinhalb Tonnen zwar etwas besser als der bundesweite Durchschnitt mit elf Tonnen pro Person. Wir hatten aber eigentlich gedacht, dass wir noch besser sind. Wir haben danach immer wieder über ökologische Fragen gesprochen und überlegt, wie man klimaneutral leben kann. Irgendwann sagte unser damals 15-jähriger Sohn, wir sollten das ausprobieren. Die Idee stand im Raum, dass wir ein Jahr lang überlegen, wie klimarelevant die einzelnen Aspekte unseres Lebens sind, und schauen, wo man im Alltag reduzieren kann - ohne ein komplett anderes Leben zu führen.

"Eigentlich haben uns die Kinder vorwärts getrieben": Der Berliner Journalist Günter Wessel berichtet diese Woche an den Volkshochschulen in Garching und Taufkirchen über das Klimaschutz-Experiment seiner Familie. (Foto: Dirk Hasskarl)

Wie hat das funktioniert?

Wir haben erst mal einen Energieberater von der Verbraucherzentrale ins Haus geholt. Der hat uns Tipps gegeben, wo wir sparen können: bei unseren undichten Fenstern angefangen, wo man Strom sparen kann, was vernünftig und unvernünftig ist. Wir haben beispielsweise angefangen den Kühlschrank auf sieben Grad hoch zu stellen, denn das reicht aus. Dann haben wir uns gefragt: Wie sieht das mit der Ernährung aus? Unser Sohn ist schon lange Vegetarier - ist das auch für das Klima besser? Wir sind auch Fragen nach der Mobilität nachgegangen: Wie bewegen wir uns durch die Stadt? Müssen wir Auto fahren oder reicht das Fahrrad? Ich habe einen Fahrradanhänger gekauft, damit wir den Großeinkauf für die Familie mit dem Fahrrad erledigen können.

Was waren die größten Herausforderungen?

Das, was einem am meisten Probleme bereitet, ist die Frage der Alltagsmobilität, also wenn man auf das Auto fixiert ist, sich das abzugewöhnen. Man findet es normal, die zwei Kilometer bis zum Supermarkt mit dem Auto zu fahren, dabei kann man das ohne Probleme mit dem Fahrrad fahren. Wir haben in Deutschland derzeit rund 46 Millionen private Pkw. Das sind entschieden zu viele. Zehn Prozent aller Fahrten sind kürzer als ein Kilometer. Davon muss man sich lösen. Das ist eine Herausforderung. Man muss das üben, sich ständig vergewissern und immer wieder darüber reden. Eine weitere Herausforderung war es zu sagen: Wir wollen nicht in den Urlaub fliegen.

Wie haben Ihre Kinder das Jahr durchgehalten?

Eigentlich haben die Kinder uns vorwärtsgetrieben. Ich glaube, dass Kinder viel unmittelbarer sind. Unsere Tochter hat mal gesagt, manchmal habe sie sich gewünscht nicht so viel zu wissen, dann wäre sie unschuldiger. Aber wenn Kinder etwas einsehen, dann ändern sie es auch. Erwachsene stellen weniger in Frage. Natürlich gab es ab und zu Quengeleien wie: "Papa, kannst du mich doch irgendwo hinfahren?" Aber das finde ich völlig normal. Inzwischen gibt es diese Quengeleien nicht mehr, weil wir gar kein Auto mehr haben. Für uns ist das aber kein Verzicht.

Was hat sich seit dem Experiment für Sie als Familie verändert?

Wir leben so weiter, vielleicht sogar noch etwas konsequenter. Beispielsweise ein Wochenendtrip mit dem Flieger, das machen wir nicht mehr. Auf der Gefühlsebene hat sich geändert, dass man mehr mit sich ist: Der Graben zwischen Wissen und Handeln ist nicht mehr so tief. Und man hat Kriterien im Kopf, was man machen kann und was man besser nicht macht.

Haben Sie Ihr Ziel, CO₂-neutral zu leben, denn erreicht?

Nein, man kann nicht CO₂-neutral leben. Was man machen kann, ist reduzieren und es hinterher kompensieren. Es ist der Versuch, möglichst wenig CO₂ zu produzieren. Von diesen elf Tonnen pro Nase runterzukommen, auf einen einigermaßen erträglichen Wert.

Wie hoch wäre der?

Der ist bei uns 30 Prozent niedriger. Klimagerecht wäre aber, wenn jeder weltweit nur zwei Tonnen CO₂ emittiert. Das ist in Deutschland aber nicht zu schaffen, weil wir dafür eine zu gute Infrastruktur haben. Durch öffentliche Gebäude und Straßenbeleuchtung entstehen schon Allgemeinlasten von einer Tonne pro Person.

Haben Sie einen Tipp, der sich leicht umsetzen lässt?

Einfach nicht fliegen. Damit spare ich besonders viel Kohlendioxid ein. Es gibt kein Menschenrecht darauf. Es gibt eine große Lücke zwischen Leuten, die viel fliegen, und denen, die nie fliegen: Die Vielflieger sitzen in Europa, Amerika und Teilen von Asien. Der Rest der Weltbevölkerung steigt nie in ein Flugzeug. Da leben wir auf Kosten anderer.

© SZ vom 01.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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