Kinderbetreuung:Das große Zittern

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Im Schulkindergarten in Garching bereiten sich 20 Kinder auf die Schule vor. Nur noch wenige Kommunen im Landkreis leisten sich eine solche Einrichtung, weshalb Garching viele Anfragen von außerhalb bekommt. (Foto: Robert Haas)

Insgesamt 500 Kindergartenplätze fehlen im Landkreis. Die Gründe sind vielfältig, ebenso wie die Anstrengungen der Kommunen

Von Christina Hertel und Gudrun Passarge

Anja Prause ist so ein Fall. Die Unterschleißheimerin zitterte am Anfang der Woche, ob sie einen Kindergartenplatz für ihre kleine Tochter bekommt, die im Oktober drei Jahre alt wird. Prause arbeitet in Teilzeit in der Lohnbuchhaltung, ihr Mann am Bau. Sie wohnen zur Miete und leben mit der großen und der kleinen Tochter in einer Drei-Zimmer-Wohnung. Die Kleine ist bei der Tagesmutter untergebracht, bekäme sie einen Kindergartenplatz, wäre das erheblich günstiger. "Aber mein Mann verdient eben nicht die 5000 Euro, die es vielleicht bräuchte, um mit einem Einkommen durchzukommen", sagt sie. Prause ist kein Einzelfall, weder in Unterschleißheim noch anderswo. Mehr als 500 Plätze fehlen im ganzen Landkreis.

Die Situation ist nicht in allen Kommunen gleich - und die Gründe für die fehlenden Plätze sind vielfältig. Sehr häufig liegt es daran, dass qualifiziertes Personal fehlt. Oder aber, wie in Unterschleißheim, dass nicht alles so funktioniert wie geplant. Zu einer Diskussionsrunde zum Thema Kinderbetreuung in dieser Woche waren viele Eltern gekommen, die bisher bei der Platzvergabe leer ausgegangen waren. Sie wollten von Unterschleißheims Bürgermeister Christoph Böck (SPD) wissen, warum die Stadt bei den Plätzen ständig hinterherhinkt. In Unterschleißheim führt Böck "zwei Rückschläge" ins Feld.

Unterschleißheims Bürgermeister bittet um Vertrauen

Zum einen habe sich der Ausbau eines privaten Kindergartens verzögert; die Stadt hat mittlerweile eingegriffen und wesentliche Aufgaben selbst übernommen. Und dann war da noch das gemeinsame Projekt mit Airbus, das daran scheiterte, dass Airbus der Stadt den Rücken kehrte. Nun brauche es Zeit, bis Nachfolgeprojekte umgesetzt werden können. Geplant ist etwa ein Kinderhaus mit fünf Gruppen am früheren Standort von Microsoft, das bis 2018 fertig sein soll. "Der Ausbau wird kommen", versprach er und bat um Vertrauen. Die Stadt habe es bisher immer geschafft, für alle, die einen Platz benötigten, auch einen zur Verfügung zu stellen.

Weniger zittern mussten die Eltern in Garching, wo in 80 bis 90 Prozent der Fälle eine Zusage für die Wunscheinrichtung verschickt wurde, wie Cornelia Otto, die Leiterin des Fachbereichs Soziales, berichtet. Dabei sind auch Kinder mit Geburtstagen im Oktober oder November berücksichtigt. Otto bezeichnet die Technik als große Hilfe, sie habe sofort auf die Zahlen reagiert. Die Geburtenrate stieg um 15 Prozent an, da war klar, dass mehr Krippenplätze nötig sind. Weil aber das neue Kinderhaus noch nicht fertig ist im September, wurden Container aufgestellt. Hilfreich sei, dass sich die Kindergärten bereit erklären, Zweieinhalbjährige aufzunehmen, "das entlastet die Krippen".

Doch wenn kein Personal zu finden ist, haben die Kommunen ein Problem. "Im Kindergartenbereich würden nur etwa fünf Kinder auf der Wartelisten stehen, wenn genügend Personal vorhanden wäre", heißt es aus dem Kirchheimer Rathaus. Ein Konjunktiv, der Eltern nichts nutzt. Weil insgesamt zehn Betreuer fehlen, warten 45 Kinder auf einen Platz im Kindergarten und zwölf auf einen in der Krippe.

"Der Markt ist leergefegt."

Dabei war die Gemeinde aktiv. 2016 wurden zehn neue Krippen- und 25 Kindergartenplätze geschaffen. Und heuer noch einmal fast 50. Nur genug Personal wurde bisher noch nicht gefunden. "Der Markt", sagt Christian Freund aus der Abteilung Soziales, "ist leergefegt". Freund sagt, dass die Leiterin eines evangelischen Trägers schon nach Griechenland und Spanien gereist ist, um dort Erzieher anzuwerben. Manche blieben in Kirchheim, viele kehrten aber nach einiger Zeit wieder ihre Heimat zurück.

Ohne Personal aus dem Ausland gehe es nicht mehr, sagt Aschheims Geschäftsleiter Christian Schürer. Um ausländische Erzieher anzuheuern, arbeiten die Kindergärten mit Personalvermittlungsagenturen zusammen. 15 bis 20 Prozent der Erzieher kommen aus Spanien, Polen oder Rumänien. Ein Problem sieht der Geschäftsleiter darin nicht: "Es wird darauf geachtet, dass die Qualifikation stimmt. Das ist ja gesetzlich vorgeschrieben." Also auch die Deutschkenntnisse. In Aschheim herrscht keine Personalnot, eine Warteliste gibt es nicht. Auch in Hohenbrunn bekommen alle Kinder einen Platz. Ein wichtiger Faktor ist laut Geschäftsleiter Thomas Wien die gemeindliche Fachstelle, die sich um die Einrichtungen und um die "pädagogischen Konzepte" kümmert. Es liege wohl an einer Mischung aus Wohlfühlen, fachlicher Betreuung und gewissen Vorzügen wie günstigem Wohnraum.

Aber manchmal nutzen alle Anstrengungen nichts. In Grasbrunn sind zurzeit zehn Stellen nicht besetzt. "Manche sind schwer erkrankt, andere schwanger", sagt Hauptamtsleiterin Nicole Zeh. Eine Geburt ist zwar vorhersehbar, die Schwierigkeiten, die bis dahin auftauchen können, aber nicht. Wenn eine schwangere Erzieherin nicht gegen Röteln, Mumps und Masern geimpft ist, erteilt ihr der Betriebsarzt sofort ein Beschäftigungsverbot.

Hoffnung, dass sich die Situation bis September entspannt, haben alle Kommunen. In Unterhaching stehen 56 Buben und Mädchen auf einer Warteliste für einen Kindergartenplatz. "Letztes Jahr war die Situation ähnlich", sagt Wirtschaftsreferent Simon Hötzl. Bis zum Herbst habe man es geschafft, alle Kinder unterzubringen. "Wir müssen die Kinderbetreuung als Gemeinde selbst in die Hand nehmen", sagt Hötzl. Kommunen könnten andere Anreize bieten als kirchliche und private Träger: Schulungen, niedrigere Betreuungsschlüssel, oder Dienstwohnungen.

Der Landkreis wird immer teurer

Diskussionen können sich ziehen, wie Ursula Mayer (CSU), Bürgermeisterin von Höhenkirchen-Siegertsbrunn, weiß. In ihrer Gemeinde warten 33 Kinder, die im September einen Rechtsanspruch hätten, auf einen Kindergartenplatz. Zwar fehlen auch hier sechs Kräfte, aber gleichzeitig geht es mit dem Bau von Einrichtungen nicht voran. Die Gemeinde würde gerne ein Kinderhaus an der Wallbergstraße und einen dreigruppigen Kindergarten an der Sigohostraße bauen. Doch der Gemeinderat wird sich nicht einig.

An dem grundsätzlichen Problem wird sich nichts ändern: Der Landkreis wird immer teurer, gleichzeitig ziehen immer mehr Familien mit Kindern hierher, die eine Krippe brauchen, einen Kindergarten, eine Schule. "Und eine Arbeitsmarktzulage von 200 Euro", sagt Stefanie Ammicht aus dem Putzbrunner Rathaus, "lockt bestimmt keine Erzieherin aus einem anderen Teil von Deutschland hierher".

Für Anja Prause ist die Zitterpartie im übrigen beendet. An diesem Donnerstag kam die Nachricht, dass sie einen Platz für ihre kleine Tochter sicher hat. Vielen anderen dürfte es ähnlich ergangen sein.

© SZ vom 03.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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