Katholische Kirche:"Etwas läuft schief in der Kirche"

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Als Pfarrer erlebte Olivier Ndjimbi-Tshiende in Zorneding Rassismus. In Oberschleißheim spricht er über seine Erfahrungen

Von Anna-Maria Salmen, Oberschleißheim

Gut drei Jahre sind seit den Ereignissen vergangen, die Olivier Ndjimbi-Tshiende als die "Zornedinger Tragödie" bezeichnet. Der gebürtige Kongolese war zur Zeit der Flüchtlingskrise Pfarrer der katholischen Gemeinde in Zorneding. Als die damalige CSU-Ortsvorsitzende Sylvia Boher im Parteiblatt behauptete, Bayern werde "von Flüchtlingen überrannt" und die Situation mit einer "Invasion" gleichsetzte, kritisierte der 69-Jährige diese Aussagen öffentlich. Ein Parteikollege von Boher bezeichnete den Pfarrer daraufhin als "Neger". In den folgenden Monaten erhielt Ndjimbi-Tshiende rassistische Beleidigungen, die sich bis hin zu Morddrohungen steigerten. Schließlich trat der Seelsorger zurück und verließ Zorneding.

Nach den Beschimpfungen meditierte Ndjimbi-Tshiende. "Wenn man eine Grenzerfahrung macht, verändert man sich. Man betrachtet viele Dinge anders", sagt er. So hat er sich Gedanken gemacht: Wie sind derartige Vorfälle möglich in einer Religion, in der die Liebe das höchste Gebot ist? Seine Überlegungen hat Ndjimbi-Tshiende in einem Buch zusammengefasst, aus dem er am Mittwochabend vor knapp hundert Zuhörern in Oberschleißheim vorlas. "Etwas läuft schief in der Kirche", lautet seine Schlussfolgerung.

Eine mögliche Ursache für die Probleme ist nach Ansicht Ndjimbi-Tshiendes, der heute als Professor an der katholischen Universität Eichstätt tätig ist, dass die Amtskirche oft das Wort Gottes verdrehe. Die Kirche solle eine Bruderschaft sein, stattdessen herrsche eine starke Hierarchie. Sie bestrafe die Gläubigen, anstatt sie zu befreien. "In solch einer Kirche fällt es schwer, der Liebe Raum zu schaffen", sagt Ndjimbi-Tshiende. Der Glaube sei außerdem zu stark ritualisiert und könne dadurch nicht lebendig sein. Ein Beispiel: der Zölibat. "Das ist eine Erfindung der Menschen, Gott hat darauf kein Patent angemeldet", sagt der Seelsorger. "Die Tatsache, dass im gesamten neues Testament kein Zölibat erwähnt wird, übersehen viele Theologen der Amtskirche." Vieles spreche dafür, die Regelung zu überdenken, zumal verheiratete Seelsorger näher am Leben der Gläubigen seien. "Priester müssen in der Mitte der Gesellschaft stehen, gerade in einer Zeit, in der der Glaube abnimmt", davon ist Ndjimbi-Tshiende überzeugt.

Auch mit der Rolle der Frau in der Kirche hat sich der Priester beschäftigt. Bereits Jesus habe Frauen beschützt und geschätzt. Die Kirche hingegen habe ihre Stellung herabgewürdigt, es sei nicht gerechtfertigt, Frauen die Priesterweihe zu verweigern. Denn viele ihrer Eigenschaften kämen einem Seelsorger bei seiner Arbeit zugute: Empathie, Intuition, Anteilnahme. "Ich habe mir auch Gedanken gemacht über die Identität Gottes: Ist er ein Mann? Oder weiblich? Oder sogar beides?", fragt Ndjimbi-Tshiende. Letzteres sei durchaus vorstellbar, schließlich habe Gott den Menschen als sein Abbild - als Mann und Frau - erschaffen. Diesen Gedanken führt er auch im Hinblick auf die Hautfarbe weiter. "Gott ist schwarz", meint der Priester. Denn die ersten Menschen seien in Afrika entstanden. All dies seien freilich nur menschliche Überlegungen. "Gott ist unvorstellbar, ein großes Geheimnis."

"Sie haben mir aus der Seele gesprochen", sagt eine Frau nach dem Vortrag. Ndjimbi-Tshiende hat vier Jahre lang in Oberschleißheim gelebt und viele Freunde gefunden. Rassistische Erfahrungen hat er in der Gemeinde nach eigener Aussage nicht gemacht. Die Zornedinger Tragödie betrachtet Ndjimbi-Tshiende mit einigen Jahren Abstand differenziert. Er habe damals geweint, sich aber nie allein gefühlt - Gott sei immer bei ihm gewesen. Schließlich sei danach sein Buch entstanden. "Gott hat also auch etwas Gutes daraus gemacht", sagt er.

© SZ vom 01.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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