Jüdisches Leben in Deutschland:"Wir müssen ständig mit Schutz leben"

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Yitzhak Hoenig spricht im Zuge der Aktion "Welcome a Rabbi" mit Jugendlichen in Unterschleißheim. (Foto: Florian Peljak)

Oberrabbiner Yitzhak Hoenig beantwortet an der Therese-Giehse-Realschule in Unterschleißheim die Fragen von Jugendlichen - und verweist beim Thema Antisemitismus auf die beiden Polizisten im Raum.

Von Lara Jack, Unterschleißheim

"Guten Morgen und Shalom", eröffnet Oberrabbiner Yitzhak Hoenig am Montagmorgen in der Therese-Giehse-Realschule in Unterschleißheim seine Rede. Im Rahmen der Aktion "Welcome a Rabbi" besuchten am 30. Mai Rabbiner zwölf Schulen in München und Umgebung, um mit den Schülern und Schülerinnen in direkten Austausch zu treten. Dabei konnten die Jugendlichen Fragen zur jüdischen Religion, Kultur und Tradition zu stellen. In ihrer Schule, betont Schulleiterin Karin Lechner noch im Vorwort, setze man sich für Vielfalt, jüdisches Leben und gegen Antisemitismus ein. "Erinnerungsarbeit und Offenheit sind Teil unserer Schulphilosophie", sagt sie. Daher hätten sich die Lehrer mit den anwesenden Zehntklässlern "eingehend mit der jüdischen Kultur" beschäftigt und gemeinsam für ihren Gast Fragen vorbereitet. Anlass für die Aktion sind 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland.

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Dann tritt Hoenig auf die Bühne. Zuerst wird er von sich selbst erzählen, seiner Familie und seiner Arbeit in der jüdischen Gemeinde. Später wird er sich den vielen Fragen der Schüler stellen. Der Oberrabbiner ist in Israel aufgewachsen, er ist dreifacher Vater und amtiert seit neun Jahren als Rabbiner der jüdischen Gemeinde Mönchengladbach. "Ich bin ein orthodoxer Jude", erzählt er. "Das bedeutet, ich übe meine Religion aus. Aber das heißt nicht, dass ich den ganzen Tag aus irgendwelchen heiligen Büchern lernen muss." Er sieht in die Runde, die Schüler wirken interessiert. "Ich bin so wie ihr. Ich trage Jeans und Trikot, wenn ich mit meinen Enkelkindern unterwegs bin. Da sieht niemand, wer ich bin und was ich mache." Worin sich aber sein Alltag von dem anderer Leute unterscheide, seien beispielsweise die Gebete dreimal am Tag. Oder, dass bei ihm nur koscheres Essen auf den Teller komme, erklärt er seinen Zuhörern. "Und meine Wochenenden sind ganz anders als eure. Freitags, kurz vor Sonnenuntergang, sind meine Taschen leer. Kein Handy, keine Autoschlüssel - für 25 Stunden bin ich davon frei."

Hoenig beendet seine Erzählungen und eröffnet die Runde für Fragen. Das Mikrofon wandert durch die Schülerreihen. Die meisten Fragen drehen sich um Regeln und Verbote im Judentum oder Hoenigs Meinung zu politischen Fragen. Einer will wissen, was denn wäre, wenn man mal etwas Wichtiges aus der eigenen Religion, etwa ein Gebot, vergessen würde? Der Rabbi lacht: "Wenn man ins Alter kommt, vergisst man oft mal was." Aber niemals würde er irrtümlicherweise am Schabbat zum Handy greifen oder sich gar ins Auto setzten. Das nur im äußersten Notfall. Einen anderen Schüler interessiert, ob es denn Jobs gebe, die ein Jude aus religiösen Gründen nicht ausüben dürfe? Da fällt dem Rabbiner nur eines ein, das er in Richtung der Lehrer mit einem Augenzwinkern äußert: "Berufe für die katholische Kirche." Jemand will wissen, wie man es mit Blut- oder Organspenden im Judentum handhabe. Und auch da hat der Rabbiner eine klare Antwort: Das Menschenleben steht im Judentum an oberster Stelle, jedes Menschenleben. Organ- und Blutspende seien also "kein Problem".

Nach persönlichen Erfahrungen mit Antisemitismus wird Hoenig ebenfalls gefragt. Einen Vorfall habe es gegeben, in den Achtzigerjahren, sagt Hoenig. Im Detail geht er darauf allerdings nicht ein, sondern weist auf die Polizisten im hinteren Bereich der Aula. "Wir müssen ständig mit Schutz leben. Ich möchte leben, ohne dass die beiden netten Beamten dort sitzen müssen. Ich möchte mich frei fühlen." Bevor er dann die Bühne verlässt, wendet er sich noch ein letztes Mal an die Jugendlichen. Er und die anderen Rabbiner seien heute an die Schulen gekommen, um zu zeigen, wer sie sind und wie sie wahrgenommen werden möchten: als ein Teil der deutschen Gesellschaft.

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