Ausstellung und Buch zu ´Entarteter Kunst`:Wälzer wider das Vergessen

Lesezeit: 3 min

Stolzes Trio: Rasmus Kleine, Gerhard Schneider und Michael Sedlmair präsentieren den Katalog zur ,Entarteten' Kunst. (Foto: Stephan Rumpf)

Der 450 Seiten schwere Katalog ",Entartete' Kunst - Verfolgung der Moderne im NS-Staat" ist das umfangreichste Buch, welches das Kallmann-Museum bislang herausgebracht hat. Es beleuchtet ein dunkles Kapitel deutscher Kulturpolitik.

Von Udo Watter, Ismaning

Eine Kurzbiografie über Ernst Ludwig Kirchner zu verfassen, die nicht länger als 25 Zeilen sein soll, bedarf schreiberischer Verdichtungskunst und eines gewissen Muts zur Lücke. Ähnliches gilt für Ernst Barlach, Käthe Kollwitz, oder Otto Dix.

Aber Ottheinrich Strohmeyer? Bei ihm langt's im 450 Seiten schweren Katalog zur Ausstellung ",Entartete' Kunst - Verfolgung der Moderne im NS-Staat", die noch bis 11. September im Ismaninger Kallmann-Museum zu sehen ist, gerade mal für 15 Zeilen. Aber die haben es in sich und verleihen dem mehrere Kilo wiegenden Buch seine besondere Bedeutungsschwere, über einen normalen Ausstellungskatalog hinaus. "Es ist auch eine Reise in die Verlorengegangenheit", erklärt der Kunstsammler Gerhard Schneider, der die rund 330 Biografien verfasst hat, bei der Vorstellung des Werks im Kallmann-Museums, "und Ottheinrich Strohmeyer ist unser Paradebeispiel".

Der Katalog zur Ausstellung "`Entartete Kunst` - Verfolgung der Moderne im NS-Staat" ist mit 450 Seiten das bisher größte Buchprojekt des Museums. (Foto: oh)

In der Tat zeigt sich an diesem 1895 in Lahr/Baden geborenen Künstler besonders exemplarisch das, was Schneider "die Verwerfungen der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts" nennt, den "Bruch eine geistigen Kontinuität" und den "Raub der eigenen Kultur", für den die Nazis verantwortlich zeichneten. Strohmeyer war in den Zehnerjahren des 20. Jahrhunderts offensichtlich ein bekannter Künstler, von dem sich unter anderem 18 Holzschnitte, darunter sieben Titelillustrationen, in der renommierten politischen und literarischen Wochenschrift "Die Aktion" belegen lassen. Überdies erschien im Dezember 1917 ein ihm gewidmetes Sonderheft.

Über Strohmeyer ist kaum noch etwas in Erfahrung zu bringen

"Er hat eine unverkennbare expressionistische Handschrift", lobt Schneider. Aber trotz dieser Könnerschaft war er im Prinzip völlig vergessen. Und für Schneider, der zusammen mit dem Leiter des Kallmann-Museums Rasmus Kleine und Kunstgeschichtsstudenten der LMU die Ausstellung konzipiert und realisiert sowie den Katalog erarbeitet hat, war es schwer genug, überhaupt ein paar Fakten zusammenzutragen über Strohmeyer. Daher nur 15 Zeilen.

Strohmeyer, vom dem eine Arbeit bei der berüchtigten Aktion "Entartete Kunst" 1937 beschlagnahmt worden war, ist keine Ausnahme. Die große Mehrzahl der von den Nazis als "entartet" gebrandmarkten Künstler sind weitgehend vergessen, manche nahezu unbekannt. Schneider sucht seit drei Jahrzehnten systematisch nach Arbeiten der nachweislich Diffamierten und seine Sammlung umfasst mittlerweile Werke von mehr als 400 Künstlern, die in den Zwanziger- oder Dreißigerjahren oft am Anfang ihrer Karriere standen und in der Nachkriegszeit nicht mehr an frühere Erfolge anknüpfen konnten.

Ein weiteres signifikantes Beispiel ist Valentin Nagel, ein Künstler, der Kubismus und Neue Sachlichkeit in seinen Werken kombinierte. Die Entdeckung seiner Bilder und der Erwerb seines Nachlasses in den Achtzigern entzündeten Schneiders Leidenschaft. Die Frage, warum ein Maler derartiger Qualität quasi unbekannt war (und im Prinzip bis heute keine Rolle im Kunstdiskurs spielt), ließ ihn nicht mehr los und regte eine leidenschaftliche und fast obsessive Recherche- und Sammlertätigkeit an. "Es ist über mich hinweg gerollt wie eine Lawine", sagt er.

Zahlreiche Abbildungen und 300 Biografien

Mit 448 Seiten ist der Katalog das umfangreichste Buch, das bisher vom Kallmann-Museum herausgegeben wurde. Er enthält neben zahlreichen Abbildungen eben mehr als 300 Biografien verfolgter, überwiegend vergessener Künstler sowie grundlegende Texte zur Geschichte der "Entarteten Kunst", die von Studenten der Kunstgeschichte der LMU München verfasst wurden. "Es ist ein Werk mit lexikalischem Anspruch" urteilt Rasmus Kleine. Er selbst widmet sich in dem Buch der so einfach scheinenden wie schwierigen Frage, was denn überhaupt "entartete" Kunst ist, und kommt zu dem Schluss, dass die Antwort nicht wirklich befriedigend sei. Am ehesten greife die Definition ex negativo: Kunst, die aus Sicht der Nazis entartet also nicht deutsch war, oder im Vokabular der NS-Kulturpropaganda: Verfallskunst, degenerierte Kunst, krankhaft, schädlich, jüdisch-bolschewistisch. Manchmal reichte es auch, dass man das falsche Tier darstellte, wie der Maler und Ismaninger Museumsgründer Hans Jürgen Kallmann, der eine Hyäne abbildete - "in der wirren Logik der Nationalsozialisten das verschlagenste und damit jüdischste unter den Tieren", schreibt Kleine.

Der Katalog, der von ursprünglich geplanten 270 Seiten auf 450 Seiten angewachsen ist, und nicht zuletzt ein Resultat unglaublichen Arbeitspensums, Wissens und einer bewundernswerten Akribie Schneiders darstellt, ist das bislang umfangreichste Werk, welches das Kallmann-Museum herausgebracht hat. "Es geht auch darum, Wissen an eine neue Generation weiterzugeben", erklärt Kleine, gerade im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit den jungen Kunststudenten, die in interessante Textbeiträgen wie "Der expressionistische Holzschnitt" von Michael Rauch mündeten.

Der Komplex "Entartete Kunst" bietet ja trotz zahlreicher Ausstellungen, historischer Listen und wichtiger Forschungsarbeit immer noch jede Menge weißer Flecken, jede Menge unrecherchierter Geschichten und Schicksale. Insgesamt beschlagnahmten die Nazis mehr als 20 000 Werke von 1600 Künstlern und zeigten einen Teil davon auf 35 Femeschauen, die zwischen 1933 und 1941 im Reichsgebiet stattfanden, die bekannteste 1937 in München.

In Ismaning sind noch bis September 180 Exponate aus der Sammlung Schneider ausgestellt. Ob die Schöpfer dieser Arbeiten nun bekannter wie Ludwig Meidner oder unbekannter wie Werner Scholz sind, für sie gilt generell, was Schneider betonte: "Was für die Nazis als entartet galt, ist der freie Geist der Kunst." Der Katalog kostet 24 Euro, und wie sagte der Schneider noch: "Wenn sie dieses Buch kaufen, haben sie Wochen, ja Monate, damit zu tun."

Weitere Infos unter www.kallmann-museum.de.

© SZ vom 24.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: