Ismaning:"Gemeinsam gegen rechts"

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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) war von 1992 bis 1996 und von 2009 bis 2013 Bundesjustizministerin. Heute ist sie Antisemitismusbeauftragte in Nordrhein-Westfalen. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger spricht sich in Ismaning für eine klare Linie und parteiübergreifende Kooperation aus

Von Carina Seeburg, Ismaning

Warum man in Zeiten zunehmender Anfeindungen von Politikern "Flagge und Gesicht" zeigen sollte, ist für FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger klar: "Weil wir etwas zu verteidigen haben - unsere Freiheit und unsere Demokratie". Das politische Klima werde rauer, die Atmosphäre von Hass und Gegnerschaft, die sich entwickelt habe, sei vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen, sagt die ehemalige Bundesjustizministerin und heutige Antisemitismusbeauftragte von Nordrhein-Westfalen. Dass auf drohende Worte Taten folgen können, zeige der Anschlag in Halle, die Mordnacht in Hanau und das Attentat auf Walter Lübcke.

"Die Angriffe nehmen zu", bestätigt auch Raphael Karlisch, Spitzenkandidat bei der Kommunalwahl für die Ismaninger FDP, die an diesem Dienstag zur Diskussionsrunde mit Leutheusser-Schnarrenberger in den Gewölbesaal im Torfbahnhof geladen hat. Die Zahlen seien besorgniserregend, sagt Karlisch. "Mehr als 1240 politisch motivierte Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger" seien allein im vergangenen Jahr registriert worden.

Für einige Politiker ist die Entwicklung ein Grund, die politische Bühne zu verlassen, für Karlisch ist es einer, sie zu betreten: "Gewalt- und Terrorgruppen breiten sich in Deutschland immer mehr aus und man merkt auch, dass rechtes Denken wieder Einzug in den deutschen Parlamentarismus gefunden hat". Der Entwicklung müsse man etwas entgegensetzten und das könne man nicht "im stillen Kämmerchen", sagt Karlisch. "Der Terror der vergangenen Wochen" schaffe für alle die Verpflichtung, für eine starke und wehrhafte Zivilgesellschaft einzutreten." Die FDP stehe dabei für eine vielfältige, pluralistische Gesellschaft.

Dafür, sich nicht nur trotz, sondern wegen der zunehmend feindseligen Atmosphäre einzubringen, spricht sich auch Leutheusser-Schnarrenberger aus. Es sei außerdem wichtig, "dass man über Parteigrenzen hinweg gemeinsam gegen rechts zusammensteht, denn die Mehrheit haben diese Menschen nicht", sagt die FDP-Politikerin und fordert, dass das auch sichtbar gemacht werden müsse.

Im Netz gebe es inzwischen viele Initiativen, die sich mit Gegenäußerungen befassen. Aber gerade das Internet sei auch maßgeblich dafür, Stimmungen zu schüren und zu lenken. Außerdem würden hier immer wieder Straftäter von Gesinnungsfreunden glorifiziert. Anfeindungen und an Politiker adressierte Drohungen habe es schon immer gegeben, aber "durch die sozialen Medien hat sich die Dynamik geändert", meint Leutheusser-Schnarrenberger.

Das Netz biete zudem auch eine Kommunikationsplattformen für Interessensgruppen jenseits der Legalität. Es sei dabei kaum praktikabel, alle Hasskommentare in den sozialen Medien zu filtern und noch dazu rechtlich schwammig: "Ein Problem ist hier auch, dass Unternehmen und Konzerne teilweise wie Richter entscheiden, welche Kommentare entfernt werden und welche bleiben."

Erschwerend kommt laut Leutheusser-Schnarrenberger hinzu, dass es sich beispielsweise bei Facebook und Twitter um international tätige Konzerne handele und kulturelle sowie rechtliche Grundlagen sich zwar an Ländergrenzen ändern, diese im weltweiten Netz aber teilweise schwer durchzusetzen seien. So sei "das Leugnen des Holocaust in Amerika nicht strafbar, in Deutschland aber schon." Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut und fest im Grundgesetz verankert. Sie gelte aber auch im Internet nicht uneingeschränkt. Wichtig sei, eine "klare Linie zu ziehen bei dem, was geht und was nicht geht" und auch Straftaten im Netz zu verfolgen.

Für eine zuverlässige Strafverfolgung müssten Justiz und Institutionen weiter gestärkt werden. Dazu gehöre auch die Neuordnung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. So sei es sinnvoll, kleinere Landesämter für den Verfassungsschutz zusammenzulegen. "Je mehr Einheiten wir haben, desto größer ist die Gefahr, dass kein Austausch stattfindet." Das hätten die Versäumnisse bei den Ermittlungen um die NSU-Morde gezeigt. Es gehe darum, Kompetenzen zu bündeln und so effektiver zu arbeiten.

"Es gibt natürlich kein Patentrezept", um extremistischen Strömungen zu begegnen, räumt Leutheusser-Schnarrenberger ein. Die Gefahr von rechts sei aber zu lange unterschätzt worden. In einem Land mit freiheitlichen Werten sollten Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen sich sicher fühlen - und das auch, wenn sie im öffentlichen Raum Kopftuch, Davidstern oder ein Kreuz tragen, fordert Leutheusser-Schnarrenberger.

Das Erstarken der AfD sei auch in diesem Zusammenhang eine ernst zu nehmende Gefahr. Von Teilen der Partei werde zudem das Ziel verfolgt, "die Demokratie und die bürgerliche Mitte zu zerstören und unsere Strukturen zu schwächen", sagt Leutheusser-Schnarrenberger. Dieser Teil der Partei sei auch im Fokus vom Verfassungsschutz. "Wir sind alle gefordert, unser demokratisches System zu verteidigen", appelliert die FDP-Politikerin.

Die Rolle der AfD bei der Wahl des FDP-Politikers Kemmerich in Thüringen kommentierte Leutheusser-Schnarrenberger nicht

© SZ vom 11.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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