Ismaning:Einmal noch in den Armen des Vaters

Lesezeit: 3 min

Zwei Chemotherapien hat Mouhamed hinter sich. Seine Patin Renate Zetterer und weitere Unterstützer haben den jungen Senegalesen begleitet. (Foto: privat)

Aus dem Senegal flieht Mouhamed nach Deutschland und hofft auf eine bessere Zukunft. Dann erkrankt er schwer. Mit überwältigender Hilfsbereitschaft haben ihm Helfer jetzt seinen letzten Wunsch erfüllt.

Von Irmengard Gnau, Ismaning

"Er ist da!" Yvonne Meininger ruft es beinahe in den Telefonhörer, so erleichtert und freudig ist sie. In diesem einen Satz bündelt sich all die Anspannung, die in den vergangenen Tagen auf den Mitgliedern des Helferkreises Asyl in Ismaning und ihrer Koordinatorin gelegen hat: Würden sie es rechtzeitig schaffen? Würde Mouhamed so lange durchhalten, bis es ihnen gelingt, ihm seinen letzten Wunsch zu erfüllen? Am Dienstagabend haben sie die Antwort: Sie haben es geschafft. Gemeinsam mit Renate Zetterer trifft Ibrahima nach mehrstündigem Flug aus dem Senegal in München am Krankenbett seines Sohnes ein.

"Es war Mouhameds Wunsch, seinen Vater noch einmal zu sehen", sagt Zetterer. Die Ismaningerin betreut Mouhamed seit etwa einem Jahr, seitdem der 20-jährige Senegalese in der Flüchtlingsunterkunft im Ismaninger Ortsteil Fischerhäuser lebt. In seiner Heimat war Mouhamed Rapper, in Deutschland wollte er sich ein neues Leben aufbauen. Er brachte sich selbst Englisch bei, knüpfte Kontakte, übersetzte für seine Mitbewohner in der Unterkunft, lernte Deutsch, hatte erste kleinere Auftritte. Im Februar kam die Krebsdiagnose. "Als er die Ergebnisse bekommen hat, war eigentlich klar, dass es nicht sehr lange gehen wird", sagt Zetterer. Es ist eine sehr aggressive Krebsart, die Ärzte finden Tumore an Mouhameds Leber und im Bauchraum.

Für die Helfer bleibt wenig Zeit

Mouhamed unterzieht sich zwei Chemotherapien, Renate Zetterer nimmt ihn in dieser Zeit in ihrer Wohnung auf. Der Zustand des 20-Jährigen verschlechtert sich zusehends. Er kommt ins Krankenhaus, Mitte Juli wird er auf die Palliativstation verlegt. Für die Helfer bleibt wenig Zeit. Über eine Bekannte in Berlin gelingt es, Kontakt zu Mouhameds Vater Ibrahima in Dakar aufzunehmen. Um nach Deutschland zu reisen, braucht er allerdings ein Visum, um ein Visum zu bekommen eine Versicherung, eine Bürgschaft, ein Hin- und Rückflugticket. Viele Hürden und wenig Zeit. Doch keiner der beteiligten Ehrenamtlichen äußert Zweifel. "Wir haben gar nicht groß darüber nachgedacht, alle waren sich einig", sagt Meininger. "Unser wichtigstes Kriterium war nur: Es muss schnell gehen."

Über den internen Verteiler des Helferkreises schicken sie eine Spendenbitte. Die Reaktion überwältigt Meininger. Binnen eines Tages kommen tausend Euro zusammen, von den Helfern, aber auch von Bekannten und Menschen, die Mouhamed nie gesehen haben. Nach einer Woche sind es 4500 Euro, genug, um den Vater einzufliegen, und noch mehr Leute bieten Hilfe an. "Alle haben zusammengeholfen, jeder hat seinen Teil beigetragen - toll", sagt Zetterer. Die Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Dakar, das Reisebüro in Ismaning, die unbürokratisch und rasch Anfragen umsetzen; die verschiedenen Helfer, Spender und Paten, die organisierten und begleiteten; Mouhameds Mitbewohner aus Fischerhäuser, die ihren Freund im Krankenhaus nie allein ließen.

"Diese unglaubliche Hilfsbereitschaft der Leute - mir hat das gezeigt, dass die Menschen wissen, was wirklich wichtig ist", sagt Meininger. Dass jeder Flüchtling, gleich ob er vor Krieg oder wirtschaftlicher Not flieht, in erster Linie ein Mensch ist, der sein Schicksal hat. Dass ein 20-Jähriger sich wünscht, seinen Vater noch einmal zu sehen, bevor er stirbt. Dass sich die Menschen in Deutschland nicht verrückt machen lassen vor dem Hintergrund der schlimmen Vorfälle in Ansbach und Würzburg. "Und dass wir zusammen Berge versetzen können."

Auch Renate Zetterer, die Mouhamed durch die vergangenen schweren Monate begleitet hat, zieht viel Kraft aus dieser Erfahrung des Zusammenhalts. "Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass so viele Leute sich so dafür einsetzen, Mouhameds Vater hierher zu bringen", sagt sie. Seit sein Vater bei ihm auf der Palliativstation sei, sei Mouhamed trotz seines schlechten Zustands ruhiger geworden. "Es ist, als wenn ein Stück Heimat zu ihm gekommen wäre", sagt Zetterer. "Das Wiedersehen war sehr rührend." Drei Jahre lang hatten sich die beiden Männer nicht gesehen. Nun kann der Sohn in seiner Muttersprache reden. "Er ist zufrieden", meint Zetterer. Den Abschied wird das für sie und die übrigen Helfer in Ismaning nicht einfacher machen. Aber sie wissen: Sie haben ihre Mission erfüllt.

© SZ vom 06.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: