IS-Terror:"Eine Komfortzone gibt es nicht mehr"

Lesezeit: 2 min

Die Journalistin Düzen Tekkal macht in Grünwald deutlich: Der Terror des IS betrifft uns alle

Von Claudia Wessel, Grünwald

Kreischende Mädchen. "Sie haben meinen Vater enthauptet, er lag zwei Stunden lang in seinem Blut, wir haben uns nicht getraut, hinzugehen, um uns zu verabschieden." Ein Mädchen mit großen Kulleraugen und Schnuller im Mund, das entsetzt zu seiner schreienden Mutter aufschaut, die darüber klagt, dass ihre Töchter von IS-Kämpfern entführt worden sind. Ein Junge, der kaum sprechen kann und sich dabei wie würgend über die Erinnerung an seinen Hals fasst. Auch er hat den Überfall von IS-Terroristen auf die Jesiden in dem Ort Shingal im Irak am 3. August 2014 miterlebt und Schreckliches gesehen. "Ich will nicht im Irak bleiben", stottert er schluchzend. "Bitte nehmen Sie mich mit."

Totenstille herrscht im mit rund 200 Menschen gut gefüllten August-Everding-Saal nach dem Filmausschnitt, den die Journalistin Düzen Tekkal im Rahmen der Akademietage Grünwald, veranstaltet vom Freundeskreis der Evangelischen Akademie Tutzing, der Evangelischen Thomasgemeinde und unterstützt vom Rotary Club Grünwald, gezeigt hat. Der Abend mit dem Titel "Heute wir, morgen ihr! - Bedrohung unserer Werte durch den IS" war am Montagabend der erste Vortrag der traditionellen Veranstaltung, mit der laut Pfarrer Christian Stalter "die Menschen ins Gespräch gebracht" werden sollen. Die Themen sind global angelegt.

Differenzierung ist für die Journalistin Düzen Tekkal das Wichtigste. Sie spricht darüber auch regelmäßig bei Islamischen Verbänden. (Foto: Claus Schunk)

Düzen Tekkal ist Deutsche und Jesidin. Ihr Vater flüchtete vor 45 Jahren aus der Türkei nach Deutschland, denn die Jesiden werden immer wieder aufgrund ihrer Religion als "Teufelsanbeter" verfolgt. Düzen ist als eines von elf Kindern in Hannover geboren. "Wir waren die erste Generation, die keine Massaker erlebt hat", sagt sie. Doch als sie im Jahr 2014 mit ihrem Vater in den Irak auf Spurensuche gehen will, findet kurz vorher der Überfall auf die Jesiden statt. Sie fahren trotzdem und drehen den Film "Háwar", das Wort ist ein Hilferuf. Wer je an Fluchtursachen gezweifelt hat, wird es nach diesem Filmausschnitt eher nicht mehr tun.

Doch Düzen Tekkal ist keine einseitige Befürworterin der Willkommenskultur ohne Grenzen. Man müsse allen Tatsachen ins Gesicht sehen, sagt sie. Auch der, dass mit den Flüchtlingen Leute kommen, die in Europa sieben verschiedene Identitäten annehmen und Attentate begehen, siehe Paris. Man müsse auch sehen, dass es in Deutschland bereits Religionskriege auf den Schulhöfen gebe: Mit den Migranten unterschiedlicher Herkunft kämen auch solche Probleme hierher.

Tekkal, übrigens Kandidatin für ein Ministeramt im Falle eines Wahlsieges von CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner in Rheinland-Pfalz, plädiert auch dafür, "die Deutschen in ihren Sorgen ernst zu nehmen". Viele fragten sich: "Darf ich mir Sorgen machen, ohne gleich in die rechte Ecke gestellt zu werden?" Tekkals Antwort lautet: Ja, das darf man. "Die Menschen, die kommen, müssen auch zu uns passen", findet sie als Deutsche. "Einwanderung muss gelernt werden." Es gebe Vorurteile, auf beiden Seiten, fasst sie die Situation zusammen. Das Wichtigste im Umgang mit allen Seiten sei zu differenzieren. Eines aber müsse man einsehen, auch in Grünwald: "Eine Komfortzone gibt es nicht mehr. Man kann nicht mehr wegsehen und denken: Das geht an uns vorbei."

© SZ vom 09.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: