Höhenkirchens Pfarrer im SZ-Interview:"Die Kirche muss sich total verändern"

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Seit 24 Jahren ist Toni Wolf Pfarrer in Höhenkirchen-Siegertsbrunn. Vor seiner letzten Predigt Ende September erklärt der 70-Jährige seine kritische Haltung zum Zölibat, plädiert für Frauen im Priesteramt und beklagt die fehlende Nähe zu den Gläubigen in Corona-Zeiten

Von Bernhard Lohr, Höhenkirchen-Siegertsbrunn

Im Büro von Pfarrer Toni Wolf, 70, deutet alles auf Aufbruch hin. Umzugskisten versperren fast den Weg zum Tisch. Als Pfarrer Wolf sich setzt und bevor er von seiner Zeit im Pfarrverband Höhenkirchen erzählt, den er nach 24 Jahren in den Ruhestand verlässt, entzündet er eine Kerze. Auf dem Tisch liegt ein Foto von Papst Franziskus und daneben eines vom früheren Münchner Erzbischof, Kardinal Julius Döpfner. Der in dem kleinen Weiler Essenbach im Landkreis Dachau geborene Wolf war der letzte Diözesan-Priester, den Döpfner vor seinem Tod 1976 zum Priester weihte.

SZ: Herr Pfarrer, der Pfarrverband überträgt Gottesdienstfeiern im Internet, bei denen Sie scheinbar alleine am Altar stehend Messe halten. Nimmt Sie die Coronakrise sehr mit?

Toni Wolf: Also alleine bin ich da nie, die an der Liturgie Beteiligten sind nur etwas weiter weg. Aber ja, mir ist das nicht so recht, weil die Mahlfeier verlangt, dass man in Gemeinschaft ist. Ich mag nicht, wenn alles so distanziert ist. Jesus hat eingeladen und das Abendmahl mit den Seinen gefeiert. Da gehört Nähe dazu.

Sie haben sich mit 70 auf Streaming und Online-Botschaften eingelassen.

Zur Technik habe ich keinen Bezug. Das machen meine Mitarbeiter. Aber ich kann schon sagen, dass ich viel positive Resonanz gekriegt habe. Ich weiß von Leuten, die sich beim Online-Gottesdienst eine Kerze anzünden. Wir geben bei Liedern die Nummern im Gotteslob an, damit jeder mitmachen kann.

Es ist viel die Rede vom Bedeutungsverlust der Kirche. Wie erleben Sie das. Oder ist Höhenkirchen eine Insel der Seligen?

Nein, wir sind nicht anders als alle andern. Die Frage ist, was ich als Maßstab anlege und wie ich mit Fakten umgehe. In meiner Kinderzeit habe ich erlebt, dass es hieß: Du musst, so ist es, so wird es gemacht. Ich komme aus einem sehr gläubigen und praktizierenden Elternhaus. Zu den heiligen Zeiten, zu Ostern etwa, waren wir in der Kirche präsent. Für mich war das wertvoll. Aber die Leute haben heute ein anderes Gespür, auch zu dem, was regelmäßig ist. Übertrieben gesagt: Wenn jemand alle Jahre zur Christmette kommt, dann ist das auch regelmäßig.

Dafür hat der Pfarrer Verständnis?

Jeder muss entscheiden, wie er mit seinem Leben umgeht. Ich gebrauche gerne das Bild von einem Strick. Ein Seil besteht aus vielen einzelnen Strängen. In meiner Kindheit war die Kirche, das religiöse Leben der große Strang. Im Lauf der Zeit hat sich viel entwickelt, es sind viele Stränge dazugekommen. Die Kirche ist jetzt einer, die anderen gehören dazu. Jeder muss Verantwortung tragen für sein Leben. Vielen ist es wichtig, das Wort Gottes zu hören und sich von Gott etwas sagen zu lassen. Ich erlebe aber auch Menschen, die sagen, ich entscheide, wie ich mit dem Glauben umgehe.

Bei der 1000-Jahr-Feier der Kirche Maria Königin (von links): Kardinal Reinhard Marx, Mindy Konwitschny, Stefan Kern, Stefan Göbel und Toni Wolf. (Foto: Claus Schunk)

Muss sich die Kirche verändern, wenn sich die Welt verändert?

Die Kirche muss sich total verändern, in ganz vielen Dingen.

Sie kritisieren das Zölibat.

Es mag sein, dass das Zölibat in einer gewissen Phase der Kirche wertvoll war. Aber es ist nichts, was die Kirche von Anfang an gelebt hat. Viele Menschen leiden sehr darunter und sind beeinträchtigt; im emotionalen Bereich, im Suchtbereich, bis hin zum Missbrauch. Das kann man zwar deuten und schönreden, aber es hängt doch alles zusammen. Wenn der Herrgott den Menschen als Mann und Frau erschaffen hat, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass es gut sein kann, in autoritärer Weise kirchenrechtlich solche Verbote zu entwickeln.

Sie sind für eine stärkere Rolle der Frau in der Kirche. Frauen als Priester?

Absolut, ja, sehr.

Wie kann die Kirche heute noch Menschen erreichen?

Ich weiß noch, wie ich vor 50 Jahren Student in Würzburg war. Wir hatten einen Einführungskurs bei dem nachmalig weltberühmten Professor Eugen Biser. Der hat schon von den Sprachbarrieren gesprochen. Später entdeckte ich, dass es entscheidend ist, wie wir unseren Glauben verkünden. Jugendliche sprechen in ihrer eigenen Sprache über Gauben. Ich meine jetzt nicht, dass wir Jugendsprache übernehmen müssen. Aber wir müssen uns überlegen, welche Ansprache wir verwenden. Mir ist Klarheit wichtig. Es kann sein, dass ich mal vorpresche und sich jemand auf den Schlips getreten fühlt. Aber ich will nicht als Softie durch die Welt gehen.

Ihr Pfarrverband gilt als lebendige, rührige Gemeinschaft.

Ich habe da nichts alleine gemacht. Aber ich glaube schon, dass ich die Gemeinschaft und das kirchliche Leben mit geprägt habe; auch dass wir auch sehr viele Frauen in der Mitarbeit haben. Es haben sich immer Menschen gefunden, die mitgearbeitet haben. Und es gab viele, die erwartet haben, dass sich etwas ändert.

Zum Beispiel?

Etwa die Fronleichnamsprozession. Da hieß es immer: Das ist schwierig, so wie wir das praktizieren, können wir nicht etwas anderes entwickeln? Seit gut 20 Jahren haben wir jetzt einen Sachausschuss Liturgie, der Ideen dazu entwickelt.

Sie kommen aus einem traditionellen Elternhaus im Dachauer Land, sind dennoch offen für Neues

In Augsburg bei den Benediktinern am Internat und am Gymnasium hatten wir einen tollen Pater, der sehr aufgeschlossen war, sehr gewinnend und stets bereit zu überlegen, was man Neues machen kann. Ein Vorbild war für mich Kardinal Döpfner, ohne ihn wären die Kirchenreformen des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht zustande gekommen und gäbe es keine Pastoralreferenten und ständige Diakone. Er ist mit 62 Jahren viel zu früh gestorben.

Wollten Sie schon früh Priester werden?

Ich habe erst nicht recht gewusst, was ich machen soll. Am Internat in Augsburg habe ich Jugend- und Gruppenarbeit kennen gelernt. In diese Richtung wollte ich gehen. Da kam wieder Döpfner ins Spiel, man hat von neuen Formen der Kirchenarbeit mitgekriegt, bei denen man nicht gleich Priester werden musste. Eine Art Berufung war in der Karwoche 1973 in Eichstätt eine Fahrt zu Exerzitien. Eine Schwester sagte: Man muss mal eine Entscheidung treffen. Drei Jahre später war Priesterweihe.

Nach fast einem Vierteljahrhundert als Pfarrer in Höhenkirchen-Siegertsbrunn geht Toni Wolf, 70, in den Ruhestand. In den Erinnerungen des Geistlichen spielt sein Vorbild, Kardinal Julius Döpfner, eine große Rolle. (Foto: Claus Schunk)

Durch Kardinal Döpfner?

Ja, weil ich im Alphabet der Letzte war, war ich auch der Letzte, der von Döpfner zum Diözesanprieser geweiht wurde. Einen Monat später ist er gestorben.

Welche Bibelstelle schätzen Sie?

Matthäus 14, 22 - 33. Ich habe sie für den Abschiedsgottesdienst am Samstag vorbereitet. Sie begleitet mich seit dem Exerzitien-Erlebnis 1973. Da ist Petrus, der über Wasser geht. Petrus, eine spannende Figur; der totale Versager, der überall daneben langt, daneben redet und vom Herrn zurechtgewiesen wird - und sich dann durchbeißt. Jesus sagt: Komm. Und er probiert es, übers Wasser zu gehen und geht. Dann merkt er: Der Wind wird stark, er kriegt Angst, geht unter. Jesus greift nach ihm, rettet ihn. Ein wunderbares Bild für christliches Leben. Jesus traut mir viel zu.

Die Geschichte gefällt Ihnen, weil Sie glauben, dass das Wort Gottes den Menschen im Leben helfen kann.

Das ist der entscheidende Punkt; das Übersetzen und auch die Interpretation von Gottes Wort. Das ist die Predigt. Ich halte es für ganz schwach, wenn wir im Gottesdienst nur das Mahl feiern und nicht genauso wichtig das Wort Gottes sehen. Es heißt: "Ich bin gekommen, um zu predigen, damit sie das Wort hören." Das Wunder ist dann der Nebeneffekt, das ist das Ergebnis: dass ich Heilung erfahre, und es mir im stürmischen Meer besser geht.

Heilung steht bei der Leonhardi-Wallfahrt in Siegertsbrunn im Zentrum.

Hier kommt man an St. Leonhard nicht vorbei. Das Drumherum mit dem Festzelt und der Umfahrt ist alles recht schön. Aber das Eigentliche ist, wenn die Wallfahrergruppen kommen. Da gibt es ein schönes Symbol, das eiserne Rössl. Das ist uralt, vermutlich eine Stiftung des Münchner Hofs. Wenn die Wallfahrer ankommen, nehmen sie das schwere Rössl und tragen es um den Hochaltar herum. Mir ist wichtig, das zu deuten und den Menschen nahezubringen, was sie da tun. Die Menschen kommen mit vielen Sorgen, die sie vor ihm am Altar ablegen. Der Altar ist Symbol des Treue, steht da und ist unverrückbar.

Wegen Corona ist die Wallfahrt heuer das erste Mal ausgefallen.

Ganz ausfallen lassen haben wir es nicht. Wir haben versucht, einen Akzent zu setzen mit der Weihe des neuen Altars. Die Corona-Krise hat auch das Festjahr zu 1000 Jahre Pfarrkirche Mariä Geburt überschattet. Was ich bedrückend fand, dass du alles absagen musst. Jetzt bin ich noch dabei zu packen, Abschied zu nehmen, was mir unheimlich schwer fällt. Alleine, dass man Ostern nicht feiern konnte. Die Osternacht ist etwas Besonderes. Diesen Höhepunkt als einfachen Sonntag zu erleben, war ein Problem für mich. Vieles ist ausgefallen: Hochzeiten, der Besuch von Freunden aus Brasilien.

Angeblich gibt es derzeit viele Taufen.

Ja, da holen wir auf. Jetzt habe ich jeden Sonntag mehrere Taufen gehabt, bis auf letzten Sonntag. Gestern habe ich zwei Taufen gehabt, am Sonntag taufe ich Zwillinge und am Abend ist eine Erwachsenentaufe.

Nach ihrem Abschiedsgottesdienst?

Mein Dienst endet am Mittwoch, 30. September, da ist um 8.30 Uhr Messe. Und die halte ich natürlich noch.

© SZ vom 25.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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