Haarer Festtage:Mittelalter für jedes Alter

Lesezeit: 4 min

Komödiant Jolandolo. (Foto: Claus Schunk)

Beim Ritterfest in Haar locken packende Schwertkämpfe, brutzelnde Fleischspieße und schräge Vögel. Vor allem aber ist das bunte Treiben auch für Familien erschwinglich - und bringt manchen die ersehnte Entschleunigung.

Von Bernhard Lohr, Haar

Elmar von Kirchdorf ist eine würdevolle Erscheinung. Er macht etwas her, ohne aufzutrumpfen. So wie er an der langen Tafel sitzt, leise mit tiefer Stimme spricht und sich über den Bart streicht wie ein hoher Herr, der sich seiner Bedeutung bewusst ist. Einer, dem sich sein Volk in Ehrerbietung nähert.

Der Hauptmann der Vereinigung "Gladium et scutum" beherrscht die Szenerie, links und rechts flankiert von Gefolgsleuten. Vor sich auf dem Tisch steht ein vielarmiger Kerzenleuchter, daneben Holzschatullen, Humpen voll mit dunklem Bier, Steinkrüge und eine Schale mit Obst. Von Kirchdorfs Ritter mit dem Banner, das ein Kelch, ein Kreuz und ein Schlüssel ziert, haben ihr Lager in Haar aufgeschlagen.

Hauptmann Elmar von Kirchdorf (zweiter von links) und die Seinen. (Foto: Claus Schunk)

Auf der freien Fläche am Wieselweg, gleich hinter den Hochhäusern des Jagdfeld-Wohngebiets riecht es nach Holzfeuer, Trommeln erklingen, Minnesänger singen und Schwertkämpfer dreschen klirrend mit den Klingen aufeinander ein. Rittersleute, Knappen, Druiden, Minnesänger: Ein buntes Volk bewegt sich zwischen den Ständen und Zelten. Hätte nicht hin und wieder jemand ein Smartphone in der Hand, und würde man sich vor allem Hunderte Besucher wegdenken, die die "Mittelaltertage Haar" auch bevölkern, könnte man sich in ferne Zeiten zurückversetzt fühlen. "Das ist wenigstens mal eine gescheite Schüssel", sagt eine Frau, als sie an einem der vielen Standl vorbeiläuft, "da steht nicht Ikea drauf."

Kein Ikea, keine Smartphones - nicht einmal eine Uhr duldet der Gladium-et-Scutum-Ritter Elmar von Kirchdorf an seinem Hof. Der Mann, der mit Kinnbart und leuchtend blauen Augen an König Artus' Tafelrunde auch gute Figur gemacht hätte, gibt sich bescheiden. Er sei kein König, sagt er, auch kein Graf. Den Titel eines Hauptmanns schreibt er sich zu. "Damit gebe ich mich zufrieden." Neben ihm sitzt lässig auf einem Stuhl ein Kreuzritter vom Johanniter-Orden, in orientalischer Art den Kopf bedeckt mit einem weißen Tuch - und auf der anderen Seite als ein weiterer Gefolgsmann Thomas Freiherr von Wertingen. Vor dem Zelt sind auf Gestellen die silbern-glänzenden Rüstungen der Männer aufgebaut, in die sie hin und wieder schlüpfen, um dann sogar in Vollkontakt Schwertkämpfe aufzuführen.

Doch das ist offensichtlich nicht das wichtigste. Der Hauptmann lehnt sich zurück und erzählt, solche Ausflüge ins 13. Jahrhundert seien Versuche, der "stressigen, schnelllebigen Zeit" zu entkommen. "Man steht auf, wenn man wach wird, und geht ins Bett, wenn man müde ist." Dazwischen sitzen die Ritter und Frauen vom Oberbayerischen Ritterbund, wie der Verein offiziell heißt, an solchen Wochenenden wie in Haar viel beisammen; sie reden und lachen und entschleunigen bewusst. Den Sound zu diesem Leben liefert das Duo Ohrenfreut, das über das Gelände tingelt. Michaela Rettkowski singt mit Peter Siche, der an der mittelalterlichen Quinterna, einer Art Laute, begleitet, Lieder im Stil der Minnesänger. Doch als Elmar von Kirchdorf, der im richtigen Leben Elmar Leyerer heißt und Chef einer Dachtechnik-Firma ist, so erzählt, hallen plötzlich kräftige Basstöne über das Gelände.

Eine Menschentraube am anderen Ende der Wiese umringt das Spektakel, das sich dort abspielt. Junge Männer kämpfen mit Schwertern. Sie sind von der Gruppe Burdyri aus Tschechien, einem seit 1978 bestehenden Showkampfteam. Wild sehen sie aus, schwarz gewandet, mit langen wehenden Haaren. Aber sie verstehen auch, das Ganze ironisch zu brechen - als sich alle plötzlich zum Sound von Samba Pa Ti von Santana in Haudegen verwandeln, die in Zeitlupe über die Wiese taumeln.

Rollenspiele. (Foto: Claus Schunk)

Hanffladen, Flammkuchen und Feuerspieß

Auch wenn viele hier, etwa die Ritter von Gladium et scutum, die aus Kirchdorf im Landkreis Freising und bis aus Ingolstadt kommen, mit großem Ernst bei der Sache sind und beteuern, sie wollten das Mittelalterleben so genau wie möglich nachstellen, geht es nicht überall gleich streng zu. Es herrscht da und dort auch aufgekratzte Volksfeststimmung, mit Komödianten wie Jolandolo, der mit knalliger Brille eine Kunstfigur abgibt, die aus jeder Zeit gefallen zu sein scheint - so wie auf jeden Fall der Mann, der in rosa Tütü herumläuft und Blicke auf sich zieht. Da sind die Eisverkäufer und Standlbetreiber, zum Beispiel die mit Holzschwertern für die Kleinen oder jene mit Hanffladen, Flammkuchen und "Feuerspießen" aus Pute in Brezenteig für die Hungrigen. Dass die Pute erst mit der Entdeckung Amerikas nach Europa kam, stört nicht wirklich. Deren Fleisch eigne sich besser als Schwein für solch einen Spieß, erzählt Sandra Nuberdürr, die mit ihrem Stand aus Teublitz in der Oberpfalz nach Haar gekommen ist. Sie lobt die familienfreundliche, entspannte Atmosphäre auf der Wiese in Haar. Sie streicht heraus, dass kein Eintritt verlangt wird. Das sei nicht selbstverständlich.

Picknick auf der großen Wiese

Das Fest hat Martin Angermeier aus dem Haarer Ortsteil Gronsdorf gemeinsam mit Ulrich Steinhauser zum dritten Mal aufgezogen. Angermeier ist selbst mit einer Wikinger-Schaukel präsent. Er kommt aus dem kleinen Kassenhäuschen heraus, auf dem "Obolus 2,50 Euro" für einmal Schaukeln steht und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Er strahlt mit der Sonne um die Wette. "Wir haben jedes Jahr Glück mit dem Wetter", sagt er und erzählt von dem gescheiterten Versuch, solch ein Fest einst in Poing aufzuziehen. Schließlich habe er im Haarer Rathaus angefragt und unter gewissen Bedingungen die Zusage bekommen, an den Wieselweg zu gehen. So sei der Wunsch gewesen, das Ganze für Familien zu öffnen; also, keinen Eintritt zu verlangen und Platz auf der Wiese zu bieten, damit dort Picknick möglich sei. Letzteres wird genutzt. Manche breiten auf ihrer Decke ihre Brotzeit aus. "Das hat Charme", sagt Angermeier, der ohne Eintritt angeblich gut klarkommt. Sonst müsste er einen Zaun installieren und Personal anstellen. Das wären nur Kosten, sagt er.

Der Aufwand und der Auftrieb ist freilich trotzdem groß. 47 Händler sind da, zig Gruppen wie die Ritter um Elmar von Kirchdorf. Die Parkplätze sind bald belegt. Beschwerden mit Nachbarn gebe es wegen des Fests aber bisher nur von Münchner Seite, sagt Angermeier. Tatsächlich grenzt das von Bäumen umrandete Areal gleich hinter dem Zelt der Gladium-et-scutum-Ritter an die Stadt an. Es ist praktisch ein Münchner Festival - aber bezahlbar, und wie in freier Natur.

Die Wikingerschaukel. (Foto: Claus Schunk)
© SZ vom 12.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: